Die
Pandemie ist die erste Krise, aus der Deutschland geschwächt
hervorgeht. Das Land treibt die EU nicht mehr an, es hinkt ihr
hinterher. Das reale Bruttoinlandprodukt liegt nach dem scharfen
Einbruch bei Corona nur knapp über dem Wert von 2019. Die Euro-Zone und
Grossbritannien, aber vor allem die Schweiz und Amerika erholten sich
deutlich schneller.
Deutschland hingegen stagniert, und die Unternehmen blicken pessimistisch in die Zukunft. Als einzige Industrienation rutschte Deutschland 2023 in eine Rezession. Es ist erst das neunte Rezessionsjahr in 75 Jahren Bundesrepublik und damit eine kleine Katastrophe. Für 2024 wird ein Wachstum mit einer Null vor dem Komma erwartet.
Wird die Bundesrepublik zum Wohlstandsmuseum?
Der Wachstumsmotor ist zum Bremsklotz mutiert. Das Ausland blickt mit Sorge auf die Metamorphose. Früher herrschte Neid auf die teutonischen Streber mit ihren Exporterfolgen und gesunden Staatsfinanzen. Heute geht die Furcht um, das Land ziehe seine engsten Partner nach unten. Und in Deutschland werden die Mahner lauter, die wie der Ökonom Moritz Schularick klagen, das Land verkomme zum «Wohlstandsmuseum».
Zugleich wuchs der Sozialstaat seit der Wiedervereinigung kontinuierlich. Der Anstieg des Sozialhilfesatzes in zwei Jahren um ein Viertel ist nur die Spitze des Eisbergs. Dem Land fehlen Arbeitskräfte und zugleich macht es bezahlte Arbeit unattraktiv.
Das Wirtschaftswachstum und hohe Steuereinnahmen sorgten dafür, dass die letzten Finanzminister die Fehlentwicklung bezahlen konnten. Doch die Stagnation lässt die Spielräume für grosszügige Geschenke schrumpfen. Hinzu kommt eine angesichts der Belastungen durch den Ukraine-Krieg zu strikte Auslegung der Schuldenbremse. Die Verteilkämpfe werden härter, wie die Bauernproteste zeigen. Nach fast zwei Dekaden ist der scheinbar ewige Aufschwung Geschichte.
Auch ohne leichtsinnige Haushaltspolitik und ohne die harsche Reaktion der Verfassungsrichter wäre das Perpetuum mobile des unendlichen Wachstums kollabiert. Doch Deutschland verhält sich wie eine Comicfigur, die trotz dem sich öffnenden Abgrund einfach weiterrennt und nicht bemerkt, dass sie gleich abstürzen wird.
Die Ampelkoalition ignoriert die Zeitenwende mit dem neuen Zwang zur Sparsamkeit. Weder entlastet sie die Wirtschaft, noch schafft sie durch Berechenbarkeit Vertrauen. Unternehmen und Konsumenten halten sich deshalb mit Ausgaben zurück. Standortfaktoren wie eine sichere Energieversorgung, eine leistungsfähige Infrastruktur und ein gutes Bildungssystem haben sich verschlechtert, Bürokratie und ineffiziente Verwaltung hemmen die private Initiative. Das Heizungsgesetz steht beispielhaft für das ganze Malaise dieser Politik.
Während der Pandemie und des Energiepreis-Schocks lullten Angela Merkel und Olaf Scholz das Land mit Subventionen ein. Jetzt folgt dem Rausch des Doppel-Wumms der Kater. Auch das Volk will die Zeitenwende nicht wahrhaben und pocht auf die gewohnte Rundumbetreuung des Staats. So herrscht kollektive Depression. Deutschland ist derzeit eine Ansammlung von griesgrämigen Sauertöpfen.
Die politische Stabilität schwindet ebenfalls. Schon zu Beginn der Ménage-à-trois war klar, dass eine aus so unterschiedlichen Parteien bestehende Regierung fragil sein würde. Die strukturelle Schwäche führt zu ewigen Richtungskämpfen. In dieser Art Bündnis ist der Kanzler nicht Koch, sondern einer von drei Kellnern.
Jeden Kompromiss, den Scholz aushandelt, stellen die Grünen oder die FDP umgehend wieder infrage. Es war nicht klug, dass sich zwei ideologisch entgegengesetzte Parteien ins Lotterbett legten: gemässigt staatskritische Liberale und eine etatistische Verbotspartei. Aber das ist die neue deutsche Realität. In einem fragmentierten Bundestag gibt es keine Mehrheiten mehr für homogene Bündnisse, auf die sich noch Helmut Kohl oder Gerhard Schröder abstützen konnten.
Solange ein Rechtsblock aus CDU/CSU und AfD ausgeschlossen bleibt, existiert als Alternative vorderhand nur die ungeliebte grosse Koalition. Die letzte Allianz dieser Art war ein Garant für Blockaden und kostspielige Kompromisse zulasten der Steuerzahler.
Zugleich sind die eigentlich so besonnenen Deutschen unfähig, mit der überall in der westlichen Welt grassierenden Plage des Populismus vernünftig umzugehen. Mit der Finanzkrise ist der Klassenkampf zurückgekehrt. Der Mittelstand sah zu, wie Banken gerettet werden, und fragt sich seither, was für ihn getan wird. Bei der Migration vermischen sich Verteilungsfragen und Überfremdungsängste, also wirtschaftliche Aspekte und Identität. Das macht das Thema so gefährlich.
Wir da unten gegen die da oben – dieser Konflikt wird nicht mehr zwischen feisten Kapitalisten und verelendeten Proletariern ausgetragen, sondern zwischen einer manchmal auch nur scheinbar abgehobenen Elite und allen, die sich abgehängt fühlen und deswegen umso nachdrücklicher darauf pochen, die Mitte der Gesellschaft zu sein: wir Normalen gegen das genderkorrekte, queere und vegane Establishment dort oben.
Auch deshalb erhalten die Gelbwesten in Frankreich oder die demonstrierenden Bauern in den Niederlanden oder Deutschland Zuspruch von Menschen, die noch nie einen Kuhstall von innen gesehen haben. Davon profitieren die Demagogen.
Trump ist der Farbigste von ihnen, er wirkt aber nur wegen der überragenden Stellung der USA «larger than life». Vielmehr wimmelt es von solchen trüben Figuren. Nirgends tut sich jedoch das politische System so schwer, eine Antwort auf diesen Typus Politiker zu finden, wie in Deutschland.
Die nordischen Länder arrangieren sich mit den Rechtspopulisten. Ihre Demokratie nimmt daran keinen Schaden. Auch die Niederländer sind komplizierte Regierungsbildungen gewohnt und werden Wilders Wahlsieg überstehen. In Italien mausert sich Giorgia Meloni trotz postfaschistischem Erbe zur passablen Regierungschefin.
Nur in der Bundesrepublik misslingt, was sonst in Europa halbwegs funktioniert: die Inklusion rechter Protestparteien in das politische System. Die AfD wird mit deutscher Gründlichkeit ausgegrenzt. Das tut der Popularität der Partei zwar keinen Abbruch, macht aber die Bildung handlungsfähiger Regierungen sehr mühsam.
Die Quittung für ihre kurzsichtige Brandmauer-Strategie werden die etablierten Parteien bei den Landtagswahlen im Osten bekommen. Statt aus der beeindruckenden Erfolgsgeschichte ihrer Demokratie Selbstvertrauen zu schöpfen, starren die Deutschen auf den Fetisch 1933. Aus Angst vor der vermaledeiten Vergangenheit erschweren sie sich die Zukunft.
Die Regierung erzählt Schauermärchen
Die Ampelkoalition spielt dabei eine unrühmliche Rolle. Sozialdemokraten und Grüne schielen auf den kurzfristigen parteipolitischen Vorteil und wittern hinter jeder Kritik gleich eine Verschwörung. Mal destabilisieren angeblich Corona-Leugner das Land, dann sind rechtsextrem unterwanderte Bauern am Werk. Ein willfähriger Inlandgeheimdienst liefert die passenden Stichworte wie die angebliche «Delegitimierung des Staates».
Wäre es nicht so trist, könnte man darüber lachen: Ausgerechnet die Regierung, die allenthalben vor Verschwörungstheorien warnt, verbreitet selbst Schauermärchen. Das Ganze hat einen ernsten Hintergrund. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die politische Nervosität, harte Fakten und weiche Emotionen potenzieren einander.
Zu den Aufgaben einer Regierung gehört es, in anstrengenden Zeiten Lösungen aufzuzeigen und Zuversicht zu verbreiten. Hierbei versagen der maulfaule Kanzler und seine zerstrittenen Partner. Zugleich ist aber auch keine stabilere Regierung oder ein stärkerer Kanzler in Sicht. Einen Kohl oder Schröder, die dem Land mit Reformen frischen Schub verleihen könnten, gibt es nicht. Es ist der perfekte Catch-22. Nichts ist von Dauer, selbst eine kollektive Depression geht irgendwann zu Ende, aber derzeit herrscht eine bedrückende Ratlosigkeit in Deutschland.
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