09 Juni 2022

Corona-Antikörper Warum die deutsche Regierung die Immunität lieber gar nicht so genau prüfen will (WELT+)

Corona-Antikörper
Henrick Streek weist bei "Maischberger" auf ein großes Problem der deutschen Pandemiepolitik hin: Es fehlt an Daten. Sie fährt weiterhin auf Sicht.
Dagegen hat Großbritannien jüngst eine staatlich unterstützte Studie vorgelegt, nach der 99 Prozent der Bevölkerung Antikörper gegen das Virus entwickelt hätten. Das sei gar nicht mal kompliziert, sagt Streeck. Für die Untersuchung brauche es nur „einen Tropfen Blut“.
Seiner Meinung nach seien offiziell bisher 25 Millionen Menschen hierzulande infiziert gewesen. Die Dunkelziffer sei grundsätzlich anderthalb bis vier mal höher. Also müssten wir mit „mindestens 50 Millionen“ bis maximal 83 Millionen immunisierten Menschen rechnen. Die Chance, dass auch Deutschland nicht weit  von 99 Prozent liegt, ist daher nicht gänzlich unrealistisch. Nur wissen, wissen tun wir das nicht und die Bundesregierung will es offensichtlich auch nicht wissen. Dazu:
Warum die deutsche Regierung die Immunität lieber gar nicht so genau prüfen will (WELT+)
In Großbritannien haben 99 Prozent der Menschen Antikörper gegen Corona. Die Pandemie gilt dort als beendet. Umso seltsamer, dass die Bundesregierung keine ähnliche Antikörperstudie plant, wie WELT erfuhr. Vielleicht, weil das Ergebnis sie in Erklärungsnot bringen könnte.
Für die Briten ist die Pandemie Geschichte. Hauptsächlich haben sie das ihrer Regierung zu verdanken, die eine repräsentative Blutuntersuchung auf den Weg gebracht hatte. Ergebnis: 99 Prozent der britischen Bevölkerung haben Antikörper im Blut, entweder durch Impfung oder durch Infektion. Somit ist klar: Es ist geschafft. Die Briten sind durch, sie haben ihr Leben zurück.
Von der Spanischen Grippe über die Russische Grippe bis hin zur Hongkong- und Schweinegrippe, schreibt Doshi in einem Essay für die „Washington Post“, alle Pandemien der vergangenen hundert Jahre hätten eines gemeinsam gehabt: Auch wenn der Erreger noch da gewesen sei, auch wenn es immer noch einige Schwerkranke und sogar Tote gegeben habe, das Ende der Pandemie habe immer ein Gefühl markiert. Das Gefühl, dass es vorbei ist.

Vor wenigen Wochen haben die Briten genau diesen Wendepunkt erreicht und hinter sich gelassen. Für sie ist die Pandemie Geschichte. Hauptsächlich haben sie das ihrer Regierung zu verdanken, die eine repräsentative Blutuntersuchung auf den Weg gebracht hatte. Seit Mitte April steht damit fest: 99 Prozent der britischen Bevölkerung haben Antikörper im Blut, entweder durch Impfung oder durch Infektion. Somit ist klar: Es ist geschafft. Die Briten sind durch, sie haben ihr Leben zurück.

Den FDP-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Kubicki brachte das auf die Idee, dasselbe in Deutschland zu versuchen. Er formulierte folgende Bundestagsanfrage: „Plant die Bundesregierung vor dem Herbst eine eigene, repräsentative Untersuchung zur SARS-CoV-2-Seroprävalenz in der Gesamtbevölkerung, ohne auf bestehende regionale oder ältere Untersuchungen zurückzugreifen, und wenn nein, warum nicht?“

Die Antwort aus dem von Karl Lauterbach (SPD) geführten Bundesgesundheitsministerium an den FDP-Mann ist kurz angebunden. Sie liegt WELT exklusiv vor. Sie geht über etwa 30 Zeilen, lässt sich aber noch knapper schlicht mit „Nein“ zusammenfassen. Die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung sei „nicht eindeutig“.

Das klingt interessant. Warum sollen die Deutschen nicht wie die Briten aufatmen dürfen, abgesichert durch Studienergebnisse? An dieser Stelle hilft ein Blick in den Impfstoff-Bestellkalender des Bundesgesundheitsministeriums weiter. Dort sind Serumlieferungen für 830 Millionen Euro im kommenden Herbst gesichert. Laut dem Epidemiologen Klaus Stöhr, seit Kurzem in der Nachfolge des Virologen Christian Drosten Berater der Regierung, zielt das Bundesgesundheitsministerium offenbar darauf ab, im Herbst „egal welcher Risikogruppe einen Impfstoff der Wahl anzubieten“.

Auch Stöhr fordert eine Studie nach britischem Muster, er hat sogar Geld dafür gesammelt. Stöhr erkennt noch einen weiteren Grund: Die Studie sei unentbehrlich, um Immunitätslücken festzustellen, etwa „bei den wirklich Vulnerablen in den höheren Altersgruppen“. Erst das erlaube eine gezielte, ressourcensparende Impfkampagne. Genaue Zahlen seien gut, die „Angstlast“ der Besorgten zu senken.

Der Charité-Immunologe Andreas Radbruch wird noch deutlicher: „Warum ist das Bundesgesundheitsministerium gegen eine Feststellung der Immunität in Deutschland? Weil das womöglich das Ende des Narrativs der Impflücke ist.“ Radbruch hält die Immunität in Deutschland für stabil. Im Herbst werde es nicht zur Überlastung des Gesundheitssystems kommen. Die vierte Impfung im Herbst, von Gesundheitsminister Lauterbach eher verlangt als empfohlen, hält er zu diesem frühen Zeitpunkt für fragwürdig.

Das ist schon deshalb plausibel, weil das Studienergebnis von 99 Prozent Immunität in Großbritannien samt offiziell ausgerufenem Ende der Pandemie womöglich fast eins zu eins vom Englischen ins Deutsche übersetzt werden kann. Doch warum spekulieren, wenn man es doch wissen könnte?

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