„Widersprüchliche Informationen wischt man einfach beiseite“
Weil die Vereinigten Staaten wahrscheinlich das einzige Land sind,
das das Motiv sowie die Gelegenheit und Mittel hat, so etwas
durchzuführen. Und es ist auch das einzige Land, das davor gewarnt hat.
Präsident Biden sagte das auch bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz
im vergangenen Februar: Falls Russland in der Ukraine einmarschieren
würde, dann gäbe es kein Nord Stream mehr. Eine Reporterin war
überrascht und fragte, wie er das denn tun könne. Biden antwortete nur
verschmitzt, die USA hätten schon ihre Wege. Manchmal wird die Wahrheit
also einfach laut ausgesprochen.
Warum schließen Sie Russland als Verantwortlichen aus?
Russland zerstört nicht mal eben seine eigene Infrastruktur. Und falls irgendein anderes Land beteiligt war – Polen oder ein anderer Nordsee-Anrainer –, dann tat es das zusammen mit den USA. Für so einen Sabotageakt braucht man enorme Kapazitäten. Und die USA haben ja auch eine Vergangenheit darin, die Infrastruktur ungeliebter Länder zu zerstören. Sie detonierten mal eine sowjetische Pipeline und Zentrifugen im Iran.
Die Sowjetunion und der Iran waren verfeindete Länder, während Deutschland doch ein vermeintlich alliierter Staat ist …
Den USA war Nord Stream ein Dorn im Auge. Nach dem Sabotageakt erklärte der US-Außenminister Anthony Blinken, dass das eine großartige Gelegenheit sei, Europa endlich vom russischen Gas zu befreien. Also klar gibt’s keine definitiven Beweise, denn die USA würden doch kein Video ihres Spezialkommandos veröffentlichen, aber ihre Fingerabdrücke sind überall. Und dann war da ja auch der ehemalige polnische Außenminister Radek Sikorski, der den USA in einem Tweet explizit dankte.
Wenn die Sachlage denn so eindeutig ist, warum waren die Bloomberg-Moderatoren so über Ihre Aussage schockiert?
Wenn ich privat mit Journalisten rede, sagen sie mir, sie teilten meine Einschätzung. Aber sie schreiben nicht darüber in ihren Zeitungen. Meine Vermutung ist, dass wir schon bald von europäischen Beamten hören werden, die im schwermütigen Tonfall sagen werden, sie hätten die Attacke untersucht, aber seien nicht in der Lage gewesen, den Täter zu ermitteln. In meinen Augen würde so eine Erklärung erneut auf die USA hindeuten.
Der Grund, warum Ihr Bloomberg-Interview in manchen Kreisen des Internets zu einem viralen Phänomen wurde, ist, dass man mittlerweile nur noch so selten Meinungen zu hören bekommt, die dem Mainstream-Narrativ zuwiderlaufen. Es wirkte wie ein Fehler in der Matrix. Aber wenn Journalisten privat das eine behaupten, warum schreiben sie dann öffentlich etwas anderes?
Viele Journalisten wissen eben, was die Richtlinien ihrer Arbeitgeber sind. Erst neulich schrieb die Financial Times, dass laut westlichen Geheimdienstquellen alles auf Russland als Urheber der Attacke hindeute. Das ist komplett absurd. Es gibt weder auch nur die geringsten Beweise dafür, noch ein mögliches Motiv. Aber die Behauptung ist bequem. Schauen Sie, Kriege brauchen Narrative, und dass die USA die Pipeline gesprengt hätten, passt eben nicht in das Narrativ vom Ukrainekrieg, das von Amerika, Deutschland und anderen Nato-Staaten geflochten wird. Also werden wir auch nichts Gegenteiliges mehr hören.
Hier ist ein weiteres Narrativ: Der ehemalige KGB-Agent Wladimir Putin ist ein Experte, was psychologische und hybride Kriegsführung angeht. Der Sabotageakt sorgte für Verwirrung und säte Zwietracht zwischen Deutschland und den USA und schwächt so den Zusammenhalt des westlichen Blocks.
Komplett bescheuert.
Was viele Menschen, die Ihre Worte hier lesen, überraschen könnte, ist, dass Sie als Berater mehrerer Staaten in den 80er- und 90er-Jahren mit der ökonomischen „Schocktherapie“ in Verbindung stehen. In ihrem Buch „Die Schock-Strategie“ warf Naomi Klein Ihnen vor, Ländern wie Polen, Bolivien und der Sowjetunion unter Gorbatschow Austerität und Privatisierung aufgezwungen zu haben. Mit anderen Worten, Ihr Name wird nicht mit einer Kritik am Establishment in Washington assoziiert. Im Gegenteil, Sie gelten als Washington-Insider.
Ich mag Naomi wirklich sehr, aber sie versteht nichts von Makroökonomie. Sie verstand einfach nicht, was ich damals tat. Ich half diesen Ländern, aus dem ökonomischen Niedergang aufzusteigen. Es waren meine Ideen, die dabei halfen, zum Beispiel die Schuldenlast Polens durch die internationale Gemeinschaft erlassen zu bekommen. Und darauf bin ich sehr stolz.
Aber noch mal: Wie fanden wir uns eigentlich in der Situation
wieder, dass es zu einer Sensation wird, wenn man mal in einem
Mainstream-Nachrichtensender eine abweichende Meinung zu hören bekommt?
ach dem Interview schrieben mir unzählige Menschen und sagten
sinngemäß: „Danke! Sie drückten aus, was auch ich dabei dachte.“ Wie so
oft heutzutage, wenn wir mit offiziellen Narrativen konfrontiert werden,
glaubt die Mehrheit der Öffentlichkeit dem Unsinn nicht mehr. Aber die
Moderatoren waren komplett entsetzt und fielen mir ins Wort. Winston
Churchill sagte einmal: „Im Kriege ist die Wahrheit so kostbar, dass sie
immer von einer Leibwache von Lügen umgeben sein sollte.“ Mit anderen
Worten, es ist ja auch die Aufgabe der Regierung, während eines Krieges
Lügen zu verbreiten, denn Informationskriege gehören eben mit dazu. Und
wenn man wie ich ein bisschen Erfahrung hat und über mehrere Jahrzehnte
mit unzähligen Regierungen zusammengearbeitet hat, dann überrascht es
einen auch nicht. Aber was so enttäuschend ist, ist, dass wir diese
Lügen von den Massenmedien wiedergekäut bekommen. Als ich jung war, war
die New York Times dem Vietnamkrieg gegenüber irgendwann skeptisch, wenn nicht gar oppositionell eingestellt. Es gab Investigativjournalisten wie Seymour Hersh,
der wusste, dass Regierungen lügen und er es sich zur Aufgabe machen
würde, diese Lügen aufzudecken. Das machen viele Journalisten nicht
mehr, was sehr merkwürdig und enttäuschend ist.
Warum hat sich das Gewerbe derart verändert?
Zum einen hat es eindeutig mit konzentriertem Eigentum durch die großen Konzerne zu tun. Der Journalismus erlebt außerordentlich viel Wettbewerb. Meine Hoffnung war es, dass die Publikationen diesen Wettbewerb dadurch ausüben, dass sie sich mit interessanten Meldungen übertrumpfen. Stattdessen übertrumpfen sie sich mit Sparmaßnahmen. Darum haben wir so wenig Journalisten im Kriegsgebiet. Stattdessen wird von London, Paris oder höchstens Kiew aus über den Krieg berichtet, aber nicht von der Front direkt. Darum findet sich so viel Blödsinn in den Schlagzeilen. Ich bin ein wenig altmodisch und lese immer noch die großen Zeitungen wie die New York Times, Financial Times, Washington Post und das Wall Street Journal. Aber dort finde ich kaum Erhellendes mehr. Stattdessen wiederholen die Reporter einfach nur, was ihnen das Außenministerium oder „anonyme Quellen aus dem Weißen Haus“ zugesteckt haben. Oder es wird berichtet, was Selenskyj über Nacht von sich gegeben hat. Aber ganz ohne Skepsis. Es wird lediglich wiederholt.
Was zum Beispiel?
Die Russen haben das Kernkraftwerk Saporischschja eingenommen, und die Ukrainer versuchen, es zurückzuerobern. Dabei beschießen sie das Kraftwerk. Ein Kernkraftwerk zu beschießen, ist eine wirklich schlechte Idee, aber weil der Beschuss von den Ukrainern ausgeht, wird es hier in den Massenmedien wie folgt weitergegeben: „Beide Seiten beschuldigen einander, das Kraftwerk zu beschießen.“ Ergibt es denn Sinn, dass die russischen Streitkräfte, die das Kraftwerk kontrollieren, sich selbst beschießen würden? Aber unsere Reporter wollen halt nichts berichten, das dem Narrativ zuwiderliefe.
Was viele Politiker verunsichert, ist, dass sich mehr und mehr Menschen alternativen Erklärungsansätzen zuwenden, sei es Kritik am Weltwirtschaftsforum oder Skepsis gegenüber den Pharmakonzernen. Ohne jetzt weiter auf diese Themenfelder einzugehen, woran liegt es denn Ihrer Meinung nach, dass das Vertrauen in die eigenen Regierungen in der westlichen Welt so rapide kollabiert ist? Wurde in der Vergangenheit weniger gelogen?
Ich kenne mich mit den USA am meisten aus, und dort ist das Vertrauen in die Institutionen nicht kürzlich erst eingebrochen. Dieser Vertrauensverlust fand schon in den 60er- und 70er-Jahren statt. Damals demonstrierte ich gegen den Vietnamkrieg und gegen Richard Nixon und Watergate. Ich wuchs im Nachbeben des Attentats auf John F. Kennedy auf. Auch die Attentate auf Robert Kennedy, Martin Luther King und Malcolm X fanden in meiner Jugend statt. Es gab genug Anlass für Misstrauen gegenüber der eigenen Regierung. Die „Pentagon Papers“ legten ausführlich dar, dass US-Beamte zu jeder Phase des Vietnamkrieges gelogen haben. Ich hatte das große Glück, als junger Student Daniel Ellsberg, der die Pentagon Papers veröffentlichte, kennenzulernen, also bin ich mit Skepsis quasi großgeworden. Seither hat sich das Vertrauen laut Umfragen nie erholt, vielleicht mit kurzen Ausnahmen zu Zeiten von Ronald Reagan und nach dem 11. September, als einer unserer schlimmsten Präsidenten aller Zeiten, George W. Bush, Popularität genoss.
Man möchte meinen, demokratische Abstimmungen könnten hieran etwas verändern …
Es gab eine Reihe von geplanten Angriffen auf unser Wahlsystem, die unter anderem von Lewis Powell vorangetrieben wurden. Powell fing seine Karriere als Anwalt großer Konzerne an und wurde dann Supreme-Court-Richter, woraufhin er einschneidende Grundsatzurteile verfasste, die quasi besagten, dass man am finanziellen Einfluss der Konzerne in der Politik nichts ändern könne. Die Amerikaner verstehen sehr gut, dass ihre Regierung lügt und dass die Konzerne in Wirklichkeit Regie führen und dabei nicht ans Gemeinwohl denken. Was die Außenpolitik angeht, sind wir die einzige globale Macht, die Militärpräsenz in 85 Nationen auf der ganzen Welt hat. Die CIA führt schon seit langem im Geheimen die amerikanische Außenpolitik. All das untergräbt das Vertrauen der Öffentlichkeit. Das wird dann nach außen hin als „Polarisierung“ der amerikanischen Öffentlichkeit dargestellt – aber die Amerikaner stimmen miteinander sehr wohl überein. Sie mögen den Kongress und die Regierung nicht.
Laut einer Umfrage zum Beispiel wünschen sich 69% der Bevölkerung eine universelle Krankenversicherung.
Genau. Die innenpolitischen Standpunkte, die ich vertrete – höhere Spitzensteuersätze, Krankenversicherung für alle und so weiter –, haben breite Unterstützung, für gewöhnlich um die 60 Prozent oder mehr. In Gesetzesform wird dieser Volkswille jedoch nicht gegossen, denn die großen Lobbys finanzieren die Kongresswahlen. Und wenn man sich dann den Krieg in der Ukraine ansieht, wird zu keinem einzigen Zeitpunkt eine öffentliche Debatte abgehalten. Es gibt keine Kongressanhörungen, keine Reden von Biden. Dem Volk wird rein gar nichts erklärt. Es stimmt einfach nicht, dass die Unterstützung der Ukraine durch die USA von der öffentlichen Meinung angetrieben wird. Die Öffentlichkeit wurde ja gar nicht befragt!
Wie anfangs erwähnt, haben Sie sich noch in einer zweiten Kontroverse geäußert. Nämlich standen Sie der Coronavirus-Kommission des Wissenschaftsmagazins Lancet vor. Wie fanden Sie als Ökonom in diese Rolle?
Vor mehr als 20 Jahren leitete ich die Kommission zu Makroökonomie und Gesundheit der Weltgesundheitsbehörde. Ich beriet Dr. Gro Brundtland, als sie Generaldirektorin der WHO war. Daneben beriet ich drei UN-Generalsekretäre über die Millennium-Entwicklungsziele und dann die Ziele für nachhaltige Entwicklung. Öffentliche Gesundheit spielte dabei stets eine Rolle. Ich riet auch dazu, einen globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria einzurichten und war beim PEPFAR-Programm der US-Regierung beteiligt, dem Programm, das bei der Bekämpfung von Aids helfen sollte. Als also die Coronavirus-Pandemie ausbrach, sprachen der Herausgeber des Lancet und ich miteinander und riefen diese Kommission ein, um in Echtzeit zu untersuchen, wie sich die Pandemie entwickelte und wie man das Gesundheitswesen verbessern könnte.
Ich fragte, weil bei manchen Ihrer Ansichten zur Pandemie Ihnen die Kritiker jetzt vorwerfen, Sie hätten als Ökonom nicht die richtige Expertise.
Auch das ist ein unsinniges Narrativ. Es geht nicht darum, ob man Virologe ist oder nicht. Das Narrativ um den Ursprung des Virus wurde von einer kleinen Gruppe von Virologen um Anthony Fauci herum dominiert. Und diese kleine Gruppe heckte am Anfang der Pandemie, aus Gründen, die nicht ganz klar sind, ein Narrativ aus und steht dazu. Und genau das war’s: ein Narrativ. Dieses stützte sich auf keinerlei rigorose Ermittlung der Ursachen.
Sie sind Vertreter der Laborthese. Wie kamen Sie dazu?
Der Abschlussbericht des Lancet nimmt dazu klar Stellung. Er besagt, dass es zwei mögliche Hypothesen zum Ursprung des Virus gibt: die des natürlichen, zoonotischen Ursprungs und eben die, dass das Virus das Ergebnis von wissenschaftlichen Experimenten war. Der Bericht besagt, dass wir keine angemessene Untersuchung beider Thesen hatten und dass wir eine echte Untersuchung brauchen. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren sehr viel Zeit mit diesem Thema verbracht, viel mehr, als ich mir träumen ließ. Ich sprach mit einer unglaublichen Anzahl an Menschen aus der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft sowie aus der Politik. Wir profitierten vom heroischen Investigativjournalismus von Emily Kopp von der Organisation U.S. Right to Know, die eine Klage nach der anderen eingereicht hat, welche die US-Regierung zwangen, wenigstens ein bisschen Einblick zu schaffen, auch wenn dann oft hunderte von Seiten geschwärzt waren. Man sieht, dass die Regierung komplett intransparent ist.
Und die Recherchen ergaben was?
Zu Beginn der Pandemie dachten sich die Wissenschaftler, die das Genom des Virus untersuchten und die wussten, welche Forschungen betrieben wurden, dass dies aus dem Labor entkommen sein könnte. Innerhalb weniger Tage verfassten dieselben Wissenschaftler einen Aufsatz, der besagte, der Ursprung sei definitiv zoonotisch. Was sie hätten sagen sollen, war, das könnte ebenso einem Labor entkommen sein, und hier sind die Dinge, die wir überprüfen müssen, um die These zu untermauern oder zu entkräften. Die Tatsache, dass diese kleine Gruppe dieser Frage vom ersten Tag an nicht nachging, zeigt, wie scheinheilig das Ganze war. Wir wissen, dass Fauci und der Direktor der National Institutes of Health, Francis Collins, aus welchem Grund auch immer die Laborthese unterdrücken wollten. Vielleicht wollten sie nicht, dass die Finanzierung der Experimente zu ihnen zurückverfolgt werden konnte. Vielleicht wussten sie nicht, wo das Virus herkam. Vielleicht dachten sie sich, die Beziehungen zu China standen auf der Kippe. So oder so heckten sie ein Narrativ aus. So etwas tut man nicht als Antwort auf ein Ereignis, das bisher womöglich 18 Millionen Menschen das Leben gekostet hat.
Meinen Sie, wir werden den Ursprung des Virus jemals endgültig ermitteln können?
Das kann gut sein, besonders wenn beteiligte Personen an die Öffentlichkeit treten. Übrigens, Robert Redfield, der 2020 Direktor der US-Infektionskontrollbehörde CDC war, steht explizit zur Laborthese. Er hat enorme Erfahrung im Bio-Verteidigungszentrum von Fort Detrick – und Fauci machte ihn mundtot. Redfield ist kein Ökonomieprofessor der Columbia University. Er ist der ehemalige Direktor des CDC! Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass die amerikanische Regierung auf den höchsten Ebenen Narrative stiftet. Auch wenn es widersprüchliche Informationen gibt, man wischt sie einfach beiseite. Biden sagte, er würde Nord Stream ein Ende machen? Ist doch egal. Der Direktor des CDC sagt über den Ursprung des Virus aus? Achtet nicht auf den Mann. Es ist schwierig, sich dabei wie Erwachsene zu unterhalten, denn unsere Regierung versucht nicht herauszufinden, was wirklich geschieht. Sie sorgt sich einzig um die Aufrechterhaltung von Narrativen.
Das Gespräch führte Gregor Baszak.
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