Im Zeitalter der falschen Helden (WELT+)Von Ulf Poschardt, Chefredakteur, 20.10.2022
Klima-aktivistische Wissenschaftler kleben sich bei Porsche an und
beschweren sich, dass ihnen keiner Toiletten hinstellt. Diese Art von
Anmaßung ist das Ergebnis einer kompletten Verrücktheit
gesellschaftlicher Debatten. Was sagt das über unsere Zeit?
Es sagt viel über
unsere Zeit und unser Land aus, wenn die Helden der Gegenwart Blockierer
und Selbstankleber sind. Waren linke Utopien bis in das 20. Jahrhundert
mit einem Fortschritts- und Beschleunigungsglauben verbunden,
erscheinen Stillstand und Entschleunigung heute als das neue Maß linken
Denkens.
Es ist die Sehnsucht nach einer bequemen, da ökonomisch bestens
abgesicherten Bürgerlichkeit, die es gerne ein wenig ruhiger hätte. Die
passiv-aggressive Art des Protestes verbindet ein Maximum an
Rücksichtslosigkeit mit einem Minimum an Komplexität.
Was zu konstatieren ist: Das Lahmlegen von Straßen,
das Sabotieren des Bundestages und der Ministerien, die rüde
Diskursverschiebung in Talkshows, das plumpe wie aggressive Agitieren
des Umerziehungsfanblocks in den sozialen, in den privat und
öffentlich-rechtlich finanzierten Medien – all das gelingt nicht nur mit
leichter Hand, es wird im Zweifel jeden Tag mehr. Wie absurd das dann
geraten kann, lesen Sie zum Schluss.
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Zudem mangelt es an Kraftzentren, die auch Widerspruch so
substanziell artikulieren können, dass er breiter als in den eigenen,
oft verbitterten Blasen verfängt. Zudem fehlt der liberalen und
bürgerlichen Welt oft das Selbstbewusstsein. Die Anständigen haben davon
mehr, als es angemessen erscheint.
Moralische Zwei-Klassen-Gesellschaft
Im Calvinismus gibt es, um es ein wenig knapp zu formulieren, die
Vorstellung, dass der Mensch nicht in der Lage ist, anständig zu leben:
Seit dem Sündenfall ist er ganz in seinem Frevel verstrickt, nur ein
paar Erwählte seien willens und in der Lage, ein gutes Leben zu führen.
Diese moralische Zwei-Klassen-Gesellschaft hat sich in den
vergangenen Jahren noch stärker ausgeprägt – und mit ihr die Brutalität,
mit der aussortiert wird. Während sich Umweltaktivisten jeden Tag mehr
herausnehmen, wird sich über die Skeptiker der Corona-Maßnahmen empört,
ihnen das Demonstrationsrecht in Abrede gestellt.
Die Freiheit der neuen Calvinisten, sich Dinge herauszunehmen, steht
im grellen Gegensatz zu ihrer Neigung, anderen Menschen Freiheitsrechte
abzusprechen. Der linke Marsch durch die Institutionen ist gut fünf
Jahrzehnte nach 1968 dort angekommen, wogegen er sich einst formiert hatte: in einer engen, spießigen Welt.
In stillgelegten Straßen mit Sperrholzmöbeln und kaum genutzten
Fahrradwegen, mit nostalgischen Kiezen und einer Degrowth-Fantasie, die
sich nur leisten kann, wer schon hat. Künstler und Intellektuelle haben
kapituliert, machen mit oder halten die Klappe. Was einst führende
Intellektuelle und Institutionen dazu zu melden haben, ist von einer
schockierenden Windschnittigkeit.
Die säkularen Calvinisten sind Tugenddarsteller
Der freiheitssehnsüchtige Bürger hat keinerlei intellektuelle
Repräsentation. „Wurde bei den alten Calvinisten der Reichtum
ausgestellt, mit prunkvollen Innenräumen der Auserwählten, die ohne
Gardinen von der Straße aus bewundert werden konnten als Ausweis der
Auserwähltheit“, so der Befund von vor drei Jahren,
„ist es bei den neuen Calvinisten das ‚virtue signalling‘: die
Tugendanzeige, das angestrahlte Leuchten des Anstands durch Worte und
Gesinnung. Die säkularen Calvinisten sind Tugenddarsteller.“
Heute wollen da die Intellektuellen, Schriftsteller und Künstler
gerne mitmachen. Deswegen sind weite Teile des Kulturbetriebs
gleichförmig wie öde – besonders der steuerfinanzierte Moralkram auf den
Theaterbühnen, in Lyrikwerkstätten wie in Stadtschreibereien und in
rundfunkbeitragsfinanzierten Filmen. Und in antisemitischen
Quark-Kunstschauen wie der Documenta.
Die Protestierer müssen nichts beweisen. Sie blockieren, maulen und
haben nichts außer einer beeindruckenden Verbots- und Verzichtsideologie
anzubieten. Ihre Verachtung für die Freiheit konnte in den
Corona-Lockdowns bestaunt werden, die eine Art Etüde eines
gesamtgesellschaftlichen Blockade-Ereignisses war.
Anders als das beeindruckende Engagement von Boyan Slat zum
Beispiel, der als 18-Jähriger begann, die Weltmeere von Plastikmüll zu
befreien, anders auch als die Nachhaltigkeit von Patagonia und Ferrari
(keiner wird je verschrottet), anders als die neuerdings selbstkritische
Zurückhaltung und Differenziertheit von Greta Thunberg wirken die immer
radikaler werdenden und tönenden deutschen Aktivisten von jeder
Verantwortung für die Stimmung in der Gesellschaft befreit.
Die scheinheiligen Bettelmönche der Bewegung halten eine Dystopie für
eine Hoffnung, die für die meisten weniger privilegierten Menschen vor
allem einen endlosen Kampf um das ökonomische Überleben bedeutet.
Erfolgsgeschichte Globalisierung
Der Quark, dass damit im Globalen Süden
irgendwas oder irgendwer gerettet wird, soll von der eigenen
Engherzigkeit und dem Desinteresse an Andersdenkenden und -lebenden
ablenken. Die Globalisierung ist eine Erfolgsgeschichte. Die ökologische
Transformation ist bereits eingearbeitet. Der Fortschritt, auch und
gerade der CO2-relevante, wird aus jenen Ländern kommen, die
nicht Moral, sondern Wissen und Innovation in das Zentrum ihrer
Volkswirtschaft stellen.
Es ist ermüdend, dies immer wieder zu artikulieren.
Am Anfang des Textes hieß es, es ist bezeichnend, dass die Helden der
Gegenwart Blockierer und Selbstarretierer sind. Das war zu
optimistisch. Wirklich bezeichnend ist, dass sich die Wissenschaftler,
die sich bei Porsche in der Autowelt ankleben, darüber beschweren, dass VW ihnen weder Toiletten hinstellt noch Licht und Heizung anlässt.
Vorgetragen im Hungerleider-Pathos aus dem Stadttheater nebenan, ist
diese Art von Anmaßung das Ergebnis einer kompletten Verrücktheit
gesellschaftlicher Debatten. Und die Rolle der Medien dabei ist
unheilvoll.
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