22 Juni 2025

The Pioneer - Reformpolitik: Wo steckt Friedrich Merz?

Mullahs statt Bürokratie stoppen: Außenkanzler Merz wiederholt einen Merkel-Fehler
Viele fragen sich, wann die Regierung Merz endlich ihre Arbeit aufnehmen und ernsthaft die Probleme des Landes angehen will. Nun, hierzu muss zunächst mal die Arbeitsfähigkeit sichergestellt werden, und dazu „ist es erforderlich, 208 zusätzliche Planstellen
 im laufenden Haushaltsvollzug auszubringen“, schrieb der Finanzminister an den Haushaltsausschuss.
Business Class Edition
Reformpolitik: Wo steckt Friedrich Merz?
Guten Morgen,
Weltbühne statt Werkbank: Friedrich Merz ist früh in seiner Kanzlerschaft zum Flugplatz abgebogen. Die Turbinen der Regierungsmaschine drehen seit seiner Amtsübernahme hochtourig. Der rote Teppich ist ein fliegender Teppich geworden, der den Kanzler auf all seinen Wegen begleitet: Paris, Warschau, Washington, D.C., Rocky Mountains.
Das Wunder der Demokratie: Eben noch war man unsichtbarer Teil einer Masse, Mitglied eines Volkes, das mit 82 Millionen Menschen weniger als ein Prozent der Weltbevölkerung repräsentiert. Und plötzlich steht man streng bewacht am Fuße der Rocky Mountains neben Donald Trump und gehört zu den großen Sieben der Welt. Das Scheinwerferlicht der Medien strahlt wohlige Wärme ab. Zumindest so lange, bis der US-Präsident voreilig abreist. Dann wird es schnell fröstelig. Der Mensch strebt zur Masse zurück.
Das Konzept des Außenkanzlers klingt verlockend und bildet für die Regierungschefs aller Länder die HON-Circle-Class der Politik. Das freut auch die journalistischen Begleiter, die sich mit dem Kanzler durch die Weiten der Galaxie bewegen. Weltpolitik! Geostrategie! Instagram! Das versprüht für alle Beteiligten mehr Charme als der Länderfinanzausgleich. Die Auswärtigen Angelegenheiten bedeuten Prestige, Pathos und einen coolen Einspieler in der Tagesschau. Und wenn man Glück hat – wie jüngst Friedrich Merz – ist auch CNN dabei.
Film ab: Die Welt wird zum Kinosaal und man selbst ist der Hauptdarsteller. Die eigenen Worte, die in der Opposition schon so abgenutzt und ausgeleiert klangen, erfahren durch das hohe Staatsamt eine wundersame Veredelung. Frieden. Freiheit. Zeitenwende.
Miles & More: Wer will schon Landstraßen sanieren und den Behörden das Faxgerät wegnehmen, wenn man in Jerusalem Frieden stiften oder in Kiew Waffen verteilen kann. Innenpolitik bedeutet mit Max Weber das Bohren dicker Bretter, weil man sich mit 630 Parlamentariern, 17 Ministern, 16 Landeschefs und mehr als 900 Behörden und Institutionen des Bundes auseinandersetzen muss.
Aber die Wahrheit, die Max Weber uns verschwiegen hat: Viele dieser Bretter sind nicht aus Hartholz gemacht, sondern aus Beton gegossen.

So besteht das Leben eines Innenkanzlers aus Lärm und Langeweile: Die IG Metall nervt. Die Verbraucherschutzverbände sind auch schon wieder frech. Die Preise klettern. Irgendein Parteifreund wetzt das Messer. Die TV-Talkshows lieben das Wort „Staatsversagen“ und stellen die immer gleichen ketzerischen Fragen: Wohin driftet Deutschland? Und wo steckt eigentlich Friedrich Merz?

Aber wo soll der schon sein, wenn nicht auf der Belle Etage: Wer will schon die Arbeiterwohlfahrt in Bottrop besuchen oder – schlimmer noch – den Bürgerdialog in Gummersbach, wenn er stattdessen beim State Dinner neben Melania Trump sitzen darf?

Es war der amerikanische Freigeist und Politiker Patrick Buchanan, der in den 90er-Jahren dreimal vergeblich um die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten rang, der das Establishment an die Basisarbeit der Demokratie erinnerte: „A Republic, Not an Empire“, hieß sein Bestseller im Jahr 1999. Wir sind eine Republik, kein Imperium. Damit war alles gesagt.

Das Phänomen der zwei so unterschiedlichen Missionen eines Regierungschefs hat niemand so gründlich untersucht wie der Politikwissenschaftler Aaron Wildavsky in seiner „Theorie der zwei Präsidentschaften“. Er sah einerseits das Welttheater der Außenpolitik, das begleitet werden müsse von den mühseligen Laub- und Sägearbeiten im Inland. Das Dilemma beginnt, wo das Rampenlicht endet: vor der Haustür.

Viele Präsidenten sind gescheitert, weil sie die Balance der zwei Präsidentschaften nicht beherrschten. George W. Bush warb in seinem Wahlkampf 2000 noch für eine „bescheidene Außenpolitik“. Dann kam 9/11 – und damit Afghanistan, Irak, Guantanamo.

Als dann Hurrikan Katrina zum Start der zweiten Amtszeit 2005 die Dächer der Häuser von New Orleans mit sich riss, war der Mann entzaubert. Er fand nicht den Weg ins Katastrophengebiet: Global groß, lokal abwesend. Im Ansehen der Öffentlichkeit fiel er steil nach unten: Mission failed.

Jimmy Carter ging es nicht besser. Niemand weiß, wo Camp David liegt, aber jeder kennt das Schlagloch auf der eigenen Hauptstraße. Innenpolitik ist das Fundament, Außenpolitik die Fassade. Carter war der Fassadenkletterer der amerikanischen Politik. Für ihn war nach nur einer Amtszeit schon Schluss.

Nun ist es keineswegs so, dass man in der Außenpolitik automatisch glänzt. Auch hier kann man Fehler begehen, die unverzeihlich sind. Kanzler Helmut Kohl verglich den Führer der damaligen Sowjetunion, Michail Gorbatschow, im Interview mit dem Time Magazine mit Propagandaminister Goebbels, wofür er sich dann wortreich entschuldigen musste.

Angela Merkel ging bei den Minsker Gesprächen Wladimir Putin auf den Leim und hat ihn mit der Anerkennung der Krim-Annexion womöglich zum Überfall auf die Ukraine ermuntert.

In der Außenpolitik, auch das gehört zur Wahrheit dazu, können in der Regel nur die Großmächte Amerika, Russland, China und Indien den Unterschied machen. Die Regierungschefs der kleinen Staaten – dazu gehört auch Deutschland – sind nicht mehr als gut frisierte Statisten.

Macron wurde durch Trump eben erst daran erinnert, dass er ihn für ein Würstchen hält:
Ob absichtlich oder nicht, Emmanuel liegt immer falsch.
Womit wir wieder bei Friedrich Merz sind: Er hat angesichts der noch jungen Legislatur die Chance der frühen Einsicht. Sein Arbeitsplatz befindet sich nicht in Nahost oder am Fuße der Rocky Mountains, sondern im Bergwerk des deutschen Sozialstaates. Er muss nicht die Mullahs stoppen, nur den Bürokratiewahnsinn in Deutschland. Da hilft keine Kettensäge und keine Bunkerbombe.

Die Bürger erwarten von ihm nicht die Rettung des Weltfriedens, wohl aber die Rettung ihres Wohlstandes. Nach drei Jahren der Stagnation und bitterbösen Prophezeiungen der Institute ist das kein Hobby, sondern sein Hauptjob. Um die Hebel seiner Macht zu bedienen, braucht er kein Flugzeug, sondern nur die U5, die in der Nähe des Kanzleramts hält.

Fazit: Von Angela Merkel, die eine Reformkanzlerin sein wollte und dann zum außenpolitischen Republikflüchtling wurde, kann der Nach-Nachfolger nicht viel lernen. Möge die Nachwelt über Merz freundlicher urteilen als Wolfgang Schäuble in seinen Memoiren über Merkel:

Nach meiner Einschätzung hätte sie ganz andere Möglichkeiten gehabt, um wirklich politisch zu führen und nicht nur zu reagieren.

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