23 Juni 2025

The Pioneer - Midnight Hammer: Trump und die Bombe

"Die USA haben den Teufel Iran erschaffen – Trump füttert ihn jetzt weiter"
Business Class Edition
Midnight Hammer: Trump und die Bombe
Guten Morgen,
in Goethes Faust – daran liegt der literarische Reiz – war die Welt vorsätzlich böse und aus Versehen gut. Der teuflische Mephisto rief aus:
            Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft
Dieser Mephisto ist kein plumper Bösewicht, sondern ein dialektischer Gegenspieler, der durch den Impuls der Verneinung, durch die Konfrontation mit Lust, Schuld, Verführung und Verzweiflung in Faust das Gute befördert und sein Menschsein auf eine neue Ebene hebt.
Womit wir bei der Außenpolitik der USA wären. Denn die funktioniert nach dem umgekehrten Mephisto-Prinzip, nicht erst seit Trump. Man wünscht das Gute, Edle und Humanitäre und bewirkt das Böse. Man betet zum Gott der Aufklärung. Und plötzlich regnet es Tote.
Es ist oft wie verhext: Mit ihrer Vorliebe für eindimensionale Antworten auf mehrdimensionale Konflikte treffen die Amerikaner erst ins Schwarze – aim, shoot, hit – und danach sich selbst. Ob auch der nächtliche Ausflug der U.S. Air Force zu den Nuklearanlagen des Iran dem umgekehrten Mephisto-Prinzip folgte, werden wir bald erfahren.
Fakt ist: In der Nacht von Samstag auf Sonntag ließ US-Präsident Donald Trump drei iranische Nuklearanlagen mit den Tarnkappenbombern der US-Armee bombardieren. Die Anlagen seien deaktiviert worden, es handele sich um eine „spektakuläre Militäraktion“, lobte der Präsident sich und sein Team:
                        Wir lieben Gott, und wir lieben unser großartiges Militär.
Eine Rechtsgrundlage für diesen Einsatz der Air Force – der de facto den Kriegseintritt der USA in Nahost bedeutet – gibt es nicht. Es lag keine entsprechende Resolution der UN vor. Ein Angriff des Iran auf die USA, der den Präsidenten zum Preemptive Strike berechtigt hätte, stand ebenfalls nicht zu befürchten. Konsultationen mit dem Kongress, wie ihn die War Powers Resolution vorschreibt, fanden nicht statt.
Kurz und nicht gut: Für die regelbasierte Weltordnung, auf die sich alle im Westen so gern berufen, wurde die Pausentaste gedrückt. Die Souveränitätsverletzung, die man Putin in der Ukraine zu Recht vorwirft, fand am Wochenende in der amerikanischen Version statt.
Kein Zweifel: Man wollte das Gute, die Befreiung Israels aus der Geiselhaft der iranischen Atombombe. Und dann lieferte man der Welt den Blueprint des Bösen, der in Afrika, in China und bei großen Teilen der westlichen Jugend das antiamerikanische Ressentiment befeuern dürfte.
Nun könnte man argumentieren: Zum Schutze Israels war diese Militäraktion dringend geboten. Ein Iran mit Atombombe musste um jeden Preis verhindert werden.Doch die Erfahrung lehrt: Mehrdimensionale Probleme feuern zurück, oft an Stellen, wo man den Einschuss nicht erwartet hat. Das umgekehrte Mephisto-Prinzip beschädigt erst die Reputation der USA und dann Leib und Leben amerikanischer Staatsbürger – immer wieder. Und dennoch ist es seit Jahrzehnten das prägende Strukturmerkmal der amerikanischen Außenpolitik.
Mephisto #1: USA trainieren al-Qaida
Das CIA-Projekt „Operation Cyclone“ (1979–1992) diente der Bewaffnung der afghanischen Mudschahedin im Kampf gegen die sowjetische Besatzung – auch Gruppen um Mullah Omar und Osama bin Laden wurden unterstützt, die später die Taliban bzw. al-Qaida gründen sollten. Die Gotteskrieger wurden zunächst vom Weißen Haus gesponsert. Columbia-Professor und Pulitzerpreisträger Steve Coll in „Ghost Wars“:
                Wir haben Bin Laden nicht bezahlt. Aber wir haben das Ökosystem gebaut, das ihn zur Welt brachte.
Mephisto #2: USA rüsten Taliban aus
Mit der Militäroperation „Enduring Freedom“ landen die USA und ihre Nato-Partner 2001 in Afghanistan, um den Drahtzieher der Anschläge von 9/11, Osama bin Laden, zu jagen und einen Regimewechsel in dem Terrorstaat herbeizuführen.
Bin Laden wird schließlich in Pakistan mit einem Kopfschuss niedergestreckt, der Terror in Afghanistan bleibt. Die weltgrößte Armee kann sich gegen die Taliban auch in einem 20-jährigen Krieg nicht durchsetzen. Nach dem überhasteten Rückzug im August 2021 – die Verzweifelten klammerten sich an die letzte US-Maschine – fiel das Kriegsgerät der Amerikaner den Taliban in die Hände.
aut einem Bericht des U.S. Government Accountability Office (GAO) wurden 75.000 Fahrzeuge, 600.000 leichte Waffen, 200 Flugzeuge und Helikopter, mehrere Dutzend Drohnen und Nachtsichtgeräte der afghanischen Armee übergeben und dann von den neuen, alten Machthabern, den Taliban, übernommen. Graham Fuller, Ex-CIA-Agent in Afghanistan:
                Wir schufen ein Frankenstein-Monster – und jetzt sind wir überrascht, dass es sich von allein bewegt.
Mephisto #3: USA machen Ayatollah Khomeini groß
In der Nacht vom 18. auf den 19. August des Jahres 1953 stürzten die CIA und der britische Geheimdienst in Teheran den demokratischen Premierminister Mohammed Mossadegh, der die Öl- und Gasvorkommen des Landes verstaatlichen wollte. Die „Operation Ajax“ diente – ausweislich der vom National Security Archive freigegebenen CIA-Dokumente – dem Ziel der „Installierung einer prowestlichen Regierung im Iran“.
as muslimische Land wurde zur Tankstelle Amerikas – und zur Brutstätte eines radikalisierten Antiamerikanismus. Denn der von den Amerikanern eingesetzte Schah Reza Pahlavi war kein Demokrat, sondern ein autoritärer Führer mit Glitzerfassade und Folterkeller. Und vor allem war er ein Loyalist, der allen US-Präsidenten zu Diensten war, von Eisenhower über Kennedy, Johnson, Nixon, Ford bis zu Jimmy Carter.

An anderem Ort zur gleichen Zeit: Niemand bemerkte, wie sich im Pariser Exil eine Exilantengruppe unter Führung von Ayatollah Khomeini auf die Machtübernahme in Teheran vorbereitete. Viele Iraner empfanden den autoritären Kurs des Schahs als Angriff auf ihre kulturelle und religiöse Identität. Die Proteste wurden massiver, religiöser, nationaler.

Ayatollah Ruhollah Khomeini stieg zum moralischen Anführer einer islamischen Revolution auf, gezüchtet und genährt von den Amerikanern und ihrem Sendungsbewusstsein, das man in vielen Teilen der Welt als imperiale Arroganz empfindet. Khomeinis antiamerikanische Kassettenpredigten – aufgenommen auf einem herkömmlichen Kassettenrecorder – verbreiteten sich im ganzen Land – eine frühe Form des „Underground Podcast“.

Plötzlich ging es Schlag auf Schlag. 16. Januar 1979: Der Schah verlässt das Land, offiziell „aus medizinischen Gründen“ – de facto ins Exil.         
1. Februar 1979: Khomeini kehrt aus Paris zurück und wird triumphal empfangen. Am 1. April 1979 ruft er die Islamische Republik Iran aus.  Amerika bleibt nur der schmachvolle Rückzug.
Mephisto #4: Made in USA – Wie Washington Irans Atomprogramm erfand
Das iranische Atomprogramm ist – anders als in vielen Medien dargestellt – keine Erfindung der Islamischen Republik, sondern das uneheliche Kind amerikanischer Politik: „Atoms for Peace“ war ein Programm aus dem Jahr 1957, das in Washington, D.C. unter Präsident Eisenhower designt wurde. Der in Oxford studierte Orientalist David Patrikarakos schreibt in seinem Buch „Nuclear Iran: The Birth of an Atomic State“:
Es waren die USA, die den Iran dazu drängten, die Nuklearenergie in ihrem Land einzuführen.
Wenig später – 1967 – lieferten die USA an die Universität Teheran einen Fünf-Megawatt-Forschungsreaktor vom Typ TRR, betrieben mit hochangereichertem Uran, also Material mit über 90 Prozent U-235 – waffentauglich. Rund 5,58 Kilogramm hochangereichertes Uran waren zur Erstbestückung nötig, geliefert von den Amerikanern.

Der Schah und die USA träumten von einem atomaren Wirtschaftswunder, auch um die fossile Abhängigkeit zu beenden. 1974 kündigte man an, bis zur Jahrtausendwende 23 Atomkraftwerke bauen zu wollen. Gesamtleistung: 23.000 Megawatt. Siemens und die KWU unterschrieben Verträge zum Bau zweier Reaktoren in Buschehr. Zeitgleich stieg Westinghouse ein, man einigte sich mit dem Iran auf die Lieferung von Brennelementen und das Training von Ingenieuren.

Auch die Nuklearanlage Isfahan, die gestern Nacht von den USA angegriffen wurde, besitzt ihre Wurzeln in der Ära „Atoms for Peace“.

Mit der Islamischen Revolution und der Besetzung der US-Botschaft war Schluss mit der nuklearen Freundschaft. Amerika ging, doch das Wissen, die Ambitionen und das nukleare Material blieben im Land. Die Stelle der hilfreichen Amerikaner traten nun die nicht minder hilfreichen Russen und Chinesen.

Was bleibt? Bislang gibt es keinen Beweis dafür, dass die Atomanlagen in der Nacht am Sonntag wirklich zerstört wurden. Und es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass der Iran und seine Unterstützer kapitulieren und ihre Nuklearambitionen beenden. Vor allem gibt es nur vage Hoffnungen, dass die Bevölkerung des Iran sich hinter den USA versammelt und das religiöse Regime stürzt.

Der israelische Historiker Benny Morris in der FAZ auf die Frage, ob die USA und Israel einen Regimewechsel in Teheran anstreben:
            Ich denke, ja. Aber ich halte ihn für unwahrscheinlich. Das Regime ist sehr stark und sehr repressiv. Dieses Regime ist nicht wie das des Schahs, das letztlich wie ein Kartenhaus zusammenbrach.
Fazit: Der Bombenabwurf der Militäraktion „Midnight Hammer“ vom Wochenende war mutmaßlich nicht der Schlusspunkt, sondern der Startschuss für einen Nahostkrieg neuen Typs. Henry Kissinger, der im Vietnamkrieg selbst eine schmerzhafte Lektion verpasst bekam, blieb zeitlebens skeptisch gegenüber den Siegesfanfaren seiner Regierung. Letztlich beschrieb er präzise das umgekehrte Mephisto-Prinzip.
            Mit jedem Sieg löst man die Eintrittskarte zu einem noch schwierigeren Problem.

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