08 Juni 2025

WELT-Recherchen - Einblick in die Geheimverträge – So funktioniert die Schatten-Klimalobby der EU

WELT-Recherchen
Einblick in die Geheimverträge – So funktioniert die Schatten-Klimalobby der EU
Von Stefan Beutelsbacher, Axel Bojanowski, 08.06.2025, Lesedauer: 5 Minuten
Die EU-Kommission schmiedete heimlich eine Allianz mit NGOs, um ihre Ziele durchzusetzen. In Geheim-Verträgen legte die Behörde fest, wie die Aktivisten Kohlekraft und Handelsabkommen torpedieren sollten – und zahlte viel Geld dafür. WELT hat exklusiv die Verträge eingesehen.
Am Abend des 7. Dezember 2022 unterschreiben Beamte der EU-Kommission in Brüssel einen Vertrag, den niemand kennen darf. Sie versprechen einer Umweltorganisation namens ClientEarth 350.000 Euro Fördergeld. Dafür erwarten sie aber auch eine Gegenleistung: Die Aktivisten sollen in Deutschland den Ausstieg aus der Kohlekraft vorantreiben und dabei mit „Bürgerbewegungen“ und „Klima-Camps“ zusammenarbeiten – also Protestgruppen. So steht es auf Seite 77 des Dokuments.
Erst wenige Monate zuvor, Ende September, hatten 40 Kohlegegner das Kraftwerk Jänschwalde in Brandenburg besetzt. Sie ketteten sich an Schienen und Förderbänder, die halbe Anlage musste vom Netz gehen. Der geheime Vertrag zeigt nun: Funktionäre der EU unterstützten solche Aktionen offenbar – und wollten weitere anstacheln.
Das Schriftstück ist auf einem Computer in einem Brüsseler Büro zu sehen. Mitarbeiter einer EU-Institution zeigen es WELT, obwohl sie das eigentlich nicht dürfen. Man kann die Seiten weder drucken noch nach Begriffen durchsuchen. Und alle 30 Minuten verschwinden sie, müssen neu geladen werden. Das erschwert – wohl absichtlich – die Lektüre.
Die Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen ist die mächtigste Brüsseler Behörde. Nach außen predigt sie Transparenz und Demokratie. Doch hinter den Kulissen bezahlten Funktionäre Nichtregierungsorganisationen (NGOs) jahrelang für Schmierkampagnen und Klagen gegen Unternehmen, auch mit dem Geld deutscher Steuerzahler. Sie wollten Öffentlichkeit und EU-Parlament beeinflussen – manchmal sogar Kollegen im eigenen Haus.
Die EU-Kommission stellte NGOs zuletzt jährlich 15 Millionen Euro an Betriebskostenzuschüssen zur Verfügung, einzelne bekamen bis zu 700.000 Euro. Im Gegenzug sollten sie bekämpfen, was viele Brüsseler Beamte für böse halten: fossile Energie, Glyphosat und das Handelsabkommen Mercosur mit Südamerika. Gemeinsame Kampagnen wurden bis ins Detail geplant. Zusätzlich erhielten die Aktivisten Mittel von Stiftungen, hinter denen oft auch amerikanische Geldgeber stehen (siehe Grafik).
All das geschah im Namen des sogenannten Green Deals. Die Kommission will Europa bis 2050 in den ersten klimaneutralen Kontinent der Erde verwandeln. Vieles soll grüner werden, die Energieversorgung, die Landwirtschaft, die Industrie, der Verkehr, der Wohnungsbau. Zwar kann die Behörde dafür Umweltgesetze erarbeiten, aber das letzte Wort haben die EU-Staaten und das Europaparlament. Um die zu beeinflussen, raunen Abgeordnete seit Jahren, setzte die Kommission auf „Schattenlobbyismus“.

Grundsätzlich leisten NGOs wertvolle Arbeit, sie kämpfen für saubere Meere und bedrohte Tiere, kontrollieren Politik und Wirtschaft, informieren über Missstände. Aber wenn Aktivisten eine heimliche Allianz mit Brüsseler Beamten schmieden, wird es heikel. Dann kann die EU-Kommission plötzlich mit verdeckten Helfern ihre Ziele durchsetzen.

„Die Abkürzung NGO darf kein Freibrief für eine willkürliche und unkontrollierte Verwendung von Steuergeldern sein“, sagt die einflussreiche CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier WELT. Sie hatte früh auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen und eine Debatte angestoßen. „Derzeit ist die Transparenz bei der Verausgabung der Mittel sowie bei den finanziellen Quellen von einigen NGOs nicht adäquat gewährleistet“, so Hohlmeier.

ClientEarth etwa verpflichtete sich in dem Vertrag mit der Kommission, gegen „bestimmte Kohlekraftwerke“ vorzugehen. Man werde behördliche Genehmigungen zum Ausstoß von Emissionen und zur Nutzung von Wasser anfechten. Ziel sei es, das „finanzielle und rechtliche Risiko für Eigentum und Betrieb der Kraftwerke“ zu erhöhen. Kohle ist schädlich, die Verbrennung beschleunigt die Erderwärmung. Dennoch wirkt es fragwürdig, wenn eine EU-Behörde und eine NGO hinter dem Rücken der deutschen Regierung Aktionen gegen fossile Energie planen.

Ähnlich war es bei einem Zoll-Abkommen Mercosur. Bundeskanzler Friedrich Merz und die Generaldirektion Handel der Kommission treiben es voran. Der Deal, glauben sie, werde der europäischen Wirtschaft helfen. Aber die Generaldirektion Umwelt hatte andere Pläne. Im Jahr 2022 heuerte sie die NGO Friends of the Earth an, um Mercosur zu torpedieren. Als „mittelfristiges Ergebnis“ legte der Vertrag fest: „Das Mercosur-Abkommen wird in seiner derzeitigen Form gestoppt.“ Die NGO sollte auf die „schädlichen Folgen für Menschenrechte und Umwelt“ hinweisen. Und zwar bei mindestens „drei Treffen mit EU-Abgeordneten“ und „zwei Treffen mit Vertretern der Kommission“, auch aus der „DG Trade“, der Abteilung für Handel. Europäische Beamte wollten mithilfe einer NGO und unter Nutzung von Steuergeldern also ihre Kollegen beeinflussen. Friends of the Earth erhielt 700.000 Euro.

Mit einer unabhängigen Förderung des Klimaschutzes hat all das wenig zu tun. Der CDU-Politiker Markus Pieper prangerte in einem Bericht für das EU-Parlament schon 2017 „intransparente Netzwerke“ an und forderte die Kommission auf, nicht länger NGOs zu unterstützen, die „strategische Handels- und Sicherheitsziele“ der EU missachten. Er sah sich daraufhin jahrelang wüsten Attacken von Aktivisten ausgesetzt.

Schon zu jener Zeit hätten Verträge mit NGOs vorgelegen, „deren Inhalt auch die gezielte Einflussnahme auf Abgeordnete und Ministerien war“, sagt Pieper WELT AM SONNTAG. Damit sei gegen die Gewaltenteilung verstoßen worden. Denn die europäische Exekutive habe Einfluss auf die Legislative genommen, also auf die Gesetzgebung.

Viele NGOs erhielten genau dafür Geld. Der Verband Bankwatch bekam 422.000 Euro, das European Environmental Bureau (EEB) und die Health and Environment Alliance (HEAL) je 700.000 Euro. Was dafür zu leisten war, gab die Kommission stets genau vor. HEAL etwa sollte gegen Glyphosat und PFAS kämpfen, das sind langlebige künstliche Substanzen, manche von ihnen giftig. Als Arbeitsnachweis wurden 50 bis 80 Tweets und Treffen mit vier bis sechs EU-Abgeordneten vor Abstimmungen über Chemie-Vorschriften erwartet.

Politiker der Grünen verteidigen all das. „Während Unternehmen aus der Tech-Branche oder der Industrie Millionenbeträge für die politische Interessenvertretung aufwenden können, geben die Budgets von NGOs eine derartige Präsenz häufig nicht her“, sagt der EU-Abgeordnete Daniel Freund. Es sei deshalb „absolut richtig, dass die EU-Kommission gewisse Organisationen finanziell unterstützt“.

Die Behörde von Ursula von der Leyen möchte sich zu dem Thema nicht äußern, lässt Fragen dazu unbeantwortet. Wird sie NGOs künftig strenger kontrollieren? Womöglich. Sicher ist: Es soll weiterhin viel Geld an sie fließen.

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