Ulf Poschardt, Chefredakteur WELT
Zur Erinnerung: Es ist gerade einmal drei Jahre her, dass die Grünen als neue fortschrittliche Volkspartei gehandelt wurden, die in linksalternativen wie in bürgerlichen Milieus, in Städten wie auf dem Land gleichermassen anschlussfähig sein sollte. Diese Vorstellung, die von vielen Medien befeuert wurde – mal mit linksalternativer Euphorie, mal mit konservativer Angstlust –, hielten auch die Spitzenvertreter der Partei irgendwann für realistisch.
In der Folge machten sie eine unerfahrene, damals 40 Jahre junge Frau zur Kanzlerkandidatin – mit den entsprechenden Konsequenzen. Annalena Baerbock erging es im Wahlkampf so wie ihrer Partei hinterher in der Regierung: Sie stolperte von Missgeschick zu Missgeschick.
Die Bremser von SPD und FDP
Fehler machen die anderen in der Regierung zwar auch; die «Ampel» wirkt insgesamt wie eine Koalition der Überforderten, mit einem sozialdemokratischen Kanzler, dessen «Zeitenwende» sich als Luftschloss entpuppt hat, und einem liberalen Finanzminister, dessen alchemistisch als «Sondervermögen» deklarierte zusätzliche Schuldenberge vom obersten deutschen Gericht in der Luft zerrissen wurden. Doch SPD und FDP haben es geschafft, als die geringeren Übel wahrgenommen zu werden, die den ideologischen Eifer der Grünen im Zweifel bremsen – von der Verkehrs- über die Energie- bis zur Klimapolitik.
Aus Sicht von SPD und FDP ist das bequem. Sobald jemand die «Ampel» kritisiert, zeigen Vertreter beider Parteien auf die Grünen. Nach dem Motto: Es hätte noch schlimmer kommen können. Der inoffizielle Ehrenvorsitzende der Grünen, der «Zeit»-Journalist Bernd Ulrich, formulierte es dieser Tage so: «Die SPD bremst die Grünen, die FDP bremst die SPD, und die Union bremst die FDP.» Er meinte das allerdings als Liebeserklärung an die Grünen. Diese seien die einzige Partei, die überhaupt Antworten auf die Frage gebe, «was dieses Land braucht, um nicht in eine tiefe ökologische und eine damit unausweichlich verbundene politisch-kulturelle Krise hineinzulaufen».
Man muss die Begeisterung des «Zeit»-Journalisten nicht teilen. Aber das Bremser-Bild passt. Die Grünen mögen aus bürgerlicher Sicht auf zahlreichen Feldern in die falsche Richtung laufen; ihre Wirtschaftspolitik ist übergriffig, ihre Gesellschaftspolitik antibürgerlich und ihre Migrationspolitik weltfremd. Wer sie dafür kritisiert, wird von ihnen schneller als rechter Scharfmacher attackiert, als er gucken kann. Volkspartei wird man so nicht.
Aber man implodiert auch nicht. Die grüne Stammwählerschaft erlebt seit zwei Jahren eine Partei, die ihre Themen und ihren Stil in der Regierung zumindest voranzutreiben versucht. SPD und FDP scheinen indes vor allem damit beschäftigt zu sein, dass das Gesamtpaket nicht allzu grün wird. Auf diese Weise stehen beide zwar nicht annähernd so stark in der Kritik bei den vielen Bürgern, die die «Ampel» ablehnen. Aber sie empfehlen sich auch nicht unbedingt zur Wiederwahl.
Die wenigsten Menschen wählen taktisch. Die meisten geben einer Partei ihre Stimme, weil sie deren Programm und Personal schätzen und auf eine entsprechende Politik hoffen. Die Grünen sind in dieser Hinsicht als Nicht-Bremser derzeit die einzige Ampelpartei, die bei der nächsten Wahl auf ein Ergebnis hoffen darf, das an das vorherige heranreicht. In dem Fall wird es auch künftig schwer sein, an ihnen als Koalitionspartner vorbeizukommen.
Die Union hat sich eingemauert
Die Union hat sich mit ihrer «Brandmauer» nach rechts selbst eingemauert und wird ohne linken Partner im Falle eines Wahlsiegs 2025 aller Voraussicht nach nicht regieren können. Die FDP kann froh sein, wenn sie die «Ampel» politisch überlebt. Die SPD böte sich zwar als Juniorpartner an, allerdings dürften sich weite Teile der Partei nach den Erfahrungen in den «grossen» Koalitionen unter der Führung Angela Merkels mit Händen und Füssen wehren. Bleiben die Grünen.
Der immer unterhaltsame «Welt»-Chefredaktor Ulf Poschardt mag die Partei von Robert Habeck und Annalena Baerbock schon heute in der Hoffnung eines politisch-publizistischen Rollbacks zur «toxischen» Partei erklären, mit der bald keiner mehr zusammenarbeiten will. Aber das ist nur die Umkehrung der medialen Schwärmerei von links. Die einen schreiben die Grünen hoch, die anderen schreiben sie nieder. Der gesunde Menschenverstand sagt: Die Grünen werden trotz aller berechtigten Kritik bleiben, und wahrscheinlich werden sie auch wieder mitregieren.
Die Frage, auf die ihre möglichen Seniorpartner eine Antwort finden sollten, lautet: Was wollen wir eigentlich selbst durchsetzen? «Möglichst wenig grün» wird nicht reichen.
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