Gabor Steingart, 12.01.2024
"Nach langen und intensiven Gesprächen mit meiner Ehefrau, meinem Hund und meinen beiden Parteifreunden habe ich den Entschluss gefasst, vom Amte des Kanzlers mit sofortiger Wirkung zurückzutreten".
Das politische Berlin rätselt jetzt, wen Scholz mit seinen ‚beiden Parteifreunden‘ gemeint haben könnte und wie er auf diese hohe Zahl kommt.“
Diese Meldung veröffentlichte das digitale Satiremagazin „Markscheid am Mittwoch“ bereits wenige Wochen nachdem sich die Ampelkoalition gebildet hatte. Satiriker sind zuweilen ihrer Zeit voraus. Ihre Stoffe aber sind oft der Wirklichkeit abgelauscht.
Zwei Jahre später ist Scholz noch immer Kanzler, aber seine Gefolgschaft schmilzt wie ein erkaltetes Soufflé. Die Satire ist auf dem Weg, sich in die Wirklichkeit zu transformieren. Die Worte „Rücktritt“ oder „Kanzlersturz“ machen zumindest in der Softvariante bereits die Runde. Personelle Erneuerung und inhaltlicher Neuanfang heißt es jetzt. Das klingt weniger rabiat, aber meint in der Sprache der Parteipolitiker dasselbe.
Die Guillotine der SPD ist seit jeher gut geölt. Parteivorsitzende und Kanzler leben im Reservat der Sozialdemokratie gefährlicher als König Ludwig XIV. in Versailles. Denn: Führende Sozialdemokraten werden in aller Regel nicht vom politischen Gegner und auch nicht vom Mob der Straße, sondern von den eigenen Leuten zur Strecke gebracht.
So trieb die Parteilinke ihren Kanzler Helmut Schmidt im Spätsommer 1982 derart in die Enge, bis der Koalitionspartner FDP sein Heil an der Seite von Helmut Kohl suchte. 16 lange Jahre regierte ein Konservativer.
Im Sommer 2005 rebellierte die SPD-Funktionärsbasis nach einer Serie verlorener Landtagswahlen, zuletzt sogar in Nordrhein-Westfalen, gegen Kanzler Gerhard Schröder, so dass der genervt die Flucht in die Neuwahl antrat. Schröders rot-grüne Koalition verlor, wenn auch nur knapp. 16 lange Jahre Angela Merkel waren die Folge.
Mehrere Parteivorsitzende kamen unter putschähnlichen Umständen ums politische Leben. Der stellvertretende Parteivorsitzende und saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine trat 1995 beim Parteitag der SPD in Mannheim spontan gegen den blutleeren Amtsinhaber Rudolf Scharping an und fegte ihn unter dem Applaus der Genossen aus dem Amt. „BILD“ schlagzeilte:
Rrrumms! Oskar da.
Der Parteivorsitzende Kurt Beck wurde im September 2008 bei einer Klausursitzung der SPD am Schwielowsee in einer lang vorbereiteten Parteiintrige versenkt. Er erinnerte sich später voller Bitterkeit an die Ereignisse:
Auch Sigmar Gabriel machte als SPD-Parteichef die Erfahrung, dass die Hinterzimmer-Geister zuweilen mächtiger sind als die Wähler. Die im Dunkeln sieht man nicht.Der Schwielowsee gilt vielen Genossen bis heute als schwerer Sündenfall im Hinblick auf innerparteiliche Solidarität und den menschlichen Umgang miteinander. Ich glaube, zu Recht.
Der Europapolitiker Martin Schulz, der damals als neuer Hoffnungsträger der SPD gefeiert wurde, drängte ihn zur Seite. Am 24. Januar 2017 verzichtete der damalige Parteivorsitzende Gabriel – scheinbar freiwillig – auf eine Kanzlerkandidatur. Er sprach sich für Schulz als Spitzenkandidaten und SPD-Vorsitzenden aus – und blieb Außenministe
Diese Putsch-Erfahrungen – die belegen, dass der interne Sturz in aller Regel dem politischen Gegner nutzt – kommen Olaf Scholz heute zugute. Die SPD-Führung jedenfalls zögert, die Debatte um die Scholz-Nachfolge zu eröffnen. Zumal Boris Pistorius – der beliebte Verteidigungsminister – um die Kurzlebigkeit öffentlicher Gunstbeweise weiß:
"Das Publikum liebt den Verrat, aber hasst den Verräter".
Die Bundestagsfraktion, wo ein Großteil der Abgeordneten um das Mandat fürchten muss, ist schon weniger geduldig. Die Aussicht auf einstellige Wahlergebnisse im Osten, eine verlorene Europawahl und die anhaltenden Proteste von Bauern und Lokführern stimmt die Abgeordneten depressiv.
Auch unter den Ministerpräsidenten hat eine dezente Absatzbewegung begonnen. Manuela Schwesig, Dietmar Woidke und Stephan Weil stellten sich hinter die Forderung der Bauern, die einen vollständigen Erhalt der Subventionen für Diesel verlangen – und damit gegen Scholz und sein Spardiktat.
Wir lernen: Olaf Scholz wird nicht bekämpft, nur belauert. Die Guillotine wird nicht benutzt, nur weiter geölt. Der Putsch, der ihm bevorsteht, ist der am besten prognostizierbare Putsch der jüngeren Parteigeschichte. So ist denn der amtierende Kanzler heute Morgen der einsamste Mann im Lande. Oder wie Friedrich Nietzsche zu sagen pflegte:
"Die Einsamkeit ist ein unheimlicher Ort, besonders wenn man sich dort selbst begegnet".
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