Eine A-13-Stelle für Steinmeiers Twitter-Zeilen (Cicero+)
Als Anne Spiegel innerhalb kürzester Zeit vor aller Augen an ihrer verfehlten Berufsauffassung scheiterte, war den Grünen bei der schmerzhaften Klärung der Nachfolge vor allem eines wichtig: Ihre nächste Ministerin für Familie, Frauen und Jugend sollte unbedingt die gleiche verfehlte Berufsauffassung vorweisen, diese aber bitte möglichst ein wenig geschickter verpacken.
Das ist offensichtlich gelungen. Die Prioritätenliste von Lisa Paus ist auf Platz 1 identisch mit der ihrer Vorgängern: Wichtig ist in jeder politischen und gesellschaftlichen Situation die eigene Befindlichkeit, die eigene „Sichtbarkeit“. Was gut ist für Frau Paus, ist auch gut für den Rest der Welt. Um dieses Dogma durchzusetzen, braucht es Aufmerksamkeit – und wird diese nicht freiwillig gewährt, ist notfalls so lange nachzuhelfen, gerne auch mit allen Mitteln und Geldern des ihr nunmehr zur Verfügung stehenden ministeriellen Apparats, bis die Amtsinhaberin zufrieden ist. Dabei darf unser Staatsoberhaupt, wie sich soeben zeigt, gerne als Vorbild dienen.
Wenn nun ein angeblich erst 29 Jahre alter Armenier in einem Wutanfall eine Lehrerin absichtlich und mehrmals mit dem Auto überfährt, könnte selbst eine grüne Ministerin gerade dieses Ressorts auf die Idee kommen, dass dieser neuerliche Fall einer komplett gescheiterten Integration irgendwann kein Zufall mehr sein kann, sondern im Land ganz grundsätzlich mit solchen Männern etwas schief läuft. Dies umso mehr, als sein Attentat offensichtlich auch von einer gehörigen Portion Hass auf Frauen und Kinder, alles in seinen Augen schwächere Menschen als er selbst, geprägt war.
Nichts dergleichen geschah. Auch Frau Paus fürchtet offensichtlich nichts mehr als Beifall von der falschen Seite; da haben die Interessen der ihr eigentlich zum Schutze anvertrauten Bevölkerungsgruppen ohne jede Debatte selbstverständlich zurückzustehen.
„Das macht mich unendlich traurig und fassungslos“
Damit das nicht so auffällt, beeilte sie sich nach dem Attentat, das durchaus terroristischen Charakter aufweist, ihre ganz persönliche Befindlichkeit herauszustellen – erstmals am 9. Juni („Das macht mich unendlich traurig und fassungslos“) und, als diese Feststellung mit lediglich fünf Retweets und 83 Likes auf Twitter nicht die gewünschte Wirkung zeigte, gleich nochmal tags drauf, diesmal aber mit Unterstützung der ebenfalls tief betroffenen, aber im Hinblick auf Asyl, Einwanderung und nunmehr auch Gewährung der deutschen Staatsangehörigkeit ebenso unbelehrbaren Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sowie eindrucksvollen Fotos der regierungsamtlichen Trauergemeinde. Niemand sollte, so der Plan, übersehen, dass auch Lisa Paus zu den Opfern des Armeniers gehört, hätte es doch, so insinuiert sie, ganz genauso auch sie selbst erwischen können: „Für mich als #Charlottenburg|erin war gestern ein schlimmer Tag und ist es heute ein schwerer Weg gewesen. An einem populären Ort meines Wahlkreises, an dem ich regelmäßig vorbeikomme, wurden eine Frau getötet und mehrere Menschen teilweise schwer verletzt.“
Das möglichst sofortige Herausposaunen der eigenen Befindlichkeit gehört längst zum wichtigsten Instrument im politischen Werkzeugkasten von Berlin-Mitte. Das zu versäumen, rächt sich – Angela Merkel wird es bestätigen, denn sie brauchte nach dem islamistischen Attentat vom Breitscheidplatz ein Jahr für eine Gefühlsregung, in vielfacher Hinsicht.
Hier lag die tote Lehrerin noch zugedeckt auf der Straße, als die verantwortlichen Damen – und nur um solche handelte es sich in diesem Fall, wir sind ja in Berlin – erklärten, es komme eigentlich nur eine Geisteskrankheit als Auslöser in Frage. Bereits im nächsten Satz folgte allerdings die strenge Ermahnung, „nicht zu spekulieren“ über Motive und Herkunft des Täters, was bedeutet: Wenn hier jemand spekulieren darf, dann die Regierende Bürgermeisterin sowie Angehörige des Bundeskabinetts, nicht aber kleine dumme Facebook-Nutzer.
Der Bundespräsident hängte das Ereignis im besten Einvernehmen mit ARD und ZDF in seiner Bedeutung gleich einmal ein wenig tiefer und nannte es „einen tödlichen Auto-Vorfall“, der selbstredend aber auch in ihm „tiefes Mitgefühl“ erzeugt habe.
Unterdessen war die 63-Jährige Münchnerin, die von einem 26-jährigen
Somalier ohne festen Wohnsitz vor eine einfahrende S-Bahn gestoßen
wurde, den hier genannten PolitikerInnen genauso wenig auch nur eine
Silbe wert wie das Verbrechen an einem sieben Jahre alte Mädchen und
ihrer 61-jährigen Betreuerin, die an einer Esslinger Grundschule von
einem Schwarzen mit niederländischer Staatsbürgerschaft ohne erkennbaren Anlass mit einem Messer massakriert wurden.
Falsches Täter-Opfer-Schema
Frau, Kind , aber falsches Täter-Opfer-Schema – und damit weder für
den Bundespräsidenten noch für die Bundesinnenministerin noch für die
Bundesfamilienministerin ein Anlass, auch nur einmal öffentlich
wenigstens die Frage zu stellen, was hier im Land eigentlich los ist.
Die Sorge, diese Welle sinnloser und offensichtlich vor allem
frauenverachtender Gewalt könnte auch nur entfernt irgendetwas mit ihrer
eigenen Ideologie, ihrer erratischen Einwanderungspolitik, ihrer Agenda
(Faeser passend am selben Tag: Wir müssen mehr Einbürgerung auch bei
lediglich Geduldeten wagen) zu tun haben, ist offensichtlich zu groß.
Was an dieser Ignoranz, dieser Realitätsverweigerung, dieser durch und durch zynischen Doppelmoral eigentlich auch nur entfernt noch „links“ sein soll, weiß der Himmel. Wir sind schon so weit, dass es niemanden noch wundern würde, wenn der Somalier dafür, dass er auf dem Münchner Bahnsteig zuvor einen Hund getreten hatte, härtere Konsequenzen befürchten muss als für den unmittelbar anschließenden Mordanschlag auf die ahnungslose Frau. Sie hatte riesiges Glück, dass sie sich in einen Zwischenraum unter der Bahnsteigkante retten konnte, während Augenzeugen den Lokführer durch Handzeichen warnten.
Dieser Ich-Ich-Ich-Wahn von politischen Akteuren auf höchster Ebene, den man früher als typischen, armseligen, durch verfehlte Erziehung erzeugten Egoismus bezeichnet hätte, findet eine Parallele in den Medien. Deren Personalverantwortliche glauben, Nachwuchs nur noch durch das Versprechen garantierter Sicht- und Hörbarkeit locken zu können. Komm zu uns, so etwa der Rundfunk Berlin-Brandenburg rbb, denn bei uns kannst Du Deine persönlichen Befindlichkeiten, Unzufriedenheiten und Aggressionen jedem unserer verbliebenen Leser, Hörer und Zuschauer rund um die Uhr um die Ohren hauen und wirst dafür auch noch bezahlt – wobei WDR-Mann Georg Restle („Ich bin so wütend“ – Thema und Anlass egal) seit mehreren Jahren als zuverlässiges Vorbild in höchster Gehaltsklasse gilt.
„Wir machen Sendeplatz für Dich“
Folgerichtig lautet die Schlagzeile der aktuellen rbb-Werbekampagne, illustriert von einer jugendlichen Person of Colour mit Rastalocken, die irgendetwas durch einen TV-Rahmen brüllt: „Wir machen Sendeplatz für Dich.“ Zielgruppe: 14- bis 18-Jährige. Das hat nichts mehr mit einem nachdenklichen Journalismus zu tun, der sich als intellektuell anspruchsvolle Dienstleistung versteht, aber viel mit einem komplett verunglückten Verständnis von Selbstverwirklichung.
„Wer ist dein safe space? Deine Story im Fernsehen, Radio oder auf Social Media klingt spannend? Dann freuen wir uns auf deine Bewerbung!“ ARD und ZDF betreiben nach einer Untersuchung der Otto-Brenner-Stiftung mittlerweile sage und schreibe 751 Konten und Kanäle in sogenannten Sozialen Medien, vorrangig Facebook, Instagram, Twitter, YouTube und Spotify. Mehr als ein Viertel der Produktionen der Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland wird inzwischen ausschließlich für soziale Netzwerke erstellt. Das bleibt nicht folgenlos. Zum einen, so die Stiftung, passen sich die gebührenfinanzierten Anstalten in Tonalität, Ästhetik und Präsentation den Algorithmen der Plattformen mit Sitz in China und den USA an und wählen auch mehr und mehr die Themen danach aus, was dort am eifrigsten angeklickt wird und möglichst viele Reaktionen generiert.
Aber die Sender brauchen auch entsprechendes Personal, für das Selbstdarstellung first ist, kritische Distanz oder journalistisches Handwerk aber nicht einmal mehr second (von Sprachkompetenz vollends zu schweigen, wobei jeder Logik Hohn sprechendes Gender-Gaga nur das auffälligste Symptom ist). Fazit der Studie: Die Betreiber müssen täglich zwischen Plattform-Logik und journalistischen Qualitätsansprüchen abwägen. Reichweiten, Klicks und Likes sind fester Bestandteil des Redaktionsalltags und werden durchgängig als die „Währungen“ der sozialen Medien akzeptiert. Die Übersicht, erst recht die Kontrolle über die Inhalte solcher exklusiven „Formate“ etwa für Funk haben die Intendanten als Letztverantwortliche mittlerweile verloren. Das TikTok-Denken unterwandert die Redaktionen langsam, aber unerbittlich.
Twitter-Referen/in für das Staatsoberhaupt
Unterdessen ist auch dem Staatsoberhaupt aufgefallen, dass die einst so angenehme kulturelle Hegemonie des links-grünen Lagers auf Twitter weitgehend passé ist. Seine Reaktion: Steinmeier sucht zur Unterstützung seiner erst jüngst von der Süddeutschen Zeitung abgeworbenen Pressesprecherin einen Referenten (m/w/d) „für die Betreuung des Twitter-Accounts des Bundespräsidenten“. Aufgabe: „Die/der Referent/in präsentiert den Bundespräsidenten und dessen Arbeit in sozialen Medien, insbesondere auf Twitter. Sie/er berichtet direkt an die Stabstellenleitung.“ Darum geht es im Einzelnen:
- Erarbeitung und Weiterentwicklung von netzwerkübergreifenden Konzepten für eine moderne und zielgruppenspezifische digitale Kommunikation, insbesondere auf dem Twitter-Kanal des Bundespräsidenten
- Recherche, Analyse und Bewertung politischer Entwicklungen im In- und Ausland hinsichtlich des medienwirksamen Potentials für die Präsentation des Bundespräsidenten
- Redaktion und Posting von modernen Text-, Bild- und Videobeiträgen; Verfassen eigener sowie Redigieren und Freigeben von Textbeiträgen anderer Mitarbeitenden oder dritter Zulieferungen
- Koordination mit internen Arbeitseinheiten sowie externen Dienstleistern und Ansprechpartnern
- Begleitung von presseöffentlichen Terminen, einschließlich deren öffentlichkeitswirksamer Wiedergabe und Verbreitung in den sozialen Medien, insbesondere für Twitter, Seiten- und Nutzerverwaltung („Community Management“) sowie Pflege und Weiterentwicklung des Auftritts
- Evaluation und Auswertung des Auftritts
Verlangt werden unter anderem ein abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium (Staatsexamen, Magister, Master oder universitäres Diplom), mehrjährige einschlägige Berufserfahrung sowie exzellente Kenntnisse des politischen Diskurses vor allem auf Twitter sowie des Managements von Twitter-Debatten jeder Art. Geboten wird eine unbefristete Stelle mit Bezahlung nach A 13, entsprechend einem monatlichen Grundgehalt von 5.048,02 Euro. Dienstort ist Berlin.
A 13 für vier Twitter-Zeilen
A 13 für im Schnitt vier Zeilen Twitter-Text pro Arbeitstag. A 13 entspricht der Besoldung eines Studienrates im Beamtenverhältnis, der Schülerinnen und Schüler bis zum Abitur begleitet und ihnen die Hochschulreife vermittelt. Mit der Lebensrealität großer und gerade in diesen Monaten stark wachsender Teile der deutschen Bevölkerung, die sich mehr und mehr sogar bereits beim Lebensmittelkauf einschränken muss, um Miete, Strom und Heizung noch irgendwie bezahlen zu können, haben solche regelrecht bizarren Entscheidungen für ein fragwürdiges Medium, die aber den Steuerzahler auf ewig binden sollen, nichts mehr zu tun.
Was der Bundespräsident, gerade dieser Bundespräsident, auf Twitter verlautbaren lässt, ist irrelevant und wird sein Ansehen nicht mehr retten. Da müssten schon andere Dinge passieren, zu denen er aber nicht in der Lage ist. Hätte er das begriffen, wäre er gar nicht erst auf die Idee gekommen, eine solche Stelle auszuschreiben, die alles in allem neue Kosten von gut und gerne 100.000 Euro pro Jahr verursachen – und zwar zeitlich unbegrenzt, unabhängig davon, wie lange und mit welcher ideologischen Ausrichtung Twitter überhaupt noch existieren wird. Man ahnt aber bereits, dass er das Vorhaben als unverzichtbar rechtfertigen wird, um die Demokratie zu retten.
Das Gegenteil ist der Fall.
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