13 Juli 2025

Die Abgeordneten von CDU und CSU retten den Ruf des Bundesverfassungsgerichts (NZZ)

Die Abgeordneten von CDU und CSU retten den Ruf des Bundesverfassungsgerichts (NZZ)
Bundeskanzler Friedrich Merz hätte kein Problem damit gehabt, eine aktivistische linke Juristin ans höchste deutsche Gericht zu wählen. Doch er hat die Rechnung ohne seine Fraktion gemacht. Die bürgerlichen Hinterbänkler haben rebelliert. Zum Glück.
von Marc Felix Serrao, 11.07.2025, 4 Min
Es ist noch zu früh, um von einer Regierungskrise in Deutschland zu sprechen. Aber das, was sich an diesem Freitag im nationalen Parlament abgespielt hat, könnte sich als Wendepunkt im Verhältnis der Koalitionäre entpuppen. Dass eine Regierungsfraktion die Wahl einer eigentlich längst für geeignet befundenen Verfassungsrichterin auf den letzten Metern verhindert: Das hat es noch nicht gegeben.
Beschädigt sind in erster Linie Bundeskanzler Friedrich Merz und der Unionsfraktionschef Jens Spahn. Die beiden profiliertesten Vertreter einer CDU, die wieder konservativer und unterscheidbarer sein will, hätten kein Problem damit gehabt, eine aktivistische linke Juristin ans höchste deutsche Gericht zu wählen. Doch sie haben die Rechnung ohne ihre parlamentarischen Hinterbänkler gemacht.
Spahn hatte die Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf mit zwei weiteren fürs Bundesverfassungsgericht nominierten Juristen schon vor vier Wochen zusammen mit dem Fraktionschef der SPD im kleinen Kreis als gemeinsamen Personalvorschlag für den Wahlausschuss des Parlaments präsentiert. Und als die Debatte über die politischen Vorstellungen der Juristin immer heftiger tobte, reagierte er erst in letzter Minute – nachdem klargeworden war, dass zu viele Mitglieder seiner eigenen Fraktion die Zustimmung verweigern würden.
Ein am Donnerstag präsentierter Plagiatsverdacht gegen die Kandidatin und ihren Mann, der Verwaltungs- und Medienrecht lehrt, wirkt auf den ersten Blick wie ein politisch motiviertes Manöver. Man darf gespannt sein, wie viel davon übrig bleibt.
Spahn ist angezählt, Merz auch
Zu Spahns Ehrenrettung lässt sich sagen, dass vor vier Wochen noch niemand über Frauke Brosius-Gersdorf gesprochen hat. Der Fraktionschef hatte sich auf das fachliche Urteil einiger weniger Justiziare und Parteifreunde verlassen. Angezählt ist er trotzdem. Spahn hat zu lange rein taktisch agiert und die Sprengkraft der Personalie unterschätzt.

Das Gleiche gilt für den Kanzler. Vom Regierungschef kann natürlich niemand erwarten, dass er Talkshow-Auftritte und Aufsätze von Anwärterinnen fürs Verfassungsgericht studiert. Aber als Merz am Mittwoch erklärte, dass er es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, Frauke Brosius-Gersdorf zu wählen, hätte er es besser wissen müssen. Da war die Debatte längst heissgelaufen.

Der deutsche Kanzler mag als Aussenpolitiker vieles richtig machen, und sein Ton ist oft erfrischend klar. Aber aus der Parole «Links ist vorbei», die er kurz vor der Bundestagswahl ins Land gerufen hat, ist zwei Monate nach seinem Amtsbeginn wenig übrig geblieben. Merz und Spahn wanken als politische Weichspüler in die parlamentarische Sommerpause.

Die SPD wird die abgeblasene Richterwahl unterdessen nicht vergessen. Wenn der Bundestag im September wieder zusammenkommt, wird ihre Fraktion nach Möglichkeiten suchen, die Union einen politischen Preis zahlen zu lassen. Das wiederum dürfte ihr leichtfallen. Ungelöste Konflikte gibt es in der Koalition viele, von der Rente bis zur Migrationspolitik, deren zaghafte Korrekturen vielen Sozialdemokraten schon heute viel zu weit gehen.

Die Juristin im Entrüstungssturm

Beschädigt ist auch Frauke Brosius-Gersdorf. Die Staatsrechtlerin fand sich im Auge eines Entrüstungssturms wieder, dem sie nichts entgegensetzen konnte. Man kann die Überzeugungen der 54-Jährigen ablehnen und den Umgang mit ihr dennoch fatal finden. Die Juristin wurde als Linksextremistin beschimpft, sie soll Morddrohungen erhalten haben. Solche Erfahrungen wünscht man niemandem. Gleichwohl ist es richtig, dass sie nicht nach Karlsruhe geht.

Weltanschaulich neutrale Richter gibt es nicht. Aber die deutschen Bürger dürfen erwarten, dass jene Juristen, die in den berühmten roten Roben über die Einhaltung des Grundgesetzes wachen, moderate politische Positionen vertreten. Alles andere gefährdet das Vertrauen der Bürger in die Rechtsprechung und damit die Demokratie als Ganzes.

Frauke Brosius-Gersdorf mag fachlich ohne Tadel sein. Aber sie hat Überzeugungen, die in der Summe nicht auf eine moderate, sondern eine eher stramm linke Gesinnung schliessen lassen: für ein «gendergerecht» umformuliertes Grundgesetz, für Frauenquoten in Parlamenten, für muslimische Kopftücher im Staatsdienst, für eine Relativierung der Menschenwürde ungeborenen Lebens, für ein AfD-Verbots-Verfahren oder für drakonische Grundrechtseinschränkungen in der Corona-Pandemie.

Das alles sind legitime Überzeugungen. Aber sie haben an einem höchsten Gericht nichts verloren. Gleiches gälte für einen radikal rechten Juristen, der erkämpfte Frauenrechte wieder abschaffen oder Muslime vom Staatsdienst ausschliessen wollte.

Wer an diesem Freitag nicht beschädigt wurde, ist das Bundesverfassungsgericht, auch wenn dies von linker und grüner Seite nun lautstark behauptet wird. Das Gegenteil ist richtig: Karlsruhe wurde von einem massiven Vertrauensverlust bewahrt. Der Dank dafür gebührt nicht dem konfliktscheuen Kanzler und seinem taktierenden Fraktionschef, sondern den Hinterbänklern von CDU und CSU. Sie haben den Kulturkampf, den die Linke bei jedem Thema und jeder Personalie betreibt, gerade noch rechtzeitig angenommen, angetrieben von empörten Wählern und Parteimitgliedern. Man kann der Führung der Union nur wünschen, dass sie künftig häufiger auf die Basis hört.

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