21 Oktober 2022

Im Zeitalter der falschen Helden (WELT+)

Im Zeitalter der falschen Helden (WELT+)
, Chefredakteur, 20.10.2022
Klima-aktivistische Wissenschaftler kleben sich bei Porsche an und beschweren sich, dass ihnen keiner Toiletten hinstellt. Diese Art von Anmaßung ist das Ergebnis einer kompletten Verrücktheit gesellschaftlicher Debatten. Was sagt das über unsere Zeit?
Es sagt viel über unsere Zeit und unser Land aus, wenn die Helden der Gegenwart Blockierer und Selbstankleber sind. Waren linke Utopien bis in das 20. Jahrhundert mit einem Fortschritts- und Beschleunigungsglauben verbunden, erscheinen Stillstand und Entschleunigung heute als das neue Maß linken Denkens.
Es ist die Sehnsucht nach einer bequemen, da ökonomisch bestens abgesicherten Bürgerlichkeit, die es gerne ein wenig ruhiger hätte. Die passiv-aggressive Art des Protestes verbindet ein Maximum an Rücksichtslosigkeit mit einem Minimum an Komplexität.
Was zu konstatieren ist: Das Lahmlegen von Straßen, das Sabotieren des Bundestages und der Ministerien, die rüde Diskursverschiebung in Talkshows, das plumpe wie aggressive Agitieren des Umerziehungsfanblocks in den sozialen, in den privat und öffentlich-rechtlich finanzierten Medien – all das gelingt nicht nur mit leichter Hand, es wird im Zweifel jeden Tag mehr. Wie absurd das dann geraten kann, lesen Sie zum Schluss.
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Der Erfolg dieser Heidegger-Avantgarde ist enorm. Der Autor dieser Zeilen staunte vor gut drei Jahren über den neuen säkularen Calvinismus. Seither ist er auch deshalb erblüht, weil die bürgerliche Welt sich opportunistisch dem Stuss ergeben hat – oder zu feige ist, dagegen zu opponieren.
Zudem mangelt es an Kraftzentren, die auch Widerspruch so substanziell artikulieren können, dass er breiter als in den eigenen, oft verbitterten Blasen verfängt. Zudem fehlt der liberalen und bürgerlichen Welt oft das Selbstbewusstsein. Die Anständigen haben davon mehr, als es angemessen erscheint.
Moralische Zwei-Klassen-Gesellschaft
Im Calvinismus gibt es, um es ein wenig knapp zu formulieren, die Vorstellung, dass der Mensch nicht in der Lage ist, anständig zu leben: Seit dem Sündenfall ist er ganz in seinem Frevel verstrickt, nur ein paar Erwählte seien willens und in der Lage, ein gutes Leben zu führen.
Diese moralische Zwei-Klassen-Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren noch stärker ausgeprägt – und mit ihr die Brutalität, mit der aussortiert wird. Während sich Umweltaktivisten jeden Tag mehr herausnehmen, wird sich über die Skeptiker der Corona-Maßnahmen empört, ihnen das Demonstrationsrecht in Abrede gestellt.
Die Freiheit der neuen Calvinisten, sich Dinge herauszunehmen, steht im grellen Gegensatz zu ihrer Neigung, anderen Menschen Freiheitsrechte abzusprechen. Der linke Marsch durch die Institutionen ist gut fünf Jahrzehnte nach 1968 dort angekommen, wogegen er sich einst formiert hatte: in einer engen, spießigen Welt.
In stillgelegten Straßen mit Sperrholzmöbeln und kaum genutzten Fahrradwegen, mit nostalgischen Kiezen und einer Degrowth-Fantasie, die sich nur leisten kann, wer schon hat. Künstler und Intellektuelle haben kapituliert, machen mit oder halten die Klappe. Was einst führende Intellektuelle und Institutionen dazu zu melden haben, ist von einer schockierenden Windschnittigkeit.
Die säkularen Calvinisten sind Tugenddarsteller
Der freiheitssehnsüchtige Bürger hat keinerlei intellektuelle Repräsentation. „Wurde bei den alten Calvinisten der Reichtum ausgestellt, mit prunkvollen Innenräumen der Auserwählten, die ohne Gardinen von der Straße aus bewundert werden konnten als Ausweis der Auserwähltheit“, so der Befund von vor drei Jahren, „ist es bei den neuen Calvinisten das ‚virtue signalling‘: die Tugendanzeige, das angestrahlte Leuchten des Anstands durch Worte und Gesinnung. Die säkularen Calvinisten sind Tugenddarsteller.“

Heute wollen da die Intellektuellen, Schriftsteller und Künstler gerne mitmachen. Deswegen sind weite Teile des Kulturbetriebs gleichförmig wie öde – besonders der steuerfinanzierte Moralkram auf den Theaterbühnen, in Lyrikwerkstätten wie in Stadtschreibereien und in rundfunkbeitragsfinanzierten Filmen. Und in antisemitischen Quark-Kunstschauen wie der Documenta.

Die Protestierer müssen nichts beweisen. Sie blockieren, maulen und haben nichts außer einer beeindruckenden Verbots- und Verzichtsideologie anzubieten. Ihre Verachtung für die Freiheit konnte in den Corona-Lockdowns bestaunt werden, die eine Art Etüde eines gesamtgesellschaftlichen Blockade-Ereignisses war.

Anders als das beeindruckende Engagement von Boyan Slat zum Beispiel, der als 18-Jähriger begann, die Weltmeere von Plastikmüll zu befreien, anders auch als die Nachhaltigkeit von Patagonia und Ferrari (keiner wird je verschrottet), anders als die neuerdings selbstkritische Zurückhaltung und Differenziertheit von Greta Thunberg wirken die immer radikaler werdenden und tönenden deutschen Aktivisten von jeder Verantwortung für die Stimmung in der Gesellschaft befreit.

Die scheinheiligen Bettelmönche der Bewegung halten eine Dystopie für eine Hoffnung, die für die meisten weniger privilegierten Menschen vor allem einen endlosen Kampf um das ökonomische Überleben bedeutet.

Erfolgsgeschichte Globalisierung

Der Quark, dass damit im Globalen Süden irgendwas oder irgendwer gerettet wird, soll von der eigenen Engherzigkeit und dem Desinteresse an Andersdenkenden und -lebenden ablenken. Die Globalisierung ist eine Erfolgsgeschichte. Die ökologische Transformation ist bereits eingearbeitet. Der Fortschritt, auch und gerade der CO2-relevante, wird aus jenen Ländern kommen, die nicht Moral, sondern Wissen und Innovation in das Zentrum ihrer Volkswirtschaft stellen.

Es ist ermüdend, dies immer wieder zu artikulieren.

Am Anfang des Textes hieß es, es ist bezeichnend, dass die Helden der Gegenwart Blockierer und Selbstarretierer sind. Das war zu optimistisch. Wirklich bezeichnend ist, dass sich die Wissenschaftler, die sich bei Porsche in der Autowelt ankleben, darüber beschweren, dass VW ihnen weder Toiletten hinstellt noch Licht und Heizung anlässt. Vorgetragen im Hungerleider-Pathos aus dem Stadttheater nebenan, ist diese Art von Anmaßung das Ergebnis einer kompletten Verrücktheit gesellschaftlicher Debatten. Und die Rolle der Medien dabei ist unheilvoll.

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