CDU und BSW wollen vor Landtagspräsidentenwahl Geschäfts-ordnung ändern – wie wird die AfD reagieren? (EpochTimes)
Ich glaube nicht, dass der Landtag vor der Wahl eines Präsidenten über eine neue Geschäftsordnung abstimmen kann. Die Rechtslage ist hier sehr eindeutig.“
AfD-Landtagsabgeordneter als Sitzungsleiter
Die Ehre der Leitung der konstituierenden Sitzung gebührt gemäß Paragraf 1 (2) GO dem sogenannten „Alterspräsidenten“, also dem ältesten Abgeordneten. Das Amt fällt damit dieses Mal an einen AfD-Vertreter – nämlich Jürgen Treutler (73). Sollte er wider Erwarten verzichten, wäre das nächstälteste Mitglied des Landtags an der Reihe.
Wer auch immer am Donnerstag die Rolle des Alterspräsidenten übernehmen wird: Seine Befugnisse enden erst, wenn ein neuer Landtagspräsident rechtskräftig gewählt ist.
Erste Amtshandlung des Alterspräsidenten wäre laut Paragraf 1 (3) GO die Ernennung zweier Abgeordneter zu „vorläufigen Schriftführern“ und das Verlesen der Namen sämtlicher Landtagsabgeordneter, um die Beschlussfähigkeit festzustellen. Dazu müssen mehr als 50 Prozent der Mandatsträger anwesend sein.
Vorschlagsrecht gebührt der AfD als stärksten Fraktion
Die zweite Amtshandlung des Alterspräsidenten wäre gemäß Paragraf 1 (4) GO die Durchführung der Wahl des Landtagspräsidenten und von dessen Stellvertretern – laut Paragraf 2 (2) GO je einer pro Fraktion. Im Anschluss würden „18 Schriftführerinnen und Schriftführer“ gewählt und „ein Petitionsausschuss nach § 70 a“ gebildet.
Das Vorschlagsrecht für den künftigen Präsidenten des Thüringer Landtags steht ebenfalls nach Paragraf 2 (2) GO dieses Mal der AfD zu, denn die Alternative für Deutschland stellt seit der Wahl vom 1. September 2024 die stärkste Fraktion.
Eine Aussprache ist laut Paragraf 2 (1) GO im Vorfeld nicht vorgesehen, die Wahl hat geheim zu erfolgen. An gleicher Stelle der Geschäftsordnung heißt es:
Gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält. Ergibt sich keine solche Mehrheit, können für weitere Wahlgänge neue Bewerberinnen beziehungsweise Bewerber vorgeschlagen werden.“
Nach Angaben des Thüringer Landtags muss im Fall eines gescheiterten ersten Wahldurchgangs zunächst ein zweiter Wahlgang erfolgen. „Ergibt auch der zweite Wahlgang keine Mehrheit, kann die stärkste Fraktion den zuerst vorgeschlagenen Kandidaten oder eine neue Kandidatin vorschlagen.“
Das bedeutet, dass die AfD ihre Wunschkandidatin Wiebke Muhsal fallen
lassen könnte, um einen anderen Abgeordneten vorzuschlagen. In jedem
Fall könnten ab dem dritten Wahlgang „auch die übrigen Fraktionen eigene
Wahlvorschläge einbringen“. Über mögliche Bewerber ist noch nichts
bekannt.
CDU und BSW wollen Vorschlagsrecht von Beginn an
Genau diesen Ablauf wollen die Fraktionen von CDU und BSW offenbar am liebsten verkürzen. Nach Informationen des MDR wollen sie einen Antrag zur Abstimmung stellen, wonach das Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten bereits im ersten Wahlgang allen Fraktionen zustehen soll.
Andreas Bühl, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, hat laut „Welt“ das Vorhaben damit begründet, dass man es nicht zulassen dürfe, „dass der Thüringer Landtag als Institution beschädigt“ werde. Thüringen benötige „einen Landtagspräsidenten, der das Format und die charakterliche Eignung“ besitze, „seine Aufgabe als Hüter der Demokratie zu erfüllen“.
Sein BSW-Pendant Tilo Kummer sagte, das Ziel sei, „ein rechtssicheres Verfahren“ für die konstituierende Sitzung zu bewirken. „Wir wollen ein wochenlanges Gezerre vermeiden und schnell zu einem handlungsfähigen Landtag kommen.“
Eine absolute Mehrheit der Abgeordneten mit 45 Stimmen würde im Prinzip genügen, um die GO zu ändern. Doch bevor der CDU/BSW-Antrag gestellt und darüber abgestimmt werden könnte, müsste – wie beschrieben – ja zunächst ein Landtagspräsident gewählt sein.
Andere Fraktionen wollen AfD-Landtagspräsidenten unbedingt verhindern
Nach Stand der Dinge haben weder Muhsal noch irgendein anderer AfD-Abgeordneter die Chance, eine absolute Mehrheit aller abgegebenen Stimmen hinter sich zu versammeln: Sämtliche übrigen Fraktionen – CDU, BSW, Linke und SPD – sind sich laut MDR darin einig, niemals einen Landtagspräsidenten aus den Reihen der AfD zu akzeptieren.
CDU-Fraktionschef Mario Voigt, der amtierende Ministerpräsident Bodo
Ramelow (Linke) und BSW-Fraktionschefin Katja Wolf könnten sich
höchstens einen AfD-Vizepräsidenten im Landtagspräsidium vorstellen.
CDU, BSW, Linke und SPD verfügen zusammen über 56 Sitze, die AfD-Fraktion über die restlichen 32.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke hat für den Fall, dass die übrigen Fraktionen tatsächlich die Kandidatin der „stärksten Kraft“ als Parlamentspräsidentin verhindern sollten, auf Facebook bereits von einem „weiteren historischen Tabubruch“ gesprochen. Zu den jüngsten Geschäftsordnungsänderungsplänen seiner Konkurrenzparteien schrieb er auf seinem X-Kanal:
Es ist unfaßbar [sic!], mit welchen politischen Taschenspielertricks die Kartellparteien die Wahlergebnisse und die parlamentarische Partizipation eines Drittels der Thüringer Wähler aushebeln wollen.“
Warten auf den dritten Wahlgang
Die spannende Frage ist nun, was vor Beginn des dritten Wahlgangs geschehen wird. Wird das Vorschlagsrecht „automatisch auf die anderen Fraktionen“ übergehen, wie es die Landtagsverwaltung nach Informationen des MDR interpretiert? Oder wird AfD-Alterspräsident Treutler das Vorschlagsrecht einfach weiter allein der AfD-Fraktion zuteilen, sodass sich die Wahl theoretisch hinziehen könnte, bis sämtliche AfD-Parlamentarier erfolglos vorgeschlagen wurden?
Die Präsidentenwahl würde damit wahrscheinlich zu einem Fall für das thüringische Verfassungsgericht. Es bleibt abzuwarten, ob Treutler es auf einen Skandal ankommen lassen wird.
Bei Stichwahl würde die relative Mehrheit genügen
Fakt ist: Mit dem dritten Wahlgang erlangen laut GO auch die übrigen Fraktionen das Recht, Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten vorzuschlagen, ohne den das Parlament seine eigentliche Arbeit ja nicht aufnehmen darf.
Geht man davon aus, dass Treutler dies zulassen wird, werden höchstwahrscheinlich mehrere Kandidaten gegeneinander antreten. Dann würde nach Angaben der Landtagsverwaltung derjenige gewinnen, der „mehr Stimmen als alle anderen Bewerberinnen oder Bewerber auf sich vereint“. Und weiter:
Wenn dieses Ergebnis nicht eintritt, wird eine Stichwahl zwischen den zwei Bewerberinnen oder Bewerbern mit den meisten Stimmen durchgeführt. Gewinner ist dann der oder die Kandidatin mit den meisten Stimmen. Der neue Landtag kann nun seine Arbeit aufnehmen.“
Die Sache mit der Stichwahl beruht auf Paragraf 46 (3) GO. Dieser Absatz weiß auch Rat für den Fall einer Stimmengleichheit:
Erreichen mehr als zwei Bewerberinnen beziehungsweise Bewerber die höchste Stimmenzahl, so wird unter ihnen die Wahl wiederholt. Erreichen mehr als eine Bewerberin beziehungsweise ein Bewerber die zweithöchste Stimmenzahl, so entscheidet das Los, wer von diesen in die Stichwahl kommt.“
Schaltet Höcke den Ministerpräsidenten-Turbo ein?
Wenn der Thüringer Landtag dann endlich handlungsfähig ist, könnte Höcke übrigens sogleich die Wahl des Ministerpräsidenten beantragen. Diese Wahl müsste dann innerhalb von 48 Stunden über die Bühne gehen.
Um Höcke als Ministerpräsidenten zu verhindern, müssten sich die
anderen vier in den Landtag gewählten Parteien – CDU, BSW, Linke und SPD
– schnell auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten einigen. Die besten
Karten, gemessen an der Fraktionsstärke (23 Sitze), hätte dafür der
CDU-Landeschef Mario Voigt.
Dass es in Thüringen aber tatsächlich zu einer Regierungskoalition zwischen CDU und BSW kommen könnte, hält CDU-Bundesparteichef Friedrich Merz auch wegen der unterschiedlichen Positionen zum Ukraine-Krieg inzwischen für „sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich“. Denkbar sei für ihn womöglich eine Duldung oder andere Formen der Zusammenarbeit, erklärte Merz am Donnerstag, 19. September, in Berlin.
Ein CDU/BSW-Bündnis allein würde ohnehin nicht für eine Mehrheitsregierung ausreichen, denn sieben Sitze fehlen. Die Lücke wäre selbst mit den sechs Sitzen der SPD nicht zu füllen. Ohne mindestens eine Stimme vonseiten der Linken ist rechnerisch keine Mehrheit möglich.
Die Regierungsbildung in Erfurt bleibt also bis auf Weiteres schwierig – und spannend.
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