Warum Woidke gewonnen hat
Gabor Steingart, Montag, 23.09.2024
Diese sehnt sich nach bezahlbarem Wohnraum und nicht
nach der Freigabe von Cannabis. Hier spricht man über das nahegelegene
Flüchtlingswohnheim und nicht über das dritte Geschlecht.
Woidke trat als Kandidat auf, der sich an diesen Kulturkämpfen nicht beteiligt und die letzten Bastionen der Normalität gegen die Moderne verteidigt. Wenn er dann ein Etikett auf der Stirn tragen würde, wäre es wohl dieses: SPD Classico.
Im Interview mit T-Online vor gut einer Woche sagte Woidke:
Wichtig ist für mich: die Alltagsthemen der Menschen in den Blick zu nehmen. Wirtschaft, Arbeitsplätze, Energie, Bildung. Ich rede lieber über wirtschaftliche Ansiedlungen als über Cannabis-Anbauvereine.
#3 Die Rückkehr persönlicher Glaubwürdigkeit
Ohne sein frühes und klares Bekenntnis, dass er den Posten unverzüglich räumt, wenn er nicht die Nummer eins wird, hätte Woidke diese Wahl nicht gewinnen können. Seine persönliche Glaubwürdigkeit hat er damit ins Zentrum der Auseinandersetzung gerückt.
Als Wahlkämpfer verschaffte er sich damit eine singuläre Stellung im Konkurrenzkampf der Politiker. Der normale Amtsinhaber übernimmt am Wahlabend rhetorisch die Verantwortung für die Niederlage, um am nächsten Morgen mit der Dienstlimousine erneut in sein Ministerbüro zu fahren, als sei nichts gewesen. Woidke hat dem Wort Verantwortung seinen Sinn zurückgegeben.
Er trat dabei nicht als der große Stratege, als das Schlitzohr, als der mit allen Wassern gewaschene Taktierer auf, sondern als Mann von Maß und Mitte. Genau diese Mittigkeit inmitten einer polarisierten Gesellschaft war der Treiber seines Erfolges.
Als ihn der Tagesspiegel auf die Talkshow-Kritik an seiner Parteichefin Saskia Esken anspricht, stellte er klar:
In Talkshows wird generell viel dummes Zeug erzählt, deshalb meide ich solche Formate und mache hier meine Arbeit.
#4 Dämonisierung macht die Ränder nicht schwach, sondern stark
Der Wähler trägt nicht mehr allein die Standardmode von SPD und CDU, sondern greift auch links und rechts davon ins Regal. Die Demokratie ist dadurch nicht in Gefahr, nur in Gebrauch.
Die professionelle Dämonisierung von AfD und Sahra Wagenknecht funktioniert, aber eben zu deren Gunsten. Erst die feierlich aufgestellten Sprech-, Kontakt- und Koalitionsverbote der etablierten Parteipolitik haben den Populisten ein Alleinstellungsmerkmal verschafft.
Die Brandmauern stehen, aber die Wähler hüpfen darüber hinweg. Die Verweigerung gegenüber dem Andersdenkenden, auch wenn er jetzt als „Kampf gegen Rechts“ deklariert wird, hat zu erstaunlichen Erfolgen der Populisten rechts wie links geführt. Keine andere Partei hat gegenüber der vergangenen Landtagswahl derart zulegen können wie die AfD – plus 5,7 Prozent. Das Bündnis Sahra Wagenknecht erreicht aus dem Stand mit 13,5 Prozent die Größe der CDU.
Fazit: Woidke hat gezeigt, dass Volksnähe keine Krankheit, sondern die Voraussetzung von Demokratie ist. Und er hat auch gezeigt, dass ein moderner Spitzenkandidat gar nicht modern, sondern nur erdig sein muss. Die Lehre von Brandenburg sollte uns zuversichtlich stimmen: Deutschland will nicht nach rechts driften. Deutschland will nur seine alte Mitte zurück.
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