Wenn niemand mehr weiterweiß (Cicero)
Wenn diese Sendung auch nur annähernd ein Spiegelbild der deutschen Politik gewesen sein sollte, dann ist jetzt wirklich Matthäi am Letzten. Insofern bleibt als einzige Hoffnung, dass die allermeisten Bürgerinnen und Bürger dieses Landes den sommerlichen Sonntagabend anderweitig genutzt haben, als sich Anne Wills Talk zum Thema „Gaskrise in Deutschland – Wie hart sind die Folgen“ zu Gemüte zu führen. Denn wo die Lage sowieso hoffnungslos ist, muss man sich ja nicht noch über die im Fernsehen vorgeführte Planlosigkeit ärgern und genießt lieber ein paar (letzte) entspannte Stunden in einem Wohlstand, den es in dieser Form so bald nicht mehr geben dürfte.
Die Planlosigkeit war tatsächlich der rote Faden bei dieser
Gesprächsrunde: entweder implizit („Die Frage ist, ob es gelingt, bis
Oktober die Gasspeicher auf 80 Prozent zu füllen“, Claudia Kemfert,
Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung). Oder
auch ganz unverstellt: „Wenn man sich mit den großen Fragen beschäftigt,
ist dieses Land katastrophal planlos“ (Johannes Vogel,
stellvertretender FDP-Vorsitzender). Insgesamt also eine erschreckende
Runde an zur Schau gestellter Realitätsgeschocktheit, vorgetragen
allerdings im gewohnten Kammerton bundesrepublikanischer „Wir schaffen
das“-Konditionierung. Leider war man als Zuschauer am Ende dieser Séance
nahe an der Gewissheit, dass wir es diesmal leider nicht schaffen, die
Probleme irgendwie weg zu moderieren und mit viel Staatsgeld zu
übertünchen. Denn diese Krise ist von einer anderen Dimension. Guter Rat ist da nicht nur teuer, sondern noch knapper als russisches Gas: Die Ideen-Speicher sind praktisch leer.
Situation „sehr ernst“
FDP-Mann Vogel machte denn auch gleich mit der Erkenntnis den
Aufschlag, die Situation sei „sehr ernst“, niemand könne kalkulieren,
was Putin tut. Womöglich war genau das schon die erste kolossale
Fehleinschätzung des Abends, die von dem bisher gelinde gesagt mindererfolgreichen Sanktionsregime gegenüber Russland ablenken sollte. Denn natürlich war absehbar, dass der Kreml sich die Abhängigkeit der Bundesrepublik von russischer Energie
politisch zunutze machen würde – ansonsten hätte Moskau ja nicht
jahrzehntelang genau daran gearbeitet. Putin tut also genau das, was
Erpresser halt tun: In diesem Fall also den Gashahn abdrehen und
zuschauen, wie die deutsche Wirtschaft (und in deren Folge die deutsche
Bevölkerung) sich langsam, aber sicher zerlegen. Was Vogel ja auch
selbst einräumte, als er über den russische Machthaber sagte: „Er will,
dass wir in zersetzende Debatten eintreten“ – damit die
Unterstützungsbereitschaft für die Ukraine schwinde. Insofern war Anne
Wills Sendung ein voller Erfolg für Wladimir Putin.
Dass auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert die Mär vom angeblich unkalkulierbaren Mann im Kreml zu verbreiten suchte, machte die Story nicht glaubwürdiger, zumal sie prompt an falscher Stelle zum Einsatz kam. Nämlich als Antwort auf Wills Frage, ob man mit einer baldigen Schließung der Erdgaspipeline Nord Stream 1 durch die Russen rechnen müsse. Wäre Putins Handeln tatsächlich „geprägt von Irrationalitäten“, wie Kühnert seine Ahnungslosigkeit zu erklären versuchte, dann hätte er an diesem Abend nicht über dieses Thema zu diskutieren brauchen. Stattdessen muss ausgerechnet der einstige Fridays-for-Future-Sympathisant jetzt die Reaktivierung von Kohlekraftwerken als der Weisheit vorletzten Schluss rechtfertigen. Selten war der Aufschlag in der Realität derart brutal wie für einstige linke Klimaschützer, die wegen exakt dieser Agenda in Positionen geraten sind, von denen aus sie nun ganz anders predigen müssen. So viel zum Thema „Irrationalitäten“.
„Es wird nicht mehr immer mehr geben“
Anna Mayr, Hauptstadtkorrespondentin der Zeit und offenbar eher fürs Gefühlige in die Sendung gecastet, durfte Zeit-Sätze sagen wie: „Es wird nicht mehr immer mehr geben“, oder „es wird ein weniger irgendwie verteilt werden müssen“. Die Grundmelodie der künftigen bundesrepublikanischen Verarmung hatte auf diese Weise einen fast schon versöhnlich-sympathischen Ton, wobei das aktuelle Hauptproblem aus Mayrs Sicht dergestalt umrissen wurde, dass es hierzulande „keinen Mechanismus“ gebe, „mit dem man Menschen, die wenig Geld verdienen, einfach Geld schicken kann“. Womöglich findet die amtierende Ampelregierung aber auch hierfür noch einen „Mechanismus“ – der diesbezügliche Irrsinn ist ja offenbar schier grenzenlos.
Oder um es mit den Worten von Jens Spahn zu formulieren: „Das ist ja auch eine Kunst – 30 Milliarden Entlastung, von denen am Ende keiner etwas merkt.“ Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende machte von allen Teilnehmern übrigens die mit Abstand beste Figur. Was womöglich an der schlichten Tatsache lag, dass ihm aktuell Regierungsverantwortung erspart bleibt und sich aus der Opposition heraus die Planlosigkeit der Ampel im Hinblick auf Putins Gaskrieg relativ risikolos kritisieren lässt. Dies allerdings beherrscht Spahn durchaus gekonnt, indem er etwa den von den allermeisten Medien gehypten Wirtschaftsminister Robert Habeck auf den Boden der Tatsachen zurückholt: Wer die Bevölkerung dazu auffordere, kürzer zu duschen, von dem sollte man vielleicht auch eine übergeordnete Strategie erwarten können. Oder zumindest einen „Ausstiegsfahrplan“ aus der Abhängigkeit von russischen Energieträgern, wie der CDU-Präside es nannte.
Beinahe schon kabarettistischen Wert hatten die Wortbeiträge von Claudia Kemfert – der in Energiefragen offenbar einzigen Expertin aus Deutschland (zumindest der Talkshowpräsenz nach zu urteilen). Kemfert jedenfalls empfahl als Waffe im „fossilen Energiekrieg“ dringend die energetische Gebäudesanierung – worauf sie sich sogar von Kühnert vorhalten lassen musste, „ein bisschen leichtfüßig“ zu argumentieren, weil nämlich Wärmepumpen aufgrund bestehender Lieferengpässe gar nicht verfügbar seien. Kemferts nächste Volte: Ein komplettes Energieembargo gegen Russland hätte von Anfang an durchaus Sinn gemacht, um „Einsparpotentiale zu heben“. Ein interessanter Ratschlag angesichts der derzeitigen Misere. Besonders im Kontrast zum Eingangsstatement der DIW-Expertin: „Wir sind ein reiches Land und können teures Gas von anderswo kaufen.“
Entlastungspakete als „politisches Signal“
Gegen Ende dieser mehr als deprimierenden Gesprächsrunde durfte Kevin
Kühnert die beiden ersten Entlastungspakete (und ihre inzwischen schon
fast legendären Präzisionslosigkeit) mit dem Hinweis rechtfertigen, es
hätte eben alles recht schnell gehen müssen, weil man ein „politisches
Signal“ habe setzen wollen. Ein denkwürdiges Signal für alle Habecks
dieser Welt wurde dann zur Krönung noch von Kemfert („Wir sind ein
reiches Land“) nachgeschoben: 1000 bis 2000 Euro sollten sich die
Bundesbürger sicherheitshalber schon mal zurücklegen angesichts
bevorstehende Nebenkostenabrechnungen. Der Vollständigkeit halber (und
weil es an dieser Stelle einfach so gut passt), sei hier aber das
Schlusswort von Anne Will in ganzer Pracht zitiert: „Andere Lösungen
finden, das klingt gut!“
Es klingt sogar zu gut, um wahr zu sein.
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