„Wir in Deutschland...“ – Die neue depressive Utopie des Olaf Scholz
Ressortleiter Feuilleton, 06.01.2024
Ressortleiter Feuilleton, 06.01.2024
2015 sagte Angela Merkel: „Wir schaffen das.“ Heute formuliert Olaf Scholz: „Wir in Deutschland kommen da durch.“ Eine Rhetorik wie ein Offenbarungseid: In der Politik galten einmal Mut und Gestaltungswille als Tugenden. Heute geht es nur noch darum, den Zusammenbruch abzuwenden.
Ein Gespenst geht um im demokratischen Westen, und es ist – da sind sich die politischen Kommentatoren immer einiger – das Gespenst des Populismus. Doch je länger man über den populären Schmähbegriff nachdenkt, desto rätselhafter wird er, denn „populus“ ist der lateinische Terminus für „das Volk“, das wiederum in seiner griechischen Form „demos“ den Kerngehalt unserer Staatsform bildet, der Demokratie.
Alle Staatsgewalt, so heißt es im Grundgesetz, geht vom Volke aus. Eine gezielte Ansprache des Souveräns durch die Politik sollten Demokraten also eigentlich nicht als existenzielle Gefahr betrachten. Das aber tut nicht nur der Duden: „Populismus, der: von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen“.
Aber kann man sich überhaupt auf eine unpopulistische Art und Weise an die Bevölkerung wenden – und wie sähe diese aus? Vermutlich ungefähr so wie die Neujahrsansprache des deutschen Bundeskanzlers.
Olaf Scholz beschwor darin zunächst den Topos einer krisengeschüttelten Welt im Umbruch – leitete daraus aber nicht etwa die Notwendigkeit ab, diese eingreifend zu gestalten, sondern vielmehr die seufzende Forderung, sich ihr so gut es geht anzupassen: „Auch wir müssen uns deshalb verändern.“
Dass keineswegs Einigkeit darüber herrscht, inwiefern und wohin „wir“ uns verändern müssen, ja, dass dies eine genuin politische Frage ist, überspielt Scholz – und schenkt jenen, die Vorbehalte haben, sein paternalistisches Mitleid, indem er ihr Unbehagen als Symptom von Überforderung behandelt: „Vielen von uns bereitet das Sorgen. Bei einigen sorgt das auch für Unzufriedenheit. Ich nehme mir das zu Herzen.“
Der letzte Satz ist bloß die pathetische Version jener kühlen Ich-sehe-das-Floskel, mit der moderne Führungskräfte interne Differenzen wegmoderieren. „Und zugleich weiß ich“, so leitet Scholz, weiter im Modus der Gewissheit, sein Motto für 2024 ein: „Wir in Deutschland kommen da durch.“
Wir kommen da durch: So also lautet das Mantra einer Politik, die den vermeintlich vernünftigeren Gegenpol zum Populismus besetzen will. Es ist der kümmerliche Rest des technokratischen Versprechens, sich irgendwie durch die Krisen unserer Zeit hindurchzumanagen.
Durchzukommen – das kann nur heißen: als politisches Minimalziel den Zusammenbruch zu vermeiden. Damit markiert der Scholz-Satz die letzte Schwundstufe einer rhetorischen Formel, die 2008 mit Barack Obamas „Yes we can“ noch heroisch, visionär und ermächtigend klang. In Angela Merkels Eindeutschung „Wir schaffen das“ war 2015, auf dem ersten Höhepunkt der Flüchtlingskrise, schon die Autosuggestion unüberhörbar – und zugleich der Versuch, Kritik und Skepsis durch eine offizielle Durchhalteparole zu übertönen.
Mit „Wir in Deutschland kommen da durch“ ist nun fast schon die Ebene der Parodie erreicht – einerseits durch das seltsam diffuse „Wir in Deutschland“, das offensichtlich die Benennung „Wir Deutschen“ umschiffen soll, andererseits durch die ins Ortlose weisenden Präpositionen „da“ und „durch“, die eine konfrontative und konkrete Auseinandersetzung mit den Konflikten der Zeit vermeiden, um sich stattdessen – Augen zu und durch! – einen Weg hindurchzubahnen. Es ist eine depressive, fast schon passive Utopie: Die Gegenwart erscheint wie dunkler Tunnel, der einen irgendwo wieder ausspuckt – hoffentlich.
Bei diesem sehr deutschen Hindurchwurschteln, so die Botschaft, sollen „wir in Deutschland“ also der Politik vertrauen. Mut, Hoffnung, Veränderungswille – Scholz versucht nicht einmal mehr, diese urpolitischen Emotionen aufzurufen. Man kann nur hoffen, dass wir da so nicht durchkommen – und die demokratische Politik im Jahr 2024 mehr Populismus wagt.
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