Der andere Blick von Oliver Maksan
Thema des Tages: Wenn der Staat zum Werte-Agenten wird, müssen die Alarmglocken schrillen (NZZ)
Begonnen hat die Aufregung vergangene Woche. In einem von der «Welt» veröffentlichten Gastbeitrag warfen Akademiker verschiedener Fächer dem öffentlichrechtlichen Rundfunk in Deutschland vor, Kinder und Jugendliche durch eine unkritische und unwissenschaftliche Berichterstattung vor allem über Transsexualität zu indoktrinieren. Die Sender verstiessen so gegen ihren Programmauftrag.
Man kann das natürlich anders sehen. Warum sollen
Minderjährige nicht mit dem Thema Transsexualität konfrontiert werden? Fragen
der eigenen Sexualität stellen sich ja nicht erst mit der Volljährigkeit. Und
gibt es in der Zielgruppe der öffentlichrechtlichen Jugendprogramme wirklich
einen durch sympathisierende Berichterstattung ausgelösten Trans-Hype? Oder
ermutigt der wohlwollende Umgang der Sender mit dem Thema Betroffene, die sich
andernfalls verstecken würden?
Der Springer-Verlag distanziert sich
Die Welle der Empörung, die nach der Veröffentlichung
des Textes über den Springer-Verlag rollte, steht aber erkennbar in keinem
Verhältnis zu dem ohne Frage kämpferischen Text, zu dessen Verfassern mit Alexander Korte auch ein ausgewiesener
Spezialist für Fragen der Geschlechtsdysphorie bei Minderjährigen gehört. «Unser Haus steht für Vielfalt und
Freiheit», bekannte der Springer-Chef Mathias Döpfner feierlich und
versuchte so, eine Art Brandmauer zwischen seinem Verlagshaus und dem
Gastbeitrag zu errichten.
Auch der sonst keiner Debatte aus dem Weg gehende «Welt»-Chefredakteur Ulf Poschardt – als solcher unmittelbar verantwortlich – legte in einem langen Text dar, was bei der Publikation alles schiefgelaufen sei und warum er so viel Verständnis für die auch innerredaktionelle Empörung habe. Schwer zu sagen, ob Döpfner und Poschardt von eigener Einsicht angetrieben wurden oder nur dem ex- wie internen Druck nachgaben.
Legitimerweise hatten als Nächstes die Kritiker das
Wort; naheliegend, dass auch der Queer-Beauftragte der Bundesregierung
angefragt wurde. Der Grüne Sven Lehmann hatte sich per Twitter quasi schon
vorher darum beworben, als er von einem «Hetz-Beitrag» sprach. Im selben Ton legte er sodann in einem eigenen
Gastbeitrag nach und schritt zur öffentlichen Hinrichtung der
Verfasser des «Pamphlets». Deren Text triefe vor Homo- und Transfeindlichkeit,
sei wissenschaftlich nicht fundiert und stehe für eine immer «aggressivere
Hetze gegen Trans-Menschen». Lehmanns Abrechnung gipfelte in dem Vorwurf der
«gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit».
Verordnete Akzeptanz geht zu weit
Lehmann klang nicht zum ersten Mal wie der oberste
LGBT-Aktivist des Landes. Und tatsächlich hat er als Inhaber des erst kürzlich
geschaffenen Amtes von der Bundesregierung genau diesen Auftrag erhalten: Er
soll für «die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt» sorgen. Aber genau
hier liegt der Webfehler. Während es immer richtig ist, für Respekt und
Toleranz zu werben, verhält es sich mit der Akzeptanz anders.
Der freiheitlich verfasste Staat darf seine Bürger nicht zur Akzeptanz, also zu innerer Zustimmung und öffentlicher Bejahung bestimmter weltanschaulicher Positionen zwingen oder auch nur drängen. Um der Freiheit der Gesellschaft willen muss er sich in seinen Gesetzen und Massnahmen auf das für das Zusammenleben notwendige moralische Minimum beschränken. Amt und Amtsverständnis des Queer-Beauftragten der Bundesregierung gehen aber deutlich darüber hinaus.
Um nicht missverstanden zu werden: An die Bundesregierung gerichteter Lobbyismus ist als demokratische Interessenvertretung völlig in Ordnung. Wird die Bundesregierung aber selbst – und sei es in bester Absicht – zum gesellschaftspolitischen Lobbyisten, dann bekommt die offene Gesellschaft ein Problem, und die Akzeptanz des Staates leidet.
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