Von Eric Gujer, 24.06.2022
Robert
Habeck und Annalena Baerbock heimsen zu Recht Applaus für ihre Haltung
im Ukraine-Krieg ein. Ihre Politik ist konsequent, weil sie keinen
Zweifel daran lässt, wer Täter und wer Opfer ist. Zugleich ist sie
pragmatisch, da in der Frage der Energieversorgung keine Dogmen mehr
gelten. Welch wohltuender Gegensatz zum irrlichternden Duo Scholz und
Lambrecht.
Was
aussenpolitisch ein Erfolg ist, wird innenpolitisch zum Risiko. Während
sich alle Augen auf die Ukraine richten, treiben Grüne den
gesellschaftlichen Umbau voran. Ob Genderfragen oder Migration – die
ehemalige Umweltpartei konzentriert sich umso mehr auf die
Identitätspolitik, als ihr die Kriegszeiten viele Kompromisse
abverlangen. So ersetzt sie die ausbleibenden russischen Gaslieferungen
beherzt mit Kohle und Gas vom Golf, betreibt also nüchterne
Realpolitik. In Identitätsfragen hingegen polarisiert die Partei und
fördert Extreme. Die Schaltzentrale der Grünen für ihr
Umerziehungsprogramm ist das Ministerium für Wokeness, früher bekannt
als Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Kriminalität arabischer Clans soll totgeschwiegen werden
Wie
die Partei dabei vorgeht, illustriert die Personalie der designierten
Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman. Familienministerin Lisa
Paus schlägt dem Bundestag eine Kandidatin zur Wahl vor, die Deutsche als «Kartoffeln» verunglimpft.
Diskriminierung
ist gut, solange sie sich gegen die Mehrheitsgesellschaft richtet,
linke Ausländerpolitiker und Aktivisten aber zufriedenstellt. Diese
glauben, dass weisse Deutsche generell privilegiert sind – ob es sich um
Sozialhilfeempfänger oder Multimillionäre handelt. Die Diskriminierung
von Deutschen ist folglich keine Diskriminierung, sondern nur die
beschleunigte Herstellung gleicher Lebensverhältnisse.
Es
geht nicht um Dialog und Ausgleich, sondern um Konfrontation und
Schaufensterpolitik. Die Journalistin Ataman gehört einem Verein an, der
andere Journalisten an den Pranger stellte, weil diese den angeblich
ausländerfeindlichen Begriff der Clan-Kriminalität benutzen.
In
Deutschland soll nach dem Willen von Ataman und ihren
Gesinnungsfreunden nicht berichtet werden, dass arabische Clans in
Berlin und anderen Städten zu den dominierenden Kräften der Unterwelt
zählen. Was nicht sein darf, kann nicht sein. Ideologie und die
Zustimmung in einem rot-grünen Justemilieu sind wichtiger als Fakten.
Ginge
es darum, Lösungen zu finden, statt ein Thema linkspopulistisch zu
bewirtschaften, würde sich gerade das Phänomen der Clan-Kriminalität für
eine differenzierte Betrachtung anbieten. Denn hier zeigt sich, wie
eine kurzsichtige Ausländerpolitik gravierende gesellschaftliche
Probleme schaffen kann.
Türkische
und libanesische Grossfamilien nutzten in den achtziger Jahren die DDR
als Tor zum Westen. Der Stasi-Staat liess sie einreisen, sofern sie
unverzüglich in den Westen weiterzogen. Westberlin konnte die Migranten
nicht abschieben, wäre sie aber gerne losgeworden. So erhielten die
Familien eine Duldung, welche Arbeitsaufnahme, ja sogar Schulbesuch
verbot und so die Familien förmlich in die Illegalität drängte. Obwohl
sie nur vorläufig geduldet wurden, haben sie Deutschland nie mehr
verlassen.
Die Demokratie schrumpft zur Service-Agentur für Minderheiten
Diese
Migrationsgeschichte wäre ein ideales Beispiel, um zu erklären, warum
die Ampelkoalition das Ausländerrecht reformiert. Geduldete Personen
sollen nach fünf Jahren einen dauerhaften Status erhalten, sofern sie
gut integriert sind. Das ist vernünftig, weil so unnötiges Leid
vermieden wird. Der Staat muss gegen illegale Migration vorgehen, aber
vier Jahre und 364 Tage sind Zeit genug, um eine Person des Landes zu
verweisen.
Doch
der angehenden Antidiskriminierungsbeauftragten geht es offenkundig
nicht darum, zu erklären und um Verständnis zu werben. Lieber will sie
skandalisieren und indoktrinieren. Wer über die lange ignorierte
Migrantenkriminalität berichtet, soll mundtot gemacht werden.
Als
ich vor 15 Jahren noch als Korrespondent über das Thema recherchierte,
sagte mir eine Kriminalrätin im Berliner Polizeipräsidium, es werde
nicht gerne gesehen, wenn sie dazu Auskunft gebe. Das widerspreche dem
Bild des multikulturellen Berlin.
Multikulti
existiert nicht mehr, heute heisst es Diversität. Mit gesundem
Menschenverstand betrachtet, bedeutet dies nichts anderes, als die
gesellschaftliche Vielfalt anzuerkennen und selbstverständlich zu leben.
Rot-grünen Identitätspolitikern genügt dies nicht. Sie behaupten, wahre
Diversität und Demokratie seien erst erreicht, wenn alle Menschen,
weitgehend unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsdauer mitbestimmen
könnten.
Diese
Vorstellung stellt das Zerrbild einer Demokratie dar, die zum
Mitmachklub mutiert für alle, die gerade Lust haben, sich zu beteiligen.
Der Staat wäre nur noch eine zufällige Versammlung, ohne
Verbindlichkeit und ohne Pflichten. Der Einzelne hat nur noch Rechte und
Ansprüche gegenüber dem Staat auf «Inklusion» und «Partizipation».
Der
Gesellschaftsvertrag ist kein Vertrag mehr auf Gegenseitigkeit, sondern
ein einseitiges Abkommen, in dem das Individuum seine Wünsche
formuliert. Die Demokratie schrumpft zur Service-Agentur namentlich für
alle jene Minderheiten, die ihre Forderungen am lautesten artikulieren.
Über medizinische Risiken muss diskutiert werden – auch wenn das einer Gender-Ideologie widerspricht
Die
grenzenlose Individualisierung ist Programm bei Grünen und mit
Abstrichen auch bei der FDP. Das schlägt sich im Koalitionsvertrag
nieder. Er verheisst den Individuen die totale Verfügungsmacht über ihre
Körper, unabhängig von gesellschaftlichen Konventionen, juristischen
oder medizinischen Einwänden. So soll jede Person über 14 Jahre ihr
Geschlecht durch einfache Willenserklärung ändern können,
einschliesslich einer chemischen und operativen Behandlung.
Wer
sich dagegen ausspricht, etwa unter Hinweis auf die
Entwicklungspsychologie von Teenagern, wird in derselben wüsten Weise
beschimpft, die Deutsche zu Kartoffeln herabwürdigt. Stets führt das
Familienministerium, die Agitationszentrale der sonst so weltläufigen
Parteivorsitzenden Habeck und Baerbock, die Kampagnen an.
Der
Staatssekretär im Ministerium Sven Lehmann wetterte gegen «Homo- und
Transfeindlichkeit» und «Fake News», nur weil mehrere Autoren in einem
Gastbeitrag für die «Welt» darauf hingewiesen hatten, dass eine Geschlechtsumwandlung bei Pubertierenden deren Gesundheit beeinträchtigen kann. Sie warnten ausserdem vor einer die Risiken verharmlosenden Berichterstattung in den Medien.
Bei
jeder anderen Behandlung ist es die juristische wie ethische Pflicht
des Arztes, über mögliche Nebenwirkungen aufzuklären. Nur bei der
Geschlechtsumwandlung verkehren grüne Identitätsideologen hippokratische
Wahrhaftigkeit zur «gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit». Keine
Fernsehwerbung für harmlose Venensalbe kommt ohne das Sprüchlein aus:
«Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker».
Nur bei einem irreversiblen Eingriff soll das nicht gelten.
Dabei
ist noch eine ganz andere Art von Menschenfeindlichkeit denkbar:
Aktivisten immunisieren eine Behandlungsmethode gegen jede Kritik.
Medien verstärken das Randphänomen zum gesellschaftlichen Trend, und
bedenkenlose Mediziner lassen sich nicht zweimal sagen, dass sie zum
Skalpell greifen sollen. Lukrativ ist so eine Operation gewiss, und es
wäre nicht das erste Mal, dass sich skrupellose Ärzte in den Dienst
eines irregeleiteten Zeitgeistes stellen.
Wenn
medizinische Praktiker und Wissenschafter die ebenso segensreiche wie
manchmal furchteinflössende Wunderwelt der modernen Medizin
hinterfragen, verdient das Respekt. Das sollte selbst dann gelten, wenn
man deren Argumente nicht teilt. Wissenschaft beruht auf Rede und
Gegenrede und der Bereitschaft, jede Hypothese zu falsifizieren.
Schon
in der Pandemie mutierte «die» Wissenschaft allerdings zum
Glaubensbekenntnis, mit dem sich Andersdenkende trefflich ausgrenzen
liessen. Die Corona-Erfahrungen zeigen, dass verbale Abrüstung den
gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert. Leider prallt die Erkenntnis am
Panzer der Ignoranz ab, den alle begeisterten Rechthaber tragen – ob
links oder rechts.
Der
grünen Kampfbrigade fällt das Paradoxe ihres Tuns nicht auf. Sie
fordert Toleranz und Gleichberechtigung für Minderheiten, begegnet aber
allen Einwänden mit Intoleranz. Wer Lehmann oder Ataman zu widersprechen
wagt, ist eine Kartoffel oder ein Menschenfeind. Das ist die Sprache
von Kulturrevolutionären und nicht von Politikern, die eine Gesellschaft
auf dem langen Weg der Veränderung mitnehmen wollen.
Eines
ist gewiss. Wenn das Ministerium für Wokeness sein Programm
verwirklicht hat, wird die Republik an einigen Stellen nicht
wiederzuerkennen sein.
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