Polizisten, die in Kampfmontur in Wohnungen eindringen und Tablets und Handys sicherstellen, als staatsbürgerliche Benimmschule? Man muss Reul offenbar eine Lektüre des Grundgesetzes ans Herz legen. „Viele Menschen haben den Unterschied zwischen Hass und Meinung verlernt“, behauptet er. „Dabei ist es so einfach: Was man in der echten Welt nicht macht, gehört sich auch digital nicht.“
Nun regelt das Recht gerade
nicht, was „sich gehört“, sondern nur, was erlaubt ist. Und die
Behauptung, es gäbe einen „Unterschied zwischen Hass und Meinung“, ist
nicht nur dumm, sondern auch gefährlich. Selbstverständlich verbietet
der Gesetzgeber keine Gefühle. Freude und Abscheu, Begeisterung und Hass
sind nicht nur legitime, sondern im Sinne einer lebendigen Demokratie
unvermeidliche Begleitererscheinungen politischer Urteile. Natürlich
dürfen Bürger solchen Gefühlen im Rahmen der freien Meinungsäußerung
Ausdruck verleihen – sofern sie die Grenzen des Strafrechts nicht
verletzen. Eine Gesellschaft, die „Hass“ zum Verbrechen deklariert, ist
eine tote Gesellschaft – und ähnelt einem Orwell-Staat, der nicht nur
das Verhalten, sondern auch die Psyche seiner Bürger überwacht.
Es war übrigens ebenfalls ein „Aktionstag gegen Hasskriminalität im Internet“, bei dem Polizeibeamte im Morgengrauen des 12. November 2024 die Wohnung des unterfränkischen Rentners Stefan Niehoff durchsuchten – wegen des harmlosen „Schwachkopf“-Memes über Robert Habeck, das so zu trauriger Berühmtheit gelangte. Auch wenn die Empörung über den Fall nicht verhinderte, dass Niehoff nun vom Amtsgericht Haßfurt wegen anderer, ebenfalls klar satirischer Posts zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, legen die Behörden unter Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) offenbar strengere Maßstäbe an als unter seiner Vorgängerin Nancy Faeser (SPD).
Darauf lassen die Beispiele schließen, welche die Bundesländer auf Anfrage des Internetportals „Nius“ bekanntgaben: So ging es um „SS Totenköpfe und Doppel-Sig-Runen“, um „das Posten von Hakenkreuzen und Symbolen der Hamas“, um Mordphantasien gegen Juden und Alawiten. In einem Fall in Mecklenburg-Vorpommern wird dem Beschuldigten vorgeworfen, „die AfD-Politikerin Alice Weidel im Internet beschimpft zu haben“. Das wirkt fast so, als wollten die Ermittler ein Anti-„Schwachkopf“-Signal setzen: Seht her, wir schauen nicht nur bei Habeck-Beleidigungen streng hin, sondern auch bei Weidel-Beleidigungen!
Aber macht es das besser? Die Entscheidung, die Polizei im Morgengrauen ausrücken und Wohnungen von Internetnutzern durchsuchen zu lassen, sendet eine fatale Botschaft aus: Wer seine Worte nicht wägt, bei dem steht der Staat in Kampfmontur im Hausflur. Und da der Durchschnittsbürger kein Jurist ist und von Politikern wie Herbert Reul eingeredet bekommt, „Hass“ sei keine Meinung, geht der Abschreckungseffekt weit über echte Straftaten hinaus.
Selbstverständlich muss die Polizei bei Mordaufrufen oder Volksverhetzung im Internet ihre Arbeit machen und Tatverdächtige der Strafverfolgung zuführen, die Prüfung der Schuld obliegt dann den Gerichten. Aber für „Aktionstage“ eignet sich der hochsensible Bereich der Meinungsfreiheit nicht. Höchste Zeit, diese unwürdige Tradition zu beenden.
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