„Regt euch doch auf“ – Kolumne von Julia Ruhs -
„Linksgrün durchseucht" - hautnah erlebe ich, wie Menschen über ARD und ZDF denken (Focus-Online)
Dienstag, 16.01.2024,
„Linksgrün durchseucht" - hautnah erlebe ich, wie Menschen über ARD und ZDF denken (Focus-Online)
Dienstag, 16.01.2024,
Das Vertrauen in die Medien ist stark
angeknackst. Das in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bei dem ich
arbeite, besonders. Wie es ist, auf Menschen zu treffen, die einen für
eine „linksgrün durchseuchte“ Staatsfunkerin halten – und den Glauben an
die Meinungsfreiheit verloren haben
Ich arbeite beim
öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das bedeutet für die einen: Ich leiste
als Journalistin einen wichtigen Beitrag zu unserer Demokratie. Für
andere heißt das: Ich bin Teil einer regierungsnahen,
volkserzieherischen, tendenziösen Sendeanstalt.
„Sie sind bestimmt ‘ne Grüne“Vor einigen Monaten habe ich Sicht Nummer zwei deutlich vor Augen geführt bekommen. Ich war für den Bayerischen Rundfunk unterwegs auf einem Dreh in einer kleinen Gemeinde nahe des Starnberger Sees. Mit meiner Kamerafrau stehe ich voEr mustert mich. „Sie sind bestimmt ‘ne Grüne“, sagt er dann plötzlich. Ich, verdutzt, zögere kurz. „Nein!“, reagiere ich abwehrend. Was wohl eher ertappt als glaubhaft wirkt.
Seinen misstrauischen Blick verliert er jedenfalls nicht. Er empfindet die Berichterstattung in den Medien, gerade bei uns Öffentlich-Rechtlichen, als oft verzerrt. Wir würden Dinge auslassen, sagt er. Nur das erzählen, was in unsere Linie passt.
r einer Garage, das BR-Mikro in der Hand. Ein Mann, vielleicht Ende 30, steht mir gegenüber. Ich hatte ihn gerade gefragt, wie er Windräder findet. Mehr Windkraft in Bayern, darum soll es im Fernsehbeitrag nämlich gehen.
ch will ja gerade nicht verzerren und brauche deshalb dringend noch ein paar Windkraft-kritische Meinungen, versuche ich ihn zu überzeugen. Denn das ist der Grund, warum ich mit ihm rede. Ich mache eine Umfrage im Ort. Pro-Windkraft-Meinungen hatte ich für meinen Beitrag schon einige eingesammelt, da haben die Leute überhaupt keine Scheu mit Name und Gesicht vor die Kamera zu gehen. Die Contra-Meinungen gestalteten sich allerdings schwierig.
Wenn Meinungen gefühlt geschäftsschädigend sind
Der Mann war der erste, der ehrlich seine skeptische Meinung geäußert hat. „Pure Ideologie“ seien Windräder für ihn. Im Süden gebe es einfach nicht so viel Wind wie am Meer. Das Problem aber: Mit eingeschalteter Kamera will er das nicht sagen. Er sei Immobilienmakler. Es könnte geschäftsschädigend für ihn sein, wenn Leute ihn im Fernsehen sehen und nicht gut finden, was er da sagt. Dann sei man ja gleich suspekt oder irgendwie rechts, erklärt er.
Das erste Erlebnis von mehreren an diesem Tag.
Ich quatsche jeden an, der meinen Weg kreuzt. Nicht alle wollen etwas sagen, aber wenn, dann ist es pro Windkraft. Natürlich sind Fernsehumfragen nie repräsentativ. Wenn alle, die ich frage, dafür sind, dann ist es nun mal so. Zwanghaft eine angebliche Ausgewogenheit herzustellen, ist auch Quatsch. Aber wenn es andere Meinungen nun mal genauso gibt, die Menschen öffentlich aber lieber nichts sagen, finde ich das schwierig.
Über die Kolumnistin
Julia Ruhs ist Journalistin, vor allem beim Bayerischen Rundfunk. Sie ist Teil jener Generation, die vor Klimaaktivisten, Gender-Bewegten und Zeitgeist-Anhängern scheinbar nur so strotzt. Sie will denjenigen eine Stimme geben, die sich darin nicht wiederfinden und sich oft allein fühlen mit ihrer Meinung. Wenn alle das gleiche zu denken scheinen, verspürt sie Unwohlsein.
„Die Meinung, die Sie hören wollen“
Weiter geht‘s. Meine Kamerafrau und ich laufen zu einem Café, auf der Terrasse sitzen ein paar Leute. Einer der Männer schaut uns neugierig an. Vermutlich Rentner. Als ich ihn grüße und nach seiner Meinung zu Windrädern frage, seufzt er und sagt: „Warten Sie doch kurz auf meine Frau, die hat die Meinung, die Sie hören wollen.“ Sie sei nämlich sehr umweltbewusst.
Wie er denn darauf komme, dass ich seine Meinung nicht hören will, stelle ich mich dumm. Ach, die Medien würden über all diese Klimadinge eben sehr positiv berichten, sagt er.
Eigentlich bin ich interessierter an seiner Meinung als an der seiner Frau, erwidere ich. Schließlich brauche ich dringend noch eine Contra-Stimme. Er müsse sich keine Sorgen machen, dass ich das nachher unfair zusammenschneide, versichere ich ihm.
Er bleibt bei seinem Nein. Erzählt, dass früher alles viel liberaler gewesen sei. „Der eine hatte die eine Meinung, der andere eine politisch ganz andere.“ Aber das habe man eben ausgehalten, man habe sich vertragen. Heute sei alles so unerbittlich geworden.
Die Angst, von uns falsch dargestellt zu werden
Nächste Station: Die Bäckerei. Auch die Frau hinterm Bäckertresen ist pro Windräder. Mist. Ich frage einen Kunden, der gerade davoneilen will. Windräder? Die sehe er schon kritisch. Treffer. Aber das vor der Kamera sagen? Der Blick schweift aufs BR-Logo. Nein. Er habe Angst, von uns falsch dargestellt zu werden, sagt er. Vor der Bäckerei wartet ein Bekannter von ihm, der scheint ähnlich zu denken. Also ein letztes Mal Überzeugungsarbeit: Ich sei bei Meinungen generell sehr tolerant, sage ich – und bin übrigens keine Grüne.
Am Ende sagen sie doch was in die Kamera, beide. Er habe oben im Norden tote Bussarde auf der Straße gesehen, erzählt der eine. Es gebe so viele Vögel und Insekten, die durch Windräder geschreddert würden. Das würde man bei all der Windkraft-Euphorie vergessen. „Das ist alles eine Hektik, wie auch beim Heizungsgesetz. Das Volk wird kirre gemacht. Oh Gott, die Welt geht unter.“ Er wünscht sich, dass alles etwas nüchterner betrachtet und nicht so hysterisch diskutiert wer
„Zu über 80 Prozent linksgrün durchseucht“, schleudert der nächste mir entgegen
Der andere wohnt hier im Ort nah dran an den Windrädern. Ästhetisch seien die eine Katastrophe, findet er, und natur- und vogelschützerisch ebenfalls. Außerdem sei Windkraft Flatterstrom und er zweifelt am Ertrag der Windräder. Und kommt dann so richtig in Fahrt: „Es ist eine totale Lüge, die die linksgrünen Medien und Regierungsvertreter dem Volk aussetzen. Es ist ungeheuerlich und die Windkraft ist das Übelste überhaupt, weil die Effizienz desolat ist,“ regt er sich auf. Autsch. Ich bedanke mich.
Warum er sich doch dazu entschlossen hat, uns etwas zu sagen, frage ich ihn dann. Wir seien ja vom BR und auch über uns sagen ja manche, wir hätten, nunja, einen gewissen Einschlag. „Selbst der Bayerische Rundfunk, der ja früher ganz schlimm CSU-hörig gewesen sein soll, ist ja fast wie der WDR schon zu über 80 Prozent linksgrün durchseucht“, schleudert er mir entgegen. „Von Energiewende, Klimaaussagen, bis hin zu der ganzen Gender-, und Woke-Ideologie, es ist ein totales Drama. Und da wundern sich die Leute, warum die AfD stark ist. Mich wundert, warum die noch nicht viel stärker ist.“
Harte Worte, aber wirklich feindselig uns gegenüber wirkt er nicht. Es fühlt sich eher so an, als wolle er sich nur den Frust von der Seele reden. Sogar eine Visitenkarte gibt er mir und ein Prospekt. Er vermietet ziemlich ansehnliche Ferienwohnungen und Gästezimmer in der Nähe des Starnberger Sees.
Wo ist das Vertrauen hin?
Meine Fernsehumfrage ist nicht-repräsentativ, schon klar. Aber sie deckt sich erstaunlich gut mit einer Umfrage aus dem Dezember 2023. Erstellt vom Institut für Demoskopie Allensbach und des Medienforschungsinstituts Media Tenor. Dort kam heraus: Die gefühlte Meinungsfreiheit in der Bevölkerung hat den tiefsten Stand seit den Fünfzigerjahren erreicht. Nur noch 40 Prozent finden, dass man in Deutschland frei reden könne. 44 Prozent sind überzeugt, dass es besser ist, vorsichtig zu sein.
Vor allem AfD- und FDP-Wähler gaben an, man müsse mit Meinungsäußerungen vorsichtig sein. Etwas über 60 Prozent glaubten das bei der AfD, etwas darunter bei der FDP
Sehr überzeugt von der Meinungsfreiheit sind laut Studie dagegen grün wählende Akademiker. Nur 19 Prozent der Grünen-Wähler gaben an, man müsse mit Meinungsäußerungen vorsichtig sein. Warum das so ist? Die Autoren der Studie sagen: Das Medienklima habe einen großen Einfluss auf die empfundene Meinungsfreiheit. Entscheidend sei deshalb die Mediennutzung. Was von den Befragten als Hauptquelle für Informationen angegeben wurde? Zu 72 Prozent das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Das tut weh.
Die Furcht vor den sozialen Kosten einer Meinung
Natürlich sind Gefühle keine Tatsachen, jeder kann in Deutschland seine Meinung frei sagen. Niemand muss mit staatlichen Repressionen rechnen. Aber es ist nicht der Staat, den die Menschen fürchten. Sondern die sozialen Kosten einer Meinung. Die Sorge, deswegen einen Job oder Aufträge zu verlieren, von Freunden und Bekannten gemieden zu werden.
Dass viele die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinterfragen, empfinde ich als nichts Schlechtes. Es ist gut für die Demokratie, wenn Menschen nicht alles unkritisch hinnehmen, was wir Journalisten ihnen als Realität auftischen. Wenn sie selbst denken.
Aber auf der anderen Seite funktioniert Demokratie nur mit einem Mindestmaß an Vertrauen. In die Regierung, aber auch in uns Medien, sonst bröckelt das Fundament. Und manchmal, auch bei dieser Umfrage vor ein paar Monaten, wirkt dieses Fundament auf mich zumindest angekratzt.
Der Mann mit den Ferienwohnungen, der sich so aufgeregt und sich gewundert hat, warum die AfD nicht stärker ist, hat übrigens Recht behalten. Mittlerweile ist die AfD stärker geworden.
Ob die aktuellen Anti-AfD-Proteste daran etwas ändern werden? Ich glaube nicht. Vielleicht vergrößern sie die Gräben sogar. Die Demonstranten, die so fleißig gegen Rechts auf die Straße gehen, sollten sich lieber fragen, wie es sein kann, dass viele Menschen so vorsichtig mit ihren Meinungen geworden sind.
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