Deutschland debattiert erneut darüber, wie die Zahl der Migranten gesenkt und abgelehnte Asylbewerber konsequenter abgeschoben werden können. Sollte es zu einer Einigung von Regierung und Opposition kommen, wäre die Bundesrepublik kein Vorreiter, sondern ein Nachzügler bei der Asylrechtsverschärfung in Europa. Denn fast alle der wichtigen Ankunfts- und Zielländer von Migranten haben in den vergangenen Jahren einen Kurswechsel vollzogen.
ÖsterreichÖsterreich ist im Wahlkampf – Ende des Monats wählen die Menschen ein neues Parlament. Kanzler Karl Nehammer und seine konservative ÖVP stehen unter Druck, denn die Rechtsaußen-Partei FPÖ führt die Umfragen an. Im Parteiprogramm fordert die FPÖ eine „Festung Österreich“, die Einführung von Pushbacks an der Grenze, die Abschaffung der österreichischen Staatsbürgerschaft für Asylberechtigte sowie der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern (mit wenigen Ausnahmen). In kaum einem anderen Land ist den Menschen die Reduzierung von Migration so wichtig wie in Österreich.
Dabei
war Österreich in den vergangenen Jahren bereits Vorreiter: Wien hat
Grenzkontrollen wiedereingeführt, österreichische Beamte arbeiten in den
Ländern der Balkanroute und unterstützen dortige Grenzpolizisten, zudem
gibt es Schnell- und Eilverfahren, mit denen Asylanträge in 28 Tagen
beziehungsweise 72 Stunden beschieden werden. Unkooperative Herkunfts-
und Transitländer setzt die Regierung diplomatisch unter Druck. In der
Folge sank die Zahl der Ankünfte deutlich.
Wien ist außerdem Verfechter des „Ruanda-Modells“, nach dem Asylbewerber in Drittländer gebracht werden sollen, und will dafür das EU-Recht ändern. Die Debatte in Deutschland sieht man mit Skepsis: Potenziell von Deutschland zurückgewiesene Menschen will Österreich nicht wieder aufnehmen.
Niederlande
Nach dem Wahlsieg des rechtsnationalen Politikers Geert Wilders verschärft
die neue Regierung die Asyl- und Integrationspolitik deutlich.
Grenzkontrollen wurden verstärkt, abgelehnte Asylbewerber sollen
schneller und kompromissloser abgeschoben werden.
Jüngst wurde bekannt, dass die liberal-konservative Koalition nun die
„Bett, Bad, Brot“-Regelung abschafft, wonach abgelehnte Asylbewerber
bislang weiterhin ein Dach über dem Kopf und Nahrung erhielten. Die neue
Regierung betont, abgelehnte Antragsteller müssten außer Landes
gebracht werden, jede Form der Hilfe sei kontraproduktiv.
Jüngst wurde bekannt, dass die liberal-konservative Koalition nun die
„Bett, Bad, Brot“-Regelung abschafft, wonach abgelehnte Asylbewerber
bislang weiterhin ein Dach über dem Kopf und Nahrung erhielten. Die neue
Regierung betont, abgelehnte Antragsteller müssten außer Landes
gebracht werden, jede Form der Hilfe sei kontraproduktiv.
Im Koalitionsvertrag ist außerdem eine Opt-out-Klausel vorgesehen, mit der sich die Niederlande vorbehalten, die EU-Asylregeln zu ignorieren. Auch die Praxis, einzelnen Gemeinden Asylbewerber einfach zuzuweisen, wurde beendet.
Der Koalitionsvertrag der neuen Regierung wurde erst vor wenigen Monaten präsentiert; wie konsequent die Pläne umgesetzt werden, ist offen. Allerdings geht es bei der Umsetzung der Pläne für Wilders, dessen Erfolg in einer seit mehr als einem Jahrzehnt verfolgten islam- und migrationskritischen Politik wurzelt, um nichts weniger als die Glaubwürdigkeit bei seinem Kernthema.
Dänemark
Unionschef Friedrich Merz legte Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem Messeranschlag von Solingen explizit nahe, den Asylkurs seiner Parteifreundin und dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zu übernehmen. Die Sozialdemokratin argumentiert, dass eine finanzierbare Sozialpolitik Grenzen brauche – und deshalb die Zahl der Zuwanderer reduziert werden müsse.
Dänemark kann durch eine
Sonderregelung seit den 1990er-Jahren von der EU-Asylpolitik abweichen.
Die Regierung in Kopenhagen nutzt dies intensiv. Frederiksen hatte das
Motto „Null Asyl“ ausgegeben. Als einziges EU-Land erklärte Dänemark
Syrien zum sicheren Herkunftsland und kündigte Abschiebungen an.
Allerdings wurde bisher kein Flüchtling dorthin zurückgebracht.
Andere Maßnahmen setzte Kopenhagen konsequent um. So müssen Asylbewerber in Sammelunterkünften bleiben, bis über ihren Antrag entschieden wird. Auch zahlt das relativ wohlhabende Dänemark vergleichsweise niedrige Leistungen an Asylbewerber.
Dänemark hat auch für Aufsehen gesorgt mit seiner europaweit einmaligen „Ghetto-Politik“. Im Zuge dieser Strategie werden Bewohner von stark migrantisch geprägten Stadtteilen zum Umzug in andere Bezirke verpflichtet. Die Zahl der Asylbewerber in Dänemark, das vor einem Jahrzehnt noch ein Topziel von Migranten war, ist auf ein Zehntel des deutschen Pro-Kopf-Werts gesunken.
Schweden
Auch Schweden, das bis 2015 die liberalste Asylpolitik in Europa hatte, hat sich in den vergangenen Jahren bemüht, nicht mehr als aufnahmebereites Land zu erscheinen. Schon während der Flüchtlingskrise von 2015/2016 verschärfte die sozialdemokratische Regierung die bis dahin relativ laxen Asylregen. Aber in dem skandinavischen Land, das seit Jahren von der Gewalt migrantisch geprägter Vorstadt-Banden konfrontiert ist, blieben die Rufe nach weiteren Verschärfungen laut.
Inzwischen ist eine liberal-konservative Regierung an der Macht, die von den Schwedendemokraten, dem schwedischen AfD-Pendant, gestützt wird. Die neue Regierung erschwerte den Familiennachzug, verschärfte den Schutz der Grenzen und richtete Rückführungszentren ein, um Abschiebungen konsequenter durchzuführen.
Ministerpräsident Ulf Kristersson wies sogar schwedische Botschaften an, Informationen zu verteilen über die Regeln für Asylbewerber in Schweden, damit die Menschen sich erst gar nicht aufmachen in das skandinavische Land. Jüngst verkündete die Regierung, dass die Zahl der Asylbewerber in der ersten Hälfte des laufenden Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 27 Prozent gesunken sei – und Schweden erstmals seit rund 50 Jahren eine Netto-Auswanderung verzeichnet habe.
Südosteuropa
Griechenland
wendet eine Doppelstrategie an. Zum einen will die Regierung so wenig
irreguläre Migranten ins Land lassen wie möglich. Eine Vereinbarung
zwischen EU und Türkei, der zufolge Ankara die Migranten an der
Überfahrt hindert, senkte zwar ab 2016 die Zahlen. Als die Türkei ein
paar Jahre später aber aus politischen Gründen gezielt Menschen an die
Grenze schickte, nahm Athen die Sache selbst in die Hand – und weist
zurück. Dies geht oft mit Gewalt einher, wie Recherchen verschiedener
Medien und Nichtregierungsorganisationen zeigen. Demnach verprügelten
vermummte Offizielle die Migranten, schossen in ihre Richtung oder
warfen sie über Bord. Die griechische Regierung streitet ein derartiges
Vorgehen ab.
Zum anderen will Griechenland für Migranten so unattraktiv wie möglich sein. Neuankömmlinge kommen üblicherweise in geschlossene Lager. Staatliche Unterstützung und Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Asylstatus gibt es kaum. Viele ziehen deshalb weiter in Richtung Westeuropa – was durchaus im Interesse der griechischen Regierung liegt. 2020 reformierte sie das Asylrecht, um Verfahren zu beschleunigen und schnellere Abschiebungen zu ermöglichen. Rückführungen im großen Stil blieben dennoch aus.
Auch Bulgarien – das wie Griechenland eine Grenze mit der Türkei teilt – und Kroatien – das auf der Balkanroute liegt, die sich an die östliche Mittelmeerroute anschließt – werden brutale Methoden vorgeworfen, um Migranten an der Grenze zurückzuweisen. Die zunehmend von Gewalt geprägte Grenzpolitik in EU-Ländern hat allerdings nicht dazu geführt, dass die Migrationszahlen stark und langfristig zurückgingen – sie verlagerten sich nur.
Italien
Giorgia Meloni, Italiens Ministerpräsidentin, hatte die Migrationskontrolle zu ihrem zentralen Wahlkampfversprechen gemacht. Es ist ein Kernanliegen ihrer Wähler. Um Ergebnisse zu liefern, will Rom unter anderem die Anträge einiger Asylsuchender künftig in Albanien bearbeiten und errichtet dafür Lager. Doch das Vorhaben war zuletzt immer wieder verschoben worden. Es passt aber in Melonis Strategie der Externalisierung. Szenen überfüllter Rettungsboote in italienischen Häfen will sie verhindern.
Dafür hat sie nicht nur die Arbeit für NGO-Rettungsboote auf dem Mittelmeer erschwert, sondern auch ein Abkommen mit Tunesien abgeschlossen. Für eine millionenschwere Finanzhilfe sollte sein Land stärker gegen Schlepper vorgehen.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten – Tunis zahlte gar einen Teil des geflossenen Geldes zurück, offenbar weil die EU unerwünschte Bedingungen stellte – scheint das Abkommen nun Wirkung zu zeigen. Die Zahlen gingen zurück. Ein älteres Abkommen mit Libyen – Rom bezahlt die dortige Küstenwache, um Migranten an der Überfahrt zu hindern – senkte die Zahlen allerdings nur vorübergehend. Auch hat Italien die Abschiebehaft verlängert und experimentiert mit geschlossenen Lagern. Italienische Gerichte urteilen jedoch immer wieder, dass die Inhaftierung von Migranten nicht rechtskonform ist.
Spanien
Die Anzahl der Migrantenboote auf den Kanarischen Inseln steigt in diesem Jahr wieder an – und für den Herbst ist eine weitere Zunahme der Ankünfte zu erwarten. Jüngst sorgte die Fahrt eines staatlichen Rettungsschiffs über 500 Kilometer vor die mauretanische Küste für Diskussionen. So weit von den Kanaren entfernt wurden Bootsmigranten gerettet und nach Spanien gebracht.
Die Nationalpolizei registriert die Ankömmlinge zwar, überprüft deren Angaben aber nicht. Seit einigen Wochen werden zwecks Vermeidung des Kollapses auf den Kanaren Asylbewerber aufs Festland ausgeflogen. Hier verliert sich oftmals ihre Spur, weil die Menschen ihre Asylanträge lieber in anderen EU-Staaten stellen – was den Dublin-Regeln widerspricht, aber eine Erleichterung für Spanien darstellt.
In Mauretanien und im Senegal sind derweil spanische Sicherheitskräfte im Einsatz, um Schmuggler-Netzwerke zu zerschlagen. 40 Prozent aller Abfahrten, behauptet die Zentralregierung in Madrid gegenüber WELT, würden so verhindert.
Frankreich
Ende letzten Jahres wurde im Parlament nach einem wochenlangen Psychodrama ein strenges Einwanderungsgesetz verabschiedet. Der ursprüngliche Entwurf von Emmanuel Macrons Regierungsmehrheit war unter dem Druck der konservativen Partei Les Républicains (LR) deutlich verschärft worden. Aber nur wenige Wochen später kassierte der Verfassungsrat große Teile des Gesetzes.
Fast ein Drittel der 86
Artikel wurden als nicht verfassungskonform abgelehnt. Dazu gehörte die
Verschärfung der Bedingung für Sozialhilfe und die der
Familienzusammenführung. Auch die Festsetzung von Einwanderungsquoten
durch das Parlament lehnte das Gericht ab. Innenminister Gérald Darmanin
jubelte dennoch über das neue Gesetz und schrieb, es sei noch nie so
einfach gewesen, Straftäter auszuweisen.
Für Marine Le Pen vom Rassemblement National (RN) mag das ein „ideologischer Sieg“ gewesen sein, wie sie es selbst formulierte, doch Parteichef Jordan Bardella beklagte die abgespeckte Version des Gesetzes als „Totgeburt“. Frankreichs Rechtspopulisten fordern seit langem ein Referendum, die Konservativen eine Grundgesetzänderung. Ihr Fraktionsvorsitzender im Senat, Bruno Retailleau, kritisiert, dass Frankreich seine Entscheidungshoheit in Migrationsfragen an den Verfassungsrat und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abgegeben habe.
Tim Röhn leitet das Investigativ-Ressort. Für WELT berichtet er seit 2016 von den Hotspots der EU-Außengrenze und lebt selbst an der Meerenge von Gibraltar.
Carolina Drüten ist Türkei-Korrespondentin mit Sitz in Istanbul. Sie berichtet außerdem über Griechenland, die Länder des westlichen Balkans, Rumänien und die Republik Moldau. Im Auftrag von WELT ist sie als Autorin und Live-Berichterstatterin für den Fernsehsender unterwegs.
Martina Meister berichtet im Auftrag von WELT seit 2015 als freie Korrespondentin in Paris über die französische Politik.
Klaus Geiger leitet seit 2018 das Ressort Außenpolitik der WELT. Er berichtet vorwiegend über die Themen Migration und Sicherheitspolitik sowie über die EU und Ostasien..
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