29 Januar 2024

The Pioneer Briefing - Selenskyj muss mit Putin verhandeln - bevor es zu spät ist

The Pioneer: Business Class Edition

Selenskyj: Westen zieht langsam den Stecker
Guten Morgen,
das Gesicht passte zur Lage. Wolodymyr Selenskyj sah zerknirscht aus, als er gestern Abend in der ARD-Talkshow von Caren Miosga auftauchte. Er war nicht mehr der siegessichere Kriegspräsident, sondern ein Mann, dessen Kampfeslust angestrengt wirkte.

Miosga zeigt in einer Rückblende, wie Donald Trump auf Fox News sein Gespräch mit Selenskyj erinnerte, das Gespräch zweier Präsidenten, in dem der Amerikaner dem Ukrainer klipp und klar sagte:

        "Schluss jetzt. Du musst einen Deal machen".

Selenskyj traut sich bis heute nicht, den Amerikaner, der ihm als Oppositionspolitiker gerade erst die Militärhilfe zusammengestrichen hat, dafür zu kritisieren. Die „Passivität der USA“, sagt er matt, „wäre ein schlechtes Signal“.

Unterwürfig nennt er Olaf Scholz – der ihm gerade ebenfalls ein Waffensystem verweigert – einen starken Führer. Selenskyj markiert nicht mal mehr den starken Mann, der er nie war. Er hat durch die Abhängigkeit von westlicher Militärhilfe wichtige Teile seiner nationalen Souveränität eingebüßt. Er führt nur noch einen ukrainischen Teilstaat, der vom russischen Aggressor an seiner Ostflanke ohne Betäubung amputiert wurde.

Die ganze Welt wartet darauf, dass Selenskyj und Putin am Verhandlungstisch zusammenkommen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte bereits am 12. Juni 2022 im finnischen Naantali beim sogenannten „Kultaranta Talks“ exakt die drei Phasen des Endspiels beschrieben:

Phase 1: Aufrüstung der Ukraine, nicht mehr mit dem Ziel zu gewinnen, sondern mit dem Ziel, deren Verhandlungsposition zu stärken:

Die Frage ist, welche Position die Ukrainer einnehmen werden, wenn sie eine Lösung aushandeln. Unsere Aufgabe ist es, diese Position so stark wie möglich zu machen. Wir wissen, dass es einen sehr engen Zusammenhang zwischen dem, was man am Verhandlungstisch erreichen kann, und der Position auf dem Schlachtfeld gibt.

Phase 2: Der offizielle Beginn von Friedensgesprächen:

Dieser Krieg wird am Verhandlungstisch enden.

Phase 3: Die Stunde der Zugeständnisse, auch der Territorialabtretungen hat begonnen.

Die Frage ist: Welchen Preis sind Sie bereit, für den Frieden zu zahlen? Wie viel Territorium? Wie viel Unabhängigkeit? Wie viel Souveränität?

Die Zeit drängt. Der festgefrorene Konflikt, bei dem seit Längerem schon keine Seite mehr nennenswerte Geländegewinne erzielt, strebt nach Auflösung. Vor allem Selenskyj läuft die Zeit davon.

Fünf Faktoren sollten ihn bewegen – nicht zur Kapitulation, wohl aber zur Kooperation.

#1 Die Unterstützung der USA hat ein Verfallsdatum.

Nicht erst ein denkbarer Wahlsieg von Donald Trump, sondern bereits die heiße Phase des Wahlkampfes bedeutet für die Ukraine nichts Gutes. Die Stimmung in den USA hat sich gedreht. Joe Biden ist nicht mehr Herr des Verfahrens – vielmehr sind es die Hardliner der Republikaner rund um den Präsidentschaftskandidaten in spe, Donald Trump.
Seit Wochen versuchen die Verhandlungsführer im Senat, neue Finanzmittel in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar für die Ukraine durch ein überparteiliches Abkommen zu beschaffen. Im Gegenzug forderten die Republikaner strengere Maßnahmen an der Südgrenze zu Mexiko. Doch genau dieser Kompromiss wird nun von Donald Trump und Mike Johnson – republikanischer Sprecher des Repräsentantenhauses – blockiert und Biden muss zuschauen.

#2 Die europäische Rüstungsindustrie schafft es nicht, die Ukraine mit ausreichend Munition zu versorgen.

Die europäische Rüstungsindustrie glaubt nicht an eine langfristige Unterstützung der Ukraine und zeigt sich daher nicht gewillt, ihre Munitionsproduktion auf ein neues Level zu heben. Wer bezahlt uns diesen Aufbau industrieller Kapazitäten, fragt man die Politiker. Als Antwort erhält man ein großes Schweigen.

Die Folge: Die Ukraine hat fast keine Munition mehr. Nach Angaben des ukrainischen Militärs musste an mehreren Orten die Feuerrate im Vergleich zum Sommer um 90 Prozent heruntergefahren werden.

#3 Kanzler Scholz und sein Verteidigungsminister gehen auf Eigensicherung und haben eine Demarkationslinie definiert.

Es wird keine „Boots on the Ground“ und keine Kriegsbeteiligung Deutschlands geben, versicherte Pistorius erneut im aktuellen Interview mit dem Bild-Kriegsreporter Paul Ronzheimer.
r machte deutlich, dass die Bestände der Bundeswehr – bei aller Solidarität – nicht weiter geplündert werden dürfen. Er sagte:

Wir haben uns schon weit aus dem Fenster gelehnt, mit dem, was wir geleistet haben. Aber das hat irgendwann seine Grenze, weil wir sonst keine Systeme haben, um uns im Ernstfall zu verteidigen.

Der Hintergrund dieser Aussagen ist der, dass Pistorius und Scholz eine Sicherheitslücke in der Verteidigung der Bundesrepublik riskieren, wenn sie alles liefern würden, was in Kiew gefordert wird. Dadurch würde Deutschland ein Zeitfenster öffnen, innerhalb dessen die Bundesrepublik „schutzlos“ wäre, so Pistorius.

#4 Europa ist erkennbar nicht bereit, in die Lücke zu stoßen, die Amerika hinterlässt.

Nach den aktuellsten Daten des Ukraine-Support-Trackers des IfW Kiel ist Deutschland mit 18 Milliarden US-Dollar nach den USA (46 Milliarden) der wichtigste Unterstützer der Ukrainer in Bezug auf Waffenlieferungen. Doch der Abstand zu den USA ist zu groß, um ein mögliches Wegfallen der US-Unterstützung allein aufzufangen.

Auch Christian Mölling, stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung, nimmt Europa in die Verantwortung:

Klar ist, wenn die Europäer nicht in die Lücke springen, wird niemand anderes in die Lücke springen. Dann wäre auch das Investment, was wir bislang gemacht haben, verloren.


#5 Die NATO selbst hat kein Interesse an einer weiteren Eskalation.

Auch das hatte Stoltenberg bereits im Juni 2022 bei den „Kultaranta Talks“ in Finnland erläutert und ist seither dabei geblieben.

Sie haben um eine Flugverbotszone gebeten, wir haben nein gesagt. Wir sollten mit der Schaffung eines humanitären Korridors beginnen. Wir haben nein gesagt. Es gab Diskussionen über die Verstärkung eines Marinekorridors durch die NATO, um Lebensmittel zu transportieren. Wir haben erneut nein gesagt. Es ist nicht einfach, denn es ist mit Kosten für die Ukrainer verbunden. Aber der Grund, warum wir nicht mit NATO-Truppen in die Ukraine einmarschieren, ist, dass wir eine Eskalation verhindern wollen.


Fazit: Zusammen mit der erkennbaren Kriegsmüdigkeit in der Ukraine selbst gibt es handfeste Gründe für Selenskyj, in Richtung des noch gänzlich unbesetzten Verhandlungssaales einzubiegen. Selbst wenn dort kein Putin auf ihn wartet, muss er die Friedensdiplomatie eröffnen – bevor es zu spät ist. Ein Gesprächsangebot ist überfällig. Nicht der Krieg, der Friede, sagte einst Immanuel Kant, sei „das Meisterstück der Vernunft“.


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