So besteht das Leben eines Innenkanzlers aus Lärm und Langeweile: Die IG Metall nervt. Die Verbraucherschutzverbände sind auch schon wieder frech. Die Preise klettern. Irgendein Parteifreund wetzt das Messer. Die TV-Talkshows lieben das Wort „Staatsversagen“ und stellen die immer gleichen ketzerischen Fragen: Wohin driftet Deutschland? Und wo steckt eigentlich Friedrich Merz?
Aber wo soll der schon sein, wenn nicht auf der Belle Etage: Wer will schon die Arbeiterwohlfahrt in Bottrop besuchen oder – schlimmer noch – den Bürgerdialog in Gummersbach, wenn er stattdessen beim State Dinner neben Melania Trump sitzen darf?
Es war der amerikanische Freigeist und Politiker Patrick Buchanan, der in den 90er-Jahren dreimal vergeblich um die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten rang, der das Establishment an die Basisarbeit der Demokratie erinnerte: „A Republic, Not an Empire“, hieß sein Bestseller im Jahr 1999. Wir sind eine Republik, kein Imperium. Damit war alles gesagt.
Das Phänomen der zwei so unterschiedlichen Missionen eines Regierungschefs hat niemand so gründlich untersucht wie der Politikwissenschaftler Aaron Wildavsky in seiner „Theorie der zwei Präsidentschaften“. Er sah einerseits das Welttheater der Außenpolitik, das begleitet werden müsse von den mühseligen Laub- und Sägearbeiten im Inland. Das Dilemma beginnt, wo das Rampenlicht endet: vor der Haustür.
Viele Präsidenten sind gescheitert, weil sie die Balance der zwei Präsidentschaften nicht beherrschten. George W. Bush
warb in seinem Wahlkampf 2000 noch für eine „bescheidene Außenpolitik“.
Dann kam 9/11 – und damit Afghanistan, Irak, Guantanamo.
Als dann Hurrikan Katrina zum Start der zweiten Amtszeit 2005 die Dächer der Häuser von New Orleans mit sich riss, war der Mann entzaubert. Er fand nicht den Weg ins Katastrophengebiet: Global groß, lokal abwesend. Im Ansehen der Öffentlichkeit fiel er steil nach unten: Mission failed.
Jimmy Carter ging es nicht besser. Niemand weiß, wo Camp David liegt, aber jeder kennt das Schlagloch auf der eigenen Hauptstraße. Innenpolitik ist das Fundament, Außenpolitik die Fassade. Carter war der Fassadenkletterer der amerikanischen Politik. Für ihn war nach nur einer Amtszeit schon Schluss.
Nun ist es keineswegs so, dass man in der Außenpolitik automatisch glänzt. Auch hier kann man Fehler begehen, die unverzeihlich sind. Kanzler Helmut Kohl verglich den Führer der damaligen Sowjetunion, Michail Gorbatschow, im Interview mit dem Time Magazine mit Propagandaminister Goebbels, wofür er sich dann wortreich entschuldigen musste.
Angela Merkel ging bei den Minsker Gesprächen Wladimir Putin auf den Leim und hat ihn mit der Anerkennung der Krim-Annexion womöglich zum Überfall auf die Ukraine ermuntert.
In der Außenpolitik, auch das gehört zur Wahrheit dazu, können in der Regel nur die Großmächte Amerika, Russland, China und Indien den Unterschied machen. Die Regierungschefs der kleinen Staaten – dazu gehört auch Deutschland – sind nicht mehr als gut frisierte Statisten.
Macron wurde durch Trump eben erst daran erinnert, dass er ihn für ein Würstchen hält:
Ob absichtlich oder nicht, Emmanuel liegt immer falsch.
Womit wir wieder bei Friedrich Merz sind: Er hat
angesichts der noch jungen Legislatur die Chance der frühen Einsicht.
Sein Arbeitsplatz befindet sich nicht in Nahost oder am Fuße der Rocky
Mountains, sondern im Bergwerk des deutschen Sozialstaates. Er muss
nicht die Mullahs stoppen, nur den Bürokratiewahnsinn in Deutschland. Da
hilft keine Kettensäge und keine Bunkerbombe.
Die Bürger erwarten von ihm nicht die Rettung des Weltfriedens, wohl aber die Rettung ihres Wohlstandes. Nach drei Jahren der Stagnation und bitterbösen Prophezeiungen der Institute ist das kein Hobby, sondern sein Hauptjob. Um die Hebel seiner Macht zu bedienen, braucht er kein Flugzeug, sondern nur die U5, die in der Nähe des Kanzleramts hält.
Fazit: Von Angela Merkel, die eine Reformkanzlerin sein wollte und dann zum außenpolitischen Republikflüchtling wurde, kann der Nach-Nachfolger nicht viel lernen. Möge die Nachwelt über Merz freundlicher urteilen als Wolfgang Schäuble in seinen Memoiren über Merkel:
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