Vom 25.06.2022
WELT AM SONNTAG: Die Inflation steigt, die Energiepreise auch – und die Voraussagen für den Winter sehen alles andere als günstig aus. Stehen wir am Anfang der wohl schwierigsten Phasen seit dem Zweiten Weltkrieg?
Stefan Aust: Ganz sicher. Und wir können von Glück sagen, wenn dieser Krieg sich nicht weiter ausbreitet. Es hätte nie so weit kommen dürfen, aber jetzt stehen wir im Beginn einer schweren Krise. Die rapide steigenden Energiepreise zeigen das überdeutlich, doch die Politik reagiert vor allem mit Symbolik. Leichte Ansätze, sich der Realität zu stellen, sind erkennbar. Aber die Ideologie der Realitätsverleugnung regiert immer noch.
Dass die Drohung mit dem Abschalten des Gasimports aus Russland der Drohung mit einem Hungerstreik nahekommt, zeigt sich jetzt überdeutlich. Russland reduziert erst mal die Gaslieferungen – da wird plötzlich klar, dass die gesamte grüne Energiewende auf einer russischen Gaswolke schwebte. Anzunehmen, dass mit den großartigen erneuerbaren Energien aus Wind, Solar und Biogas der Bedarf eines Industriestaates wie Deutschland zu decken ist, gehört zu den gefährlichsten Illusionen der Gegenwart.
Die Ankündigung, europaweit den Import von russischem Öl zu verbieten, führte zum steilen Anstieg der Ölpreise, weil Europa das Öl dann ja woanders kaufen muss; das wird dann knapp und teuer – und Russland verscheuert sein Öl eben woanders. Kunden gibt es genug, und einige liefern es dann freundlicherweise an uns weiter, nur teurer. Wer auf eine solche Idee kommt, den russischen Export von Öl und damit den Zustrom von Geld noch Moskau zu stoppen, hat von globaler Wirtschaft null Ahnung. Das ist reine Symbolpolitik, ohne über die Konsequenzen nachzudenken
WELT AM SONNTAG: Die Ampelkoalition will mit weiteren Entlastungen reagieren, wobei etwa der Tankrabatt alles andere als ein Erfolg war. Kann die Regierung diesen Wettlauf überhaupt gewinnen?
Aust: Auch der Tankrabatt ist reine Symbolpolitik, die sich innerhalb weniger Stunden als grade zu kindisch herausgestellt hat. Offenbar hat niemand in Politik und Verwaltung darüber nachgedacht, wie man überhaupt nur ansatzweise feststellen kann, ob die Steuerersparnis für Benzin und Diesel auch nur bruchstückhaft an die Kunden weitergegeben wird. Das ist eine fahrlässige Naivität. „Ein Zeichen setzen“ ist das immer wiederkehrende Motto dieser systematischen Inkompetenz.
WELT AM SONNTAG: Bei der Atomenergie wehren sich SPD und Grüne gegen längere Laufzeiten und erklären das mit technischen Argumenten. Kann es sein, dass hier dennoch ein Umdenken ansteht?
Aust: Kaum. Die „Atomkraft? Nein Danke!“-Fraktion dominiert ja nicht nur die Ampel. Da scheint das Nicht-Abschalten eines seit Jahren laufenden Reaktors mindestens so kompliziert zu sein wie der Neubau eines Atomkraftwerks. Die Realität lässt sich nicht so leicht abschalten wie ein Kernkraftwerk. Das wird schon an einer einfachen Rechnung deutlich: In Deutschland gibt es knapp 30.000 Windräder, die insgesamt gut drei Prozent der Primärenergie liefern. Wollten wir 30 Prozent der Primärenergie durch Windräder produzieren, brauchten wir also 300.000 Windräder. Das wäre dann bei 360.000 Quadratkilometer Fläche in Deutschland fast ein Windrad pro Quadratkilometer; in Stadt und Land.
Es wird kein Weg an einer Rückkehr zu den klassischen fossilen Energien vorbeiführen - auch wenn sich die deutschen Energiekonzerne politisch korrekt von der Kohle verabschiedet haben. Dummheit, vor allem in der Politik, hat ihren Preis - er wird jetzt fällig. Der Ukraine-Krieg hat das Scheitern der Energiewende nicht herbeigeführt, sondern nur wie ein Zeitraffer beschleunigt.
WELT AM SONNTAG: Die EU will der Ukraine nun den Kandidatenstatus verleihen. Ist das mehr als Symbolpolitik?
Aust: Es ist vor allem Symbolpolitik. Mal wieder ein Zeichen setzen, ein Zeichen der Hoffnung. Aber es wird vermutlich viel Zeit vergehen und die Ukraine wird sich von einem vielfach korrupten Oligarchen-System zu einer echten rechtsstaatlichen Marktwirtschaft entwickeln müssen, um in die EU aufgenommen zu werden.
Vielleicht wäre es ohnehin besser, wenn sich die Europäische Union eine neue Basis, vergleichbar der alten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zugrunde legen würde. Dann könnten Staaten eher in diese ökonomische Gemeinschaft aufgenommen werden und sich erst dann langsam zu einer Vollmitgliedschaft entwickeln. Aber erst einmal muss der Krieg vorbei sein.
Stefan Aust ist Herausgeber der WELT AM SONNTAG. Die Fragen stellte Jörn Lauterbach.
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