28 Juni 2025

Bundesweite Razzia Das unwürdige Schauspiel der „Aktionstage gegen Hass“ (WELT+)

Bundesweite Razzia
Das unwürdige Schauspiel der „Aktionstage gegen Hass“ (WELT+)
Von Andreas Rosenfelder, Chefkommentator und Ressortleiter Meinungsfreiheit
27.06.2025, Lesedauer: 4 Minuten
Braucht es das Instrument einer bundesweiten Razzia im Morgengrauen, um an „Aktionstagen“ gegen strafbare Internetposts vorzugehen? Der Verdacht liegt nahe, dass die Staatsgewalt hier für eine volkspädagogische PR-Aktion missbraucht wird.
Die Razzia im Morgengrauen ist eines der schärfsten Schwerter der Polizeiarbeit. Am frühen Morgen sind die meisten Bürger zu Hause und schlafen den Schlaf der – mehr oder weniger – Gerechten. Die Ermittler nutzen den Überrumpelungseffekt, um die „Zielpersonen“ hilflos und unvorbereitet im Pyjama zu stellen und die „Zielobjekte“ ungestört durchsuchen zu können.
Sinnvoll ist diese Ermittlungstaktik, wenn es um gefährliche, gewaltbereite Personen geht – und um organisierte Kriminalität. Weil der Zugriff oft zeitgleich an unterschiedlichen Orten erfolgt, können Banden, Gangs oder Terrorgruppen ihre Mitglieder nicht warnen. So gehen den Behörden nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Strukturen ins Netz: mitgefangen, mitgehangen.
Bei der Razzia, welche das Bundeskriminalamt am Mittwoch, 25. Juni 2025, um 6 Uhr morgens mit 65 Hausdurchsuchungen in ganz Deutschland durchführte, ging es aber nicht gegen „Hell’s Angels“, „Familienclans“ oder „Reichsbürger“ – sondern gegen Menschen, die nach Auffassung des BKA „strafbare Hasspostings“ verfasst haben. Bei solchen Bürgern liegt in der Regel keine Fluchtgefahr vor, auch handeln sie nicht organisiert, physische Gegenwehr ist in der Regel auch nicht zu erwarten.
Braucht es hier das Instrument der Razzia, das Schwerverbrechern vorbehalten ist? Steht die Intensität des Eingriffs – immerhin ist die Unverletzlichkeit der Wohnung in Artikel 13 des Grundgesetzes geschützt – im Verhältnis zur Schwere der Tat? Oder hat der Überraschungsangriff in diesem Fall andere, nicht ermittlungstechnische Gründe?
Der Verdacht liegt nahe, denn das Bundeskriminalamt ordnete die Durchsuchungen im Rahmen des „12. Aktionstags zur Bekämpfung von strafbaren Hasspostings“ an – was nicht nur deshalb problematisch ist, weil „Hass“ kein Strafdelikt und überhaupt kein juristischer Terminus ist, sondern ein dehnbarer Begriff der Alltagspsychologie. Vor allem aber zeigt der Begriff „Aktionstag“, dass es hier um eine Art politische PR-Aktion mit Signalcharakter geht.
Volkspädagogische Absichten
Solche „Aktionstage“, hinter denen volkspädagogische Absichten der Politik stecken, sind eines Rechtsstaats unwürdige Schauspiele. Die Ausübung von Staatsgewalt muss – vor allem, wenn sie Grundrechte verletzt – in jedem Einzelfall sachlich geboten sein, sie darf nicht für symbolpolitische Zwecke missbraucht werden. Genau diesen Eindruck erweckt aber Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU), wenn er erklärt, die Razzia sei „für die Öffentlichkeit ein klares Signal, nach dem Motto: Sowas macht man nicht“.

Polizisten, die in Kampfmontur in Wohnungen eindringen und Tablets und Handys sicherstellen, als staatsbürgerliche Benimmschule? Man muss Reul offenbar eine Lektüre des Grundgesetzes ans Herz legen. „Viele Menschen haben den Unterschied zwischen Hass und Meinung verlernt“, behauptet er. „Dabei ist es so einfach: Was man in der echten Welt nicht macht, gehört sich auch digital nicht.“

Nun regelt das Recht gerade nicht, was „sich gehört“, sondern nur, was erlaubt ist. Und die Behauptung, es gäbe einen „Unterschied zwischen Hass und Meinung“, ist nicht nur dumm, sondern auch gefährlich. Selbstverständlich verbietet der Gesetzgeber keine Gefühle. Freude und Abscheu, Begeisterung und Hass sind nicht nur legitime, sondern im Sinne einer lebendigen Demokratie unvermeidliche Begleitererscheinungen politischer Urteile. Natürlich dürfen Bürger solchen Gefühlen im Rahmen der freien Meinungsäußerung Ausdruck verleihen – sofern sie die Grenzen des Strafrechts nicht verletzen. Eine Gesellschaft, die „Hass“ zum Verbrechen deklariert, ist eine tote Gesellschaft – und ähnelt einem Orwell-Staat, der nicht nur das Verhalten, sondern auch die Psyche seiner Bürger überwacht.

Es war übrigens ebenfalls ein „Aktionstag gegen Hasskriminalität im Internet“, bei dem Polizeibeamte im Morgengrauen des 12. November 2024 die Wohnung des unterfränkischen Rentners Stefan Niehoff durchsuchten – wegen des harmlosen „Schwachkopf“-Memes über Robert Habeck, das so zu trauriger Berühmtheit gelangte. Auch wenn die Empörung über den Fall nicht verhinderte, dass Niehoff nun vom Amtsgericht Haßfurt wegen anderer, ebenfalls klar satirischer Posts zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, legen die Behörden unter Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) offenbar strengere Maßstäbe an als unter seiner Vorgängerin Nancy Faeser (SPD).

Darauf lassen die Beispiele schließen, welche die Bundesländer auf Anfrage des Internetportals „Nius“ bekanntgaben: So ging es um „SS Totenköpfe und Doppel-Sig-Runen“, um „das Posten von Hakenkreuzen und Symbolen der Hamas“, um Mordphantasien gegen Juden und Alawiten. In einem Fall in Mecklenburg-Vorpommern wird dem Beschuldigten vorgeworfen, „die AfD-Politikerin Alice Weidel im Internet beschimpft zu haben“. Das wirkt fast so, als wollten die Ermittler ein Anti-„Schwachkopf“-Signal setzen: Seht her, wir schauen nicht nur bei Habeck-Beleidigungen streng hin, sondern auch bei Weidel-Beleidigungen!

Aber macht es das besser? Die Entscheidung, die Polizei im Morgengrauen ausrücken und Wohnungen von Internetnutzern durchsuchen zu lassen, sendet eine fatale Botschaft aus: Wer seine Worte nicht wägt, bei dem steht der Staat in Kampfmontur im Hausflur. Und da der Durchschnittsbürger kein Jurist ist und von Politikern wie Herbert Reul eingeredet bekommt, „Hass“ sei keine Meinung, geht der Abschreckungseffekt weit über echte Straftaten hinaus.

Selbstverständlich muss die Polizei bei Mordaufrufen oder Volksverhetzung im Internet ihre Arbeit machen und Tatverdächtige der Strafverfolgung zuführen, die Prüfung der Schuld obliegt dann den Gerichten. Aber für „Aktionstage“ eignet sich der hochsensible Bereich der Meinungsfreiheit nicht. Höchste Zeit, diese unwürdige Tradition zu beenden.

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