Ich sah zigfach junge Männer in Militäruniformen, paramilitärischen Outfits und traditionellen afghanischen Gewändern, die stolz den Tauhid-Finger als Machtdemonstration in die Kamera strecken. Ihr Auftreten wirkt aggressiv und martialisch, sie zeigen sich in großen Gruppen. In diesen Videos ist es auch sehr üblich, Emojis mit Säbeln, Messern, Äxten, Gewehren, Totenköpfen und Blut zu verwenden. Unterlegt werden sie dann mit dem Sound von Gewehrschüssen oder Dschihad-Musik. Neben der Afghanistan-Flagge wird in den Videos vielfach auch eine weiße Flagge benutzt, welche für die Taliban steht. Inhaltlich geht es oft darum, ein guter Kämpfer gegen die Ungläubigen zu sein, um den Islam nach Europa bringen zu können. Sie nennen sich beispielsweise „König von München“ oder „Eroberer von Europa“. Eine anti-westliche Haltung ist spürbar, beispielsweise wenn es darum geht, sich „nichts sagen zu lassen“ oder eben die eigenen Scharia-Regeln zu etablieren. Frauen sucht man in den Videos übrigens vergeblich.
Handelt es sich bei den TikTok-Videos von islamistischen Afghanen um Einzelfälle oder um ein Massenphänomen?
Es ist wie eine große Parallelwelt, zu der die allermeisten Deutschen im Alltag kaum Berührungspunkte haben. Es scheint deutschlandweit ganze Netzwerke von jungen Afghanen zu geben, die derlei Videos auf TikTok veröffentlichen. Ich habe Videos von islamistischen Afghanen gesehen, die in Schweinfurt, Aschaffenburg, Rosenheim, München, Frankfurt, Köln und besonders in Hamburg leben. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch viel größer. Und unsere Recherchen haben auch ergeben, dass die jungen Männer untereinander wohl sehr gut vernetzt sind. Eine solche Gruppendynamik sorgt für ein hohes Mobilisierungspotential.
Für wie gefährlich halten Sie die islamistischen Afghanen?
Afghanistan
ist ein Land, in dem sich Männer meiner Erfahrung nach nahezu
ausschließlich über ihre Männlichkeit definieren. Ein Mann ohne Waffe
wird dort beispielsweise nicht als echter Mann wahrgenommen, Waffen sind
ganz wichtige Statussymbole. Ein „großer Kämpfer“ zu sein, ist für
viele junge Männer in einem Land, wo die letzten Jahrzehnte Krieg
herrschte, eine nahezu heldenhafte Vorstellung. Gleichzeitig darf man
nicht vergessen, dass schätzungsweise 70 Prozent der Menschen in
Afghanistan weder lesen noch schreiben können und die örtliche Moschee
oft der wichtigste Einfluss ist. Wenn diese jungen Männer dann nach
Deutschland kommen, sind sie mit einer völlig anderen Welt konfrontiert.
Haben Sie Beispiele von Gewalttaten, die aus jenen Kreisen bereits begangen wurden?
Polizisten haben uns während der Recherchen in München berichtet, dass es in den vergangenen Monaten zu einer Vielzahl von Gewalt- und Messerdelikten gekommen ist. Die Polizei München habe daher auch Maßnahmen ergriffen und beispielsweise die Videoüberwachung ausgebaut und Platzverweise erteilt. Ob die jungen Afghanen, mit denen wir gesprochen haben, in solche Delikte involviert waren, kann ich nicht sagen – jedoch präsentieren sie sich auf Social Media mit Messern, Säbeln und Macheten. Einer kündigt an, „Köpfe abzuschneiden“. Ich würde daher nicht ausschließen, dass von ihnen eine konkrete Gefahr ausgehen könnte.
Konnten Sie mit deutschen Sicherheitsbehörden über Ihre Recherche-Ergebnisse sprechen? Denken Sie, dass die Verfassungsschützer das Phänomen in ihrer ganzen Tragweite auf dem Radar haben?
Das Problem sind nicht die deutschen Sicherheitsbehörden, sondern die Politik. Den deutschen Sicherheitsbehörden, besonders der Bundespolizei, ist die Problematik meines Wissens absolut bewusst, vonseiten der Gewerkschaften der Polizei wird ja auch regelmäßig schärfste Kritik geäußert. Wir brauchen aus meiner Sicht dringend neue Gesetze, um auf die Gefahr sowohl im digitalen Raum als auch im öffentlichen Raum vorbereitet zu sein. All die genannten TikTok-Accounts sollten ins Visier des Verfassungsschutzes genommen werden. Was es für die Behörden aber besonders schwierig macht: Die jungen Afghanen, die ich kennenlernte, sind keine organisierten Islamisten im lehrbuchmäßigen Sinne. Sie gehören nicht offiziell einer Vereinigung wie den Taliban oder dem IS an und haben auch nicht die klassischen Stufen der Radikalisierung durchlaufen.
Doch Sie haben die islamistischen Afghanen nicht nur auf TikTok beobachtet und analysiert. In einem nächsten Schritt Ihrer Recherche haben Sie auch einen persönlichen Kontakt herstellen können. Wie ist Ihnen das gelungen?
Wir haben zunächst die Menschen auf TikTok angeschrieben und keine Rückmeldung bekommen. Ich habe lange in München gelebt und konnte auf mehreren der Videos den Stachus und den Alten Botanischen Garten lokalisieren. Auf gut Glück sind wir schließlich mit einem Kameramann und einem Begleiter, der Dari und Farsi spricht, in den Alten Botanischen Garten gegangen. Wir stellten uns höflich als Journalisten vor und sagten, dass wir nach Afghanistan reisen möchten. Die jungen Männer zeigten sich als Unterstützer der Taliban und erzählten uns davon, wie sicher Afghanistan durch die neuen Machthaber geworden ist. Auf Deutschland angesprochen, teilte uns einer der Afghanen mit, dass erst alles gut sein werde, wenn das Scharia-Recht auch hier herrsche.
Sie sind 2022 selbst mehrere Monate durch Afghanistan gereist und konnten die Gesellschaft besser kennenlernen. Waren Sie überrascht über die Ansichten der jungen Afghanen in München?
Überrascht nicht, denn genauso habe ich Afghanistan erlebt. Schockiert hat es mich allerdings doch, dass es diese offenkundigen Taliban-Unterstützer nach Deutschland geschafft und sie hier einen Schutzstatus erhalten haben. Die überwiegende Mehrheit der Afghanen, die ich während meiner Zeit im Land kennengelernt habe, sehen den Islam als wichtigstes Fundament in ihrem Leben. Die Gesetze der Scharia stehen über allen anderen. Für die Afghanen ist die Scharia das normale Rechtssystem, das für Ordnung innerhalb der Gemeinschaft sorgt. Im Alten Botanischen Garten in München sagten uns die jungen Männer, dass die Scharia für sie verständlicher und einfacher ist. Sie erzählten uns ein Beispiel: In Afghanistan werde nur wenig gestohlen, da die Hand zur Bestrafung abgehackt werde. Die in Deutschland übliche Geldstrafe ist für die Afghanen völlig unverständlich.
Welche Einstellungen haben die jungen Afghanen, die Sie in München kennenlernten, zu Deutschland?
Als ich in Afghanistan war, haben mich die Männer, mit denen ich Kontakt hatte, in allererster Linie als Ungläubige und dann im zweiten Schritt als Frau gesehen. Es hat sie kaum interessiert, dass ich eine Journalistin bin. Die Welt wird eingeteilt entlang des Glaubens und des Geschlechts. Aus ihrer Perspektive leben sie in Deutschland wohl in einem dekadenten Land der Ungläubigen.
Warum sind diese jungen Afghanen dann nach Deutschland gekommen, wenn sie selbst der Überzeugung sind, dass die Taliban das Land sicherer gemacht haben?
Die jungen Männer aus München haben uns gesagt, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen gekommen sind. Sie haben auch gesagt, sie würden gerne wieder zurückgehen, um Urlaub zu machen, wenn sie das Geld dazu hätten. Diese Aussage hat mich unter anderem dazu bewogen, dem Thema Urlaubsreisen von Geflüchteten aus Afghanistan nachzugehen.
Also vertreten Sie die Auffassung, dass die allermeisten Afghanen aus wirtschaftlichen Motiven nach Deutschland kommen und nicht, um hierzulande Schutz vor einer Verfolgung durch die Taliban zu finden?
In
einem Land, in dem viele Menschen von bitterster Armut bedroht sind,
ist es absolut verständlich. Dies entspricht allerdings nicht den
Voraussetzungen, die in Deutschland erforderlich sind, um subsidiären
Schutz oder Asyl zu erhalten. Im Alten Botanischen Garten in München
sprachen wir mit einem jungen Mann, der uns erzählte, dass er als
ehemaliger Polizist Probleme mit der Taliban bekommen habe. Sein neben
ihm stehender Freund sagte dann, dass er doch nicht zu lügen brauche: Er
habe eben „Probleme im Dorf“ gehabt und sei deshalb gekommen. Mit den
Taliban habe seine Flucht nichts zu tun.
Haben diese Menschen eine Chance, sich erfolgreich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren?
Das kann ich nicht bewerten, beziehungsweise es wird zumindest nicht einfach. Die jungen Männer aus München haben uns beispielsweise erzählt, dass sie Analphabeten seien und daher auch gar nicht die Briefe vom Jobcenter lesen und aufgrund ihrer mangelnden Lesekenntnisse auch keine Deutschkurse besuchen könnten.
Nach dem Messeranschlag in Solingen forderte der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz, dass es einen Aufnahmestopp für afghanische und syrische Flüchtlinge geben müsse. Diese Aussage hat er bereits zurückgezogen, dennoch wird derzeit darüber diskutiert, ob die beiden Länder als sichere Herkunftsländer anerkannt werden sollen. Sie kennen das Land deutlich besser als viele Politiker und Journalisten. Ist Afghanistan Ihrer Meinung nach sicher?
Ich würde nach meinen Recherchen und Erfahrungen vor Ort dazu tendieren, dass es zumindest für die meisten Männer sicher ist. Ein Arzt in Herat sagte mir 2022, dass die Taliban Frieden gebracht haben. Auch Ingenieure aus Kabul, die vorher für amerikanische Firmen gearbeitet hatten, schätzten dies so ein.
Die SPD und die Grünen lehnen es trotzdem entschieden ab, Afghanistan als sicheres Herkunftsland einzustufen. Wie erklären Sie sich das?
Viele haben Bilder in ihren Köpfen, in denen Menschen auf öffentlichen Plätzen in Afghanistan gesteinigt oder erschossen werden, und finden das zu Recht schrecklich. Dabei wird allerdings ausgeblendet, dass viele Afghanen die Taliban begrüßen und der Bewegung positiv gegenüberstehen. Außerdem gibt es seit der Machtübernahme 2021 nur wenige westliche Journalisten, die aus Afghanistan berichten und das Land tatsächlich kennen.
Insbesondere das linke und grüne Milieu möchte derartige Fakten nicht zur Kenntnis nehmen, da sie im Widerspruch zu ihrem Weltbild stehen. Erhalten Sie auch feindselige Reaktionen auf Ihre schonungslosen Recherchen?
Ich
habe vor zwei Jahren ziemlichen Gegenwind bekommen, als ich nach meiner
Afghanistan-Reise davon sprach, dass das Land für Männer größtenteils
sicher sei. Inzwischen sind die Tatsachen aber nicht zu leugnen. Das
belegen ja unter anderem unsere Recherchen zu den Urlaubsreisen nach
Afghanistan, welche vielfach stattfinden – und die die Urlauber ja auch
selbst auf Social Media teilen. Bei meinen aktuellen Veröffentlichungen
habe ich daher das Gegenteil erlebt: viel Zuspruch, auch weiterhin über
das islamistische Weltbild und Probleme bei der Integration zu
schreiben.
Liv von Boetticher ist seit 2015 für RTL News tätig. Zuvor arbeitete die in Berlin lebende Fernsehjournalistin für Sky. Ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban beschließt sie 2022, Afghanistan für mehrere Monate zu bereisen. Ihre Erfahrungen hält von Boetticher in der Auslandsreportage „60 Tage Frauenhass – Eine Reporterin bei den Taliban“ fest. Zuletzt sorgte eine ihrer Reportagen deutschlandweit für Schlagzeilen, in der von Boetticher aufdeckte, wie afghanische Asylbewerber regelmäßig in ihre Heimat zurückreisen.
Das Gespräch führte Clemens Traub.
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