In der Folge braute sich – wenig überraschend, aber in der Intensität
 dann doch bemerkenswert – ein geballter Sturm zusammen, der über 
Gastautoren und Medium hinwegzog. Also sah man sich bei der Welt nicht nur bemüßigt, den Queer-Beauftragten der Bundesregierung für einen Meinungsbeitrag über die angebliche Transfeindlichkeit genannter Gastautoren anzuheuern. Auch Springer-Chef Mathias Döpfner machte sich auf, in einem weiteren Artikel klarzustellen:
 „Unser Haus steht für Vielfalt.“ Dafür reihte er Floskel an Floskel und
 setzte sich wenig sachlich, dafür ziemlich emotional mit dem 
ÖRR-kritischen Beitrag auseinander. Döpfner schrieb unter anderem:
„Der ganze Ton ist oberflächlich, herablassend und 
ressentimentgeladen. Nicht weit entfernt von der reaktionären Haltung: 
Homosexualität ist eine Krankheit. Transsexualität ist Einbildung. Statt
 des freiheitlichen Geistes des „jeder soll nach seiner Façon selig 
werden“, raunt es hier vom Schutz der „sittlichen Überzeugungen der 
Bevölkerung“. Der Text hat einen Sound, der für jeden freien toleranten 
Geist unangenehm ist.“
Hierzu folgende Anmerkungen: Ein wirklich freier und toleranter Geist
 – von dem Döpfner schreibt – müsste erstens sehr wohl in der Lage sein,
 Texte nicht nach ihrem „Sound“ und dem Gefühl, das er beim Rezipieren 
hat, zu beurteilen, sondern nach dem konkreten Inhalt – und sich die 
Frage stellen, ob an der darin skizzierten Kritik etwas dran sein 
könnte. Denn die Basis für jenen Gastbeitrag in der Welt, der letztlich zum Shitstorm gegen das Blatt führte, ist ein 50-seitiges Dossier samt Aufruf,
 der nicht nur von den fünf Gastautoren unterzeichnet wurde, sondern von
 weiteren rund 120 Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen. Darin
 heißt es unter anderem:
Wir, die Unterzeichner, beobachten als Wissenschaftler seit 
langem, wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Darstellungen 
der „queeren“ Transgenderideologie zu eigen macht und dabei 
naturwissenschaftliche Tatsachen leugnet. Ausgangspunkt ist stets die 
Falschbehauptung, es gäbe nicht nur ein männliches und weibliches 
Geschlecht, sondern eine Vielfalt von Geschlechtern bzw. Zwischenstufen 
zwischen Mann und Frau. Der klar umrissene Begriff des Geschlechts, das 
die anisogame Fortpflanzung ermöglicht, wird vermengt mit 
psychologischen und vor allem soziologischen Behauptungen, mit dem 
Ergebnis, dass konzeptionelle Unklarheit entsteht. (...) Das Thema 
„Trans“ wird durch die Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an
 Kinder und Jugendliche herangetragen mit dem Ergebnis, dass sich die 
Zahl der wegen Geschlechtsdysphorie behandelten Kinder und Jugendlichen 
in weniger als zehn Jahren verfünfundzwanzigfacht hat.
Und zweitens: Indem Döpfner das liberale „Jeder soll nach seiner 
Façon selig werden“ bemüht, ignoriert der Springer-Chef, dass es in der 
aktuellen Debatte über das binäre Geschlechtersystem und Trans- und 
Intergeschlechtlichkeit längst nicht mehr nur um den individuellen 
Lebensentwurf des Einzelnen geht. Sondern dass bestimmte Aktivisten – 
bisweilen überaus aggressiv und flankiert von zahlreichen Journalisten 
bei ARD und ZDF – nicht weniger versuchen, als an den 
Grundfesten unserer Gesellschaftsordnung zu rütteln, zu der eben auch 
das binäre Geschlechtersystem gehört. Das zu thematisieren, ist eben 
genau nicht Ausdruck eines reaktionären Geistes, sondern – gemessen an 
den Konsequenzen, die damit für alle Menschen im Land einhergehen würden
 – sogar längst überfällig.
Entfernung der Gebärmutter und der Eierstöcke
Gleichwohl stehen die Oberflächlichkeit, mit der sich Döpfner dem 
Thema angenommen hat, und der Transphobie-Vorwurf, der von Lehmann in 
Zusammenhang mit dem in der Welt erschienenen Gastbeitrag 
erhoben wurde, stellvertretend für eine über die vergangenen Jahre 
stetig gewachsene Unterkomplexität, mit der hierzulande nicht nur über 
die Mann-oder-Frau-Frage gesprochen wird, sondern auch über Themen wie Geschlechtsdysphorie
 – das Gefühl, im falschen Körper geboren zu sein –, angebliche 
Geschlechtsidentitäten wie non-binär oder gender-fluid und über 
Transitionen, also den Geschlechtswechsel auf dem Papier und durch 
operative Eingriffe, namentlich Sterilisationen, Amputationen und 
anderes.
Ernüchternd ist bei dieser Diskussion unter anderem, dass man als 
Außenstehender den Eindruck bekommen könnte, Deutschland sei ein 
geradezu transfeindliches Land mit einer transfeindlichen Gesetzgebung –
 und es herrsche im Sinne der Freiheit und der Selbstbestimmung des 
Einzelnen dringend Handlungsbedarf. Das Gegenteil ist der Fall. Zunächst
 fast unbemerkt von der breiten Bevölkerung, hat sich in den vergangenen
 Jahren an entscheidenden Stellen ein trans-affirmatives Klima 
entwickelt, das es kaum noch möglich macht, sich kritisch mit dem Thema 
auseinanderzusetzen, ohne sich den Vorwurf der Transphobie einzuhandeln.
Viele Medien machen da längst mit, nicht nur die 
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Schulen ebenso und die 
Ampel-Regierung könnte noch dieses Jahr das Transsexuellengesetz 
streichen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen, das unter 
anderem vorsehen dürfte, dass Kinder bereits im Alter von 14 Jahren 
einfach zum Standesamt gehen und ihr Geschlecht wechseln können. 
Ungeachtet der Tatsache übrigens, dass Kinder und Jugendliche in der 
Regel noch gar nicht in der Lage sind, vollumfänglich zu begreifen, wie 
sich ihre Sexualität als Erwachsener später ausdrücken wird. Geschweige 
denn, ob eine im Jugendalter eingeleitete Transition in zehn oder 
fünfzehn Jahren immer noch als richtige Entscheidung gewertet wird. 
Stichwort: Detransition, also die Rückkehr zum Status quo ante, die 
allerdings nie wieder wirklich gelingt, sobald sich ein Patient für eine
 Transition entschieden hat.
Geschlechtsdysphorie als Menschenrecht
Die Wahrheit ist auch: Das seit Jahrzehnten existierende und in der 
Zwischenzeit aktualisierte „Transsexuellengesetz“ eröffnet grundsätzlich
 jedem Bürger bereits die Möglichkeit, sich im Sinne einer 
Geschlechtsumwandlung bestimmten Prozessen zu unterziehen; von der 
Einnahme sogenannter Cross-Sex-Hormone, also Testosteron und Östrogenen,
 bis hin zur Entfernung der Gebärmutter und der Eierstöcke respektive 
der Hoden und des Penis. Im Detail müsste das Transsexuellengesetz 
vielleicht tatsächlich reformiert werden. Hier tut es dann auch Not, 
jene Menschen einzubinden, die eine (teilweise) Transition hinter sich 
haben. Doch eine Reform ist etwas anderes als ein Freifahrtschein für 
irreversible Eingriffe in das eigene Leben und in den eigenen Körper. 
Doch darum geht es den Aktivisten in der Sache: die bestehenden Hürden 
nicht auf ihren Sinn oder Unsinn abzuklopfen, sondern sie unisono aus 
dem Weg zu räumen.
Genau hier wird aus einer individuellen Frage dann allerdings eine 
gesamtgesellschaftliche Fragestellung, die sich mit hanebüchenen 
Verweisen auf den Liberalismus und mit irgendwelchen 
Transphobie-Vorwürfen nicht einfach beiseite wischen lassen. Denn die 
Frontlinien, und auch das gehört zur Wahrheit dazu, trennen mitnichten 
einfach die Transfreunde auf der einen und die Transfeinde auf der 
anderen Seite. Das zeigt sich schon daran, dass sich Transpersonen wie Till Amelung und andere
 öffentlich dagegen aussprechen, dass sich das eigene Geschlecht ähnlich
 unkompliziert wechseln lässt wie die Haarfarbe. Vielmehr geht es um die
 hochkomplexe Frage, welche Folgen damit einhergehen, wenn 
Geschlechtsdysphorie ausnahmslos affirmativ begleitet und als 
individuelles Menschenrecht auf Selbstbestimmung gewertet wird – und 
nicht mehr als „hochkomplexe biologische-psychosoziale Konstellation“ (siehe Interview).
Angststörungen und Depressionen
Genau das aber scheint das primäre Ziel eines aus dem Ruder laufenden
 Aktivismus zu sein, dem es längst nicht mehr nur darum geht, 
gesellschaftliche Akzeptanz für sexuelle Minderheiten oder Transsexuelle
 zu schaffen, was der Autor dieser Zeilen ausdrücklich begrüßt. Sondern 
darum, jegliche kritische Betrachtung – und sei es durch Psychologen und
 Psychoanalytiker – als „menschenfeindlich“ zu etikettieren. So will man
 sich nicht zuletzt wohl aus der eigenen Verantwortung stehlen, sich 
kritisch mit sich selbst und womöglich mit einer unangenehmen Diagnose 
auseinanderzusetzen.
Insbesondere bei vielen Kindern und Jugendlichen nämlich, bei denen 
Genderdysphorie diagnostiziert wird, treten auch andere Störungen auf, darunter Angststörungen und Depressionen oder eine Autismus-Spektrumsstörung.
 Die entscheidende Frage lautet dann: Leidet ein Patient wirklich unter 
Genderdysphorie? Oder ist die, vereinfacht ausgedrückt, nur ein Symptom 
für etwas anderes? Insofern dienen die hohen Hürden nicht zuletzt auch 
dem Kinder- und Jugendschutz, was sich schon dadurch belegen lässt, dass
 sich die allermeisten Fälle von Geschlechtsirritationen bei Kindern und
 Jugendlichen im Laufe der Pubertät von selbst erledigen. Nämlich um die 80 Prozent, sagen Experten.
Werden Kinder- und Jugendliche mit Genderdysphorie allerdings früh 
affirmativ behandelt, zum Beispiel durch die Verabreichung von 
Pubertätsblockern, gehen wiederum zwischen 80 bis 90 Prozent über zu 
Cross-Sex-Hormonen und bis hin zum operativen Weg, ist zu lesen. Welche 
Schlüsse man daraus zieht, darüber lässt sich selbstredend streiten. 
Dass solche Zahlen aber genannt und öffentlich diskutiert werden 
müssen – ohne Scheuklappen und Transphobie-Vorwürfe – versteht sich 
eigentlich von selbst.
Errungenschaften des Feminismus
Das Thema Genderdysphorie, ihre Ursachen und Folgen, ist das eine. 
Das andere ist, dass eine wie auch immer geartete Auflösung des binären 
Geschlechtersystems nicht nur die Argumentation für eine Absenkung der 
gesetzlichen Hürden für Transitionen vereinfacht. Sie führt im Prinzip 
auch die hart erkämpften Errungenschaften des Feminismus und der 
Schwulen- und Lesbenbewegung der vergangenen Jahrzehnte ad absurdum. 
Dann nämlich, wenn Männer per Sprechakt wieder in sichere Räume für 
Frauen vordringen können oder Frauen als schwule Männer oder Männer als 
lesbische Frauen behandelt werden sollen.
Kein Wunder also, dass etwa Alice Schwarzer und die Emma schon
 länger dagegen anschreiben, dass sich Männer einfach zu Frauen erklären
 können, und dass sich mittlerweile Lesben- und Schwulenbewegungen 
gebildet haben, die sich öffentlich mit bestimmten Transaktivisten 
anlegen – übrigens auch mit dem Queer-Beauftragten der Bundesregierung, 
der suggeriert, er würde stellvertretend für die Queer-Szene sprechen. 
Und es gibt, wie bereits erwähnt, eben auch Menschen, die selbst trans 
sind, denen die Entwicklung in vermeintlich eigener Sache trotzdem 
deutlich zu weit geht. Es wäre daher wünschenswert, wenn auch ihre 
Stimmen mehr Gehör finden. Vor allem im Programm des 
öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und auch ungeachtet dessen, ob 
irgendeinem Verlagschef dann der „Sound“ nicht gefällt.
 
        
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