02 Juli 2025

The Pioneer - Medien: Rettet die Staatsferne!

"Die Staatsferne unserer Zeitungen, Magazine und Online-Portale ist die Grundvoraussetzung für Demokratie – zumal wir schon einen sehr starken öffentlich-rechtlichen Sektor besitzen".
Business Edition
Medien: Rettet die Staatsferne!
Gabor Steingart, 02.07.2025, 7 Min
Im Sommer 1988 war die Welt noch in Ordnung: Die Medien lebten auf Distanz zur Regierung. Wir Journalisten sahen uns als Kontrolleure der Politiker, nicht als ihre Komplizen. Und schon gar nicht als ihre Profiteure.
Rudolf Augsteins Spiegel, für den ich 20 Jahre arbeiten durfte, erst im Bonn von Helmut Kohl, zuletzt im Washington des Barack Obama, kannte kein Pardon. Privilegien für elitäre Minderheiten – wir haben es damals Vetternwirtschaft genannt – wurden ohne Ansehen von Rang und Namen aufgedeckt. Im Juni 1988 hieß es:

            "Wenn es darauf ankommt, können seine Fliegerkameraden sich auf Franz Josef Strauß verlassen".

Der Hobbypilot und CSU-Vorsitzende Strauß hatte (bei Kanzler Helmut Kohl) die Steuerbefreiung von Flugbenzin für Privatflieger durchgesetzt, sehr zum Ärger von CDU-Finanzminister Gerhard Stoltenberg, der zu Protokoll gab:

                    "Keine Idee des Finanzministers".

Der Spiegel lief Sturm. Die Flugbenzin-Affäre war Ende der 80er-Jahre in aller Munde und galt als Versagen einer Elite aus Politik und Wirtschaft, die sich selbst privilegierte und auch vor dem Griff in die Steuerkasse nicht zurückschreckte. Bundespräsident Richard von Weizsäcker an die Adresse der Parteien

              "Machtversessen und machtvergessen".

Die gute Nachricht: Die Kohl-Regierung musste das Steuerprivileg für die kleine Gruppe der Privatflieger rückgängig machen. Die Medien hatten ihre Aufgabe („to speak truth to power“) erfüllt. Die Checks and Balances der noch jungen Bundesrepublik funktionierten.
In diesen Tagen kann man sich dessen nicht mehr sicher sein. Der Grund: Es kam zu einem Rollentausch, über den kein Verlagshaus gerne sprechen möchte. Die beiden großen Verbände der Medienwirtschaft (500 Verlage mit 9.000 Marken) kämpfen heute nicht gegen, sondern für Steuerprivilegien. Die Begünstigten sind nicht die Ärmsten der Armen, sondern die Medien selbst. Philipp Welte, der als allseits geschätzter Medienmanager bei Burda arbeitet und als Präsident dem Medienverband der freien Presse (MVFP) vorsteht, will die Mehrwertsteuer für alle Medienprodukte auf 0,00 Prozent drücken. Es sei „kulturpolitisch geboten, die Presse von der Mehrwertsteuer zu befreien“. Sein Begehr begründet er Ende Juni auf dem Medienforum der freien Presse mit akuter Verarmung:

Diese Branche ist an einem Punkt angekommen, an dem es um ganz pure, nackte Existenzen geht.

Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) sieht es genauso. In einem gemeinsamen „Bündnis Zukunft Presse“ fordern beide Verbände „eine Senkung der Mehrwertsteuer auf 0 Prozent“.

Die Summen, um die es hier geht, sind erheblich. Tageszeitungen, Wochenpublikationen, aber auch Gourmet-, Auto-, People- und Waffenmagazine würden durch die Mehrwertsteuerbefreiung binnen zehn Jahren um mehrere Milliarden entlastet. Die Medien sollen von der publizistischen Gegenmacht zum Zuwendungsempfänger des Staates transformiert werden.

Die neue Regierung, die ein Interesse an guten nachbarschaftlichen Beziehungen zu den Medien hat, zeigt sich hilfsbereit. Kanzleramtsminister Thorsten Frei hat erst kürzlich den Kongress des MVFP besucht und versprach für die Refinanzierung der freien Presse eine „bürokratiearme Lösung“.

Rudolf Augstein würde sich im Grab umdrehen. Und sein Groll würde sich nicht gegen Thorsten Frei richten, sondern gegen Verlagsmanager, die bereit sind, Vertrauen gegen Geld und Prinzipien gegen Pekuniäres zu tauschen.

Warum das wichtig ist: Der Vorgang bedeutet eine Abkehr vom Prinzip der Staatsferne und stellt einen Tabubruch dar. Die Politik soll die Tür aufhalten, damit Medienmanager ungestört den Tresorraum des Staates betreten können. Die von ihnen bezahlten Journalisten stehen Schmiere. Keiner verpfeift niemanden.

Dabei wäre über die Ursache der medialen Misere – sinkende Auflagen bei schrumpfenden Anzeigenerlösen und fortgesetzten Reputationsverlusten – durchaus zu reden. Der Befund der Verlagsmanager ist ja nicht zu bestreiten. Die meisten Traditionsmedien kriseln vor sich hin. Doch eine selbstkritische Ursachenforschung findet nicht statt.

Wehret den Anfängen: Man kann die vielen Journalistinnen und Journalisten, die ebenfalls Zweifel an der Weisheit ihrer Obrigkeit haben, nur zum Widerspruch ermuntern. Oder um es mit Hannah Arendt zu sagen:

Niemand hat das Recht zu gehorchen.

Zumal es Alternativen zum Niedergang gibt. Wer nicht mit zu Schießscharten verengten Augen auf die Konkurrenz schaut, der wird erkennen, dass es auch anders geht: Die Zeit in Hamburg ist seit Jahren erfolgreich unterwegs. Die NZZ in Deutschland wächst. Das Projekt The Pioneer – obwohl wir auf Werbefinanzierung verzichten – segelt publizistisch erfolgreich und ist im dritten Jahr wirtschaftlich profitabel unterwegs.

Die Erwartungen des Publikums sind doch nicht vermessen: Man verlangt nicht nach Erregung, sondern nach Einordnung. Man will Journalisten, die für echte Menschen schreiben und nicht für den Algorithmus.

Die Wahrheit aber ist: Ökonomischer Sachverstand ist in vielen Redaktionen ausgestorben. Stattdessen bevölkern neue Berufe die Newsrooms, die sich „Audience Development Manager“, „Content Strategist“ oder „Engagement Editor“ nennen.

Diese Kollegen besitzen keine Primärkontakte zur Außenwelt, kein dickes Telefonbuch und keine Enthüllungskompetenz. Sie sind darauf trainiert, die Texte für Google zu optimieren und Triggerpoints zu setzen, damit der erste Klick zum nächsten Klick und immer so weiter führt.

Ihre Königsdisziplin ist der sogenannte Curiosity Trigger: This will shock you. Ihr Brot- und Buttergeschäft nennt sich „Community Boosting“, also das Erzeugen von Interaktionswellen. Ihr Geschäftsmodell ist nicht Aufklärung, sondern Erregung.

Kurz und gut: Man traut es sich ja kaum zu sagen, aber – lieber Philipp Welte – bei durchaus namhaften Medien und auch bei Start-ups wie The Pioneer – geht es nicht um die nackte Existenz, sondern um Wachstum. Für uns und andere gilt der Satz von Robert Bosch, den man damals „den roten Robert“ nannte: Wir verlieren lieber Geld als das Vertrauen unserer Kunden.

Deshalb bieten wir unseren Journalismus auch nicht als Koppelgeschäft mit dem Erwerb eines Werkzeugkoffers, eines Holzkohlengrills oder eines Amazon-Einkaufsgutscheins an. Leser sind nun mal keine Nutzer und keine Follower, sondern selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger.

Diese Menschen haben – so sehe ich die Zukunft der Medien – ein Anrecht auf Klarheit: Was nichts kostet, ist nichts wert. Viele Medienangebote aber sind noch immer gänzlich kostenlos, weil man sich gar nicht traut, einen Preispunkt zu nennen. Das ist verzagt. Das ist falsch. Und das führt zur Versuchung der Staatsnähe.

Lassen Sie es mich deutlich sagen: Wer sein Geld nicht mehr tagsüber beim Leser verdient, sondern nachts beim Staat abholt, ist gedanklich falsch abgebogen. Die Staatsferne unserer Zeitungen, Magazine und Online-Portale ist die Grundvoraussetzung für Demokratie – zumal wir schon einen sehr starken öffentlich-rechtlichen Sektor besitzen.

Schon der Versuch, die Bundesregierung und den neuen Kanzler für die Steuersubventionierung der privaten Medien zu gewinnen, ist ein Irrweg. Wenn irgendwo eine für die Ewigkeit gebaute Brandmauer stehen muss, dann zwischen privaten Medien und Staat. Wir leben in Distanz zueinander.

Es gibt Zeiten, da muss dieser alte Gedanke einer unabhängigen Medienlandschaft neu verteidigt werden – auch gegen unsere Freunde. In einer solchen Zeit leben wir.

Ich danke allen Pioneers für Ihre demokratische Leidenschaft. Unser Projekt ist Ihr Projekt.


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