16 Juli 2025

The Pioneer - Verpasste Chance: Frauke Brosius-Gersdorf bei Lanz

Business Class Edition
Verpasste Chance: Frauke Brosius-Gersdorf bei Lanz
Guten Morgen,
Twitter-Schlacht, TV-Kontroverse, Unterschriftensammlung und dazu der routiniert erhobene Vorwurf, es handele sich um eine Schmutzkampagne: So werden Wahlkämpfe geführt. Die Enthemmung der Enthemmten bildet in der Regel das Grande Finale, das wir „die heiße Wahlkampfphase“ nennen. So wird man Kanzler oder Präsident. Der Anstand wird später – wenn man im hohen Staatsamt angekommen ist – nachgereicht.
Wenn aber die Nominierung einer Verfassungsrichterin sich wie die Fortsetzung des Wahlkampfes anfühlt, ist sie in dieser Sekunde schiefgelaufen. Der Schutz der Verfassung ist nicht das oberste, sondern das einzige Ziel des Bundesverfassungsgerichts. Wer nach Karlsruhe will, spricht nicht mit feuchter Aussprache. Er oder sie hat die Hand nicht zur Faust geballt, sondern ausgestreckt.
Ein Verfassungsrichter ist nicht links oder rechts, sondern moderat.
Dieses Mäßigungsgebot wird seit Tagen von allen Beteiligten verletzt. Die Elefanten tanzen Polka im Porzellanladen. Die Kandidatin selbst hätte gestern Abend in der Tonalität den Unterschied machen können. Aber das tat sie nicht. Das wollte sie offenbar auch gar nicht.
Sie war zu Markus Lanz gekommen, um anzuklagen („Kampagne“), um Mitleid zu erregen („Wir haben Drohungen bekommen“) und um Recht zu haben. Sie wollte Furor mit Furor erwidern. Sie wollte sich spüren, aber nicht andere überzeugen.
Ihr fehlte es nicht an Widerstandsgeist, Mut, Angriffslust und rhetorischer Raffinesse. Nur das, worauf es angekommen wäre, ließ sie vermissen: Sie zeigte weder Mitgefühl mit ihren christlichen Kritikern noch Verständnis für deren politische Vertreter im Bundestag. Sie kam nicht als Brückenbauerin, sondern als Sprengmeisterin.
Zweimal fragte Lanz, ob sie die Störgefühle ihrer Kritiker nachvollziehen könne. Zweimal lautete ihre Antwort: Nein.
Den philosophischen Lehrsatz – „Mäßigung ist nicht die Schwäche des Wollens, sondern seine Erhabenheit“ – mag sie für sich nicht gelten lassen.
So wird der moderate Geist der Verfassung durch die politische Überhitzung der Debatte verraten und durch das Temperament der Kandidatin dementiert. Karlsruhe ist ein Ort der parteipolitischen Windstille, wo der Parteienhader Zutrittsverbot hat. Hier herrscht eine kristalline Überparteilichkeit, hier legt man – wie bei der Priesterweihe – sein sündiges Vorleben ab und wird als neuer Mensch geboren.
Das Vorleben im Lasterhaften – so heißt es im Katechismus der Kirche – wird nicht ausgelöscht, aber von Gnade überformt.
Die Richterwerdung von Frauke Brosius-Gersdorf ist im Geburtskanal der Parteipolitik stecken geblieben. Heute Nacht haben wir den Höhepunkt und womöglich auch das Ende ihrer Kampagne erlebt. Sie kann dem Beruf des Verfassungsrichters nur noch durch Verzicht einen Dienst erweisen. Das muss für ihr Privatleben und für ihre Reputation als streitbare Juristin kein Nachteil sein. Oder wie Franz von Assisi zu sagen pflegte:
                    "Verzichte auf alles, was du besitzt, und du wirst reich sein".

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