14 Januar 2024

Migrationspolitik - „In der jetzigen Situation sind die Zuwanderer kein Gewinn" (Cicero)

Migrationspolitik
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„In der jetzigen Situation sind die Zuwanderer kein Gewinn“ (Cicero)
Geringqualifizierte Einwanderung, hochqualifizierte Auswanderung: Um die finanzielle Stabilität des deutschen Sozialstaats ist es nicht gut bestellt, meint Rentenexperte Bernd Raffelhüschen im Interview. Harte Verteilungskämpfe kommen auf uns zu.
INTERVIEW MIT BERND RAFFELHÜSCHEN am 12. Januar 2024
Die Studie hatte diese Woche für Aufregung gesorgt: Gemeinsam mit Kollegen der „Stiftung Marktwirtschaft“ war der Volkswirt und Rentenexperte Bernd Raffelhüschen zu dem Ergebnis gekommen, dass die aktuelle Migration nach Deutschland entgegen vielfacher anderslautender Einschätzungen aus Wissenschaft und Politik die finanzielle Stabilität des Sozialstaats nicht stärkt, sondern mindert.
Auch Szenarien, in denen Migranten stärker nach Qualifikation ausgewählt oder zusätzlich zur bestehenden Asylmigration hochqualifizierte Arbeitskräfte angeworben würden, seien für den Sozialstaat noch teurer als ein hypothetisches Szenario völlig ohne Migration. Eine unzweifelhafte Stärkung wäre nur eine insgesamt überdurchschnittlich qualifizierte Arbeitskräftemigration – ebenfalls eine unrealistische Variante. Als Grundproblem identifiziert Raffelhüschen dabei nicht nur die ungesteuerte Migration, sondern auch die schon lange bestehende Schieflage des Sozialstaats.

Herr Raffelhüschen, Ihr Kollege Marcel Fratscher hat im November in der Zeit argumentiert, man werde aufgrund des Arbeitskräftemangels nicht nur die „3,3 Millionen Menschen, die bereits heute als Geflüchtete oder Geduldete in Deutschland sind“ brauchen, sondern noch dreimal so viele. Häufig hört man auch das Argument, Zuwanderung sei zur Finanzierung der Sozialsysteme nötig. Ihre Ergebnisse scheinen etwas anderes nahezulegen, oder?

Dass wir Arbeitskräfte brauchen, ist richtig. Aber das größte Reservoir an Fachkräften haben wir in Deutschland selbst, nämlich alte Menschen und Frauen. Leider belohnen wir derzeit Teilzeitmodelle und Frührente, statt diese fiskalisch zu bestrafen. Die Millionen, die Marcel Fratzscher vorschlägt, sind völlig bizarr. Zuwanderung hilft dann, wenn sie qualifizierter und in geringerem Umfang als bisher stattfindet.

In jedem der von Ihnen präsentierten Zuwanderungsszenarien (von dem hypothetischen Fall der reinen hochqualifizierten Arbeitsmigration einmal abgesehen) steigt jedenfalls die Belastung für die öffentlichen Finanzen durch Migration. Können Migranten in der Lage, wie sie sich derzeit gestaltet, also gar nichts zur Stabilisierung unseres Sozialstaates beitragen?

In der jetzigen Situation sind die Zuwanderer kein Gewinn, sondern tatsächlich eher Menschen, die von unserem Sozialstaat leben, als dass sie zu ihm beitragen. Das liegt nicht daran, dass sie Ausländer sind, sondern schlichtweg daran, dass sie in der Regel unqualifiziert sind. Und für unterdurchschnittlich Qualifizierte ist der deutsche Sozialstaat ein sehr starker Geber. Ein Zuwanderer, der im Vergleich zur hiesigen Bevölkerung unterdurchschnittlich qualifiziert ist, gleicht einem Inländer, der sein Leben lang Bürgergeld bezieht oder nur als niedrig bezahlter Beschäftigter lebt und deutlich von den anderen quersubventioniert werden muss.  

Zuwanderer mögen durchschnittlich weniger qualifiziert sein, dafür sind sie in der Regel aber jünger. Ist dadurch nichts gewonnen?

Der Verjüngungseffekt durch die Zuwanderung ist natürlich etwas Positives, gerade wenn Zuwanderer nicht mehr zur Schule und Universität gehen müssen. Theoretisch könnten Sie ja sofort in das Arbeitsleben einsteigen. Dennoch brauchen diese jungen Menschen sehr lange, um integriert zu werden. Wir unterstellen eine Integration in den Arbeitsmarkt innerhalb von sechs Jahren, und das ist eigentlich ein sehr optimistisches Szenario, das wir nach der ersten Einwanderungswelle, nämlich der türkischen und italienischen Einwanderung in den Wirtschaftswunderjahren, nie wieder geschafft haben.

Das heißt, die aktuelle Zuwanderung ist eigentlich noch viel teurer als Ihren Modellrechnungen zufolge?

Also realistisch sind unsere Ergebnisse nicht, denn wir haben keine Daten über die, die jetzt gerade kommen. Unsere Daten sind rückwärtsgewandt, die kommen aus der Statistik des Finanzministeriums, aus dem Sozioökonomische Panel und so weiter. Wenn Sie überlegen, wer etwa im Sozioökonomischen Panel einen 200 Seiten langen Fragebogen ausfüllen kann, dann ist das kein afghanischer Flüchtling, der gerade seinen Deutschkurs antritt. Wir benutzen also Ausländerprofile, die eigentlich absurd optimistisch sind. Da sind ja sogar die Ausländer aus dem europäischen Ausland dabei, und das sind schon sehr, sehr gut integrierte Ausländer. Die Zuwanderer, die im Moment kommen, haben diese Aussicht auf Integrationserfolg eher nicht.

Passend zum Thema: 

Was halten Sie von Olaf Scholz´ angekündigter Abschiebeoffensive? Könnte die im Umkehrschluss für eine Stabilisierung der Sozialsysteme sorgen?

Diejenigen, die schon hier sind und integriert sind, sind ja wertvoll für uns. Aber eines ist klar: Wer kein Asyl bekommt, sollte nur dann geduldet werden, wenn er uns etwas bringt. Vor allem aber müssen wir die Anreize für die verringern, die möglicherweise kommen, weil sie in die sozialen Sicherungssysteme einwandern wollen. Denen müssen wir klarmachen: Die Flucht über das Mittelmeer lohnt sich nicht, wir bringen euch wieder zurück. Das können wir in Europa allerdings nur zusammen beschließen.

Auch in einem theoretischen Szenario völlig ohne Migration ist der deutsche Sozialstaat Ihren Ergebnissen zufolge ja nicht nachhaltig finanziert.  

Tja, die Kassandrarufe der Wissenschaft, was die Demographie angeht, sind 50 Jahre lang verhallt. Es ist nichts gemacht worden. Jetzt haben wir das Malheur, und dagegen müssen wir natürlich mit allen Mitteln ankämpfen. Dazu gehört qualifizierte Zuwanderung, dazu gehört die Beschäftigung der älteren Arbeitnehmer. Die Frauenerwerbsquote muss sofort erhöht werden. Auch damit bringen wir die Sache nicht mehr ins Lot, dazu haben wir zu lange gepennt. Aber wir können die Dramatik der Situation mildern. Und das sollten wir tun. Momentan ist unser Sozialstaat nicht nur für die Zuwanderer, sondern auch für die Einheimischen ein nicht tragfähiges, nicht nachhaltiges System. Ein Drittel der Wertschöpfung geben wir für Soziales aus. Das ist angesichts des demographischen Wandels nicht länger finanzierbar. 28 oder 29 Prozent wären vielleicht noch tragbar. So viel war es in den 80er und 90er Jahren, und damals war Deutschland ja auch ein Sozialstaat.

Was passiert denn, wenn weder die sozialen Sicherungssysteme reformiert werden, noch die Migrationspolitik geändert wird?

Ein Deutschland, das Zuwanderung nicht steuert, wird ein Deutschland sein, das ein Prekariat hat, das an Haut- und Haarfarbe zu erkennen ist. Ein Deutschland, das in der Grundrente in 20 bis 30 Jahren fast nur noch Menschen mit Migrationshintergrund haben wird. Ein Deutschland, das sozial sehr gespalten sein wird. Dann kommen noch ganz andere Verteilungskämpfe auf uns zu als derzeit. Es ist also unerlässlich, dass wir die momentan zu langen Integrationsphasen verkürzen. Wir müssen schneller in die Arbeitsmärkte integrieren, und wir müssen sehen, dass wir die Zuwanderer qualifizierter bekommen.  

Sie spielen unter anderem ein Szenario durch, in dem zusätzlich zur geringqualifizierten Migration pro Jahr 100.000 gut ausgebildete Menschen einwandern. Ist es angesichts der hohen Sozialabgabenbelastung eigentlich überhaupt realistisch für Deutschland, gut ausgebildete Migranten anzuziehen?

Im Vergleich zu englischsprachigen Ländern haben wir natürlich den Nachteil der Sprache. Und Steuern und Abgaben sind in Deutschland wenig attraktiv. Deutschland hat aber auch etwas zu bieten. Einem indischen Softwareentwickler, der in Bombay ein deutschsprachiges Gymnasium besucht hat, würde ich sagen, du kriegst was dafür. Schau dir dein Land an und die sozialen Unruhen und die Ungleichheit. Wir sind eigentlich ein sehr ausgewogenes, friedliches Land, das ist etwas wert. Andererseits sehen wir, dass die Kündigung des Generationenvertrags durch hochqualifizierte Deutsche erfolgt. Während die Qualifikationsstruktur der Zuwanderung unterdurchschnittlich ist, sind die Abwanderer aus Deutschland deutlich überdurchschnittlich qualifiziert. Und das ist etwas, was die Akzeptanz des Generationenvertrags gefährdet. Das liegt natürlich daran, dass die Hochqualifizierten mehr und mehr belastet werden.

Man könnte also zu dem Schluss kommen, dass die derzeitige Einwanderung gleichzeitig zur Auswanderung Hochqualifizierter führt, weil die Steuer- und Abgabenbelastung dadurch tendenziell steigt? 

Das, glaube ich, ist tatsächlich der Fall. Jedenfalls gehen die Leute massenweise. Ich beobachte das im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet. Die entsprechenden Belastungen durch den Sozialstaat in Deutschland sind immens, Steuern und Beiträge in der Schweiz sind deutlich geringer. Wenn ich mir anschaue, wer in der Schweiz als Arzt arbeitet, dann sind das keine mit Schweizer Dialekt. Der deutsche Steuerzahler hat die Ausbildung der Ärzte bezahlt, die dann in der Schweiz ihren Job machen. Was ein bisschen komisch kommt, denn der deutsche Steuerzahler verdient im Regelfall deutlich weniger als der Schweizer Arzt. Auch diejenigen, die als Deutsche an den amerikanischen Universitäten studieren, bleiben oft dort. Und es gibt auch Abwanderung von denen, die als Ausländer in Deutschland studiert haben und dann in Amerika, England oder auch in Asien Fuß fassen. Und das sind nicht wenige.

Das Gespräch führte Jakob Ranke.



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