06 Juli 2025

Franz Josef Radermacher „Es muss Schluss sein mit dem Klimanationalismus!“ (WELT am SonntagO)

Franz Josef Radermacher
„Es muss Schluss sein mit dem Klimanationalismus!“ (WELT am Sonntag)
Von Axel BojanowskiChefreporter Wissenschaft, 05.07.2025, Lesedauer: 6 Minuten
Energieexperte und Regierungsberater Franz Josef Radermacher rechnet mit der deutschen Energiepolitik ab. Deutschland sei ein „Klimagefängnis“, das riesige Summen verschwende und effektive Lösungen außer Acht lasse – weil Einzelne profitierten.
Deutschland will Vorreiter sein beim Klimaschutz – koste es, was es wolle. Doch was, wenn all die Milliarden, die in Windräder, Wärmepumpen und Vorschriften fließen, kaum Wirkung auf das Weltklima haben? Franz Josef Radermacher ist Mathematiker, Wirtschaftswissenschaftler und Club-of-Rome-Vordenker. Er war leitend an mehreren Hochschulen und als wissenschaftlicher Berater der Bundesregierung tätig.
WELT AM SONNTAG: Herr Radermacher, Sie behaupten, wir in Deutschland würden in einem „Klimagefängnis“ sitzen – was meinen Sie damit?
Franz Josef Radermacher: Jede Person und jedes Unternehmen hierzulande wird regulatorisch gezwungen, viel Geld für Klimaschutz auszugeben – in einer Weise, die zur Lösung des Erwärmungsproblems so gut wie nichts beiträgt, aber extrem teuer ist. Naheliegende Alternativen werden gesetzlich ausgeschlossen, was wie „Gefängnismauern“ wirkt. Es profitiert eine mächtige Lobby aus Politik, Unternehmen, wissenschaftlichen Instituten, einschlägigen NGOs und vielen weiteren gut bezahlten Personen, die die zugehörige Bürokratie betreiben, die unserer Industrie die Luft abschnürt. Andere kümmern sich um die Pädagogisierung der Bevölkerung, verbunden mit der Abschaffung des Leistungsprinzips. Parallel dazu wirkt das Gefängnis in Richtung „Verarmung“. Zentrale Vordenker halten das für die einzige Lösung der weltweiten Probleme. Andere haben ein Interesse an der Schwächung Europas. Natürlich wird das so nicht kommuniziert. Stattdessen werden Illusionen der Art „die Sonne schickt keine Rechnung“ erzeugt.
WELT AM SONNTAG: Wie viel Geld wird denn verpulvert?
Radermacher: Nach unseren Rechnungen geben wir allein für die Transformation 120 Milliarden Euro pro Jahr zu viel aus.
WELT AM SONNTAG: Was meinen Sie mit „zu viel“?
Radermacher: Den Betrag könnte man einsparen und etwa die Hälfte für eine wirksame Klimapolitik aufbringen – dort, wo es dem Klima wirklich nützt: im Globalen Süden. Dort kann eine Tonne CO₂ für 50 Euro aus der Luft geholt werden, während wir in Deutschland Hunderte, teilweise Tausende Euro pro vermiedener Tonne CO₂ ausgeben. Im neuen Koalitionsvertrag steht, dass wir drei Prozent unserer Emissionsverpflichtungen mit Kompensationen im Ausland nachkommen dürfen, was nichts anderes bedeutet als internationale Klimafinanzierung. Aber selbst gegen dieses in der Sache viel zu kleine Volumen wird vonseiten der „Gefängniswärter“ hart argumentiert.

WELT AM SONNTAG: Was sollte genau passieren?

Radermacher: Es muss Schluss sein mit dem Klimanationalismus! Wir müssen kooperieren. Der Süden kann CO₂ kostengünstig binden und die Entwicklungsländer wollen Wohlstand aufbauen – beide Ziele lassen sich verbinden. Der Pariser Klimavertrag erlaubt den Ländern des Südens die Erhöhung ihrer Emissionen, um Entwicklung zu fördern. Also müsste Deutschland mit Finanzierung und moderner Technologie helfen, die Emissionen dort trotzdem zu senken. Mit CO₂-Abscheidung und Verpressung (CCS) zum Beispiel, also dem Abfangen von Emissionen an Kraftwerken und Fabriken. Ab 2050 könnten wir so jedes Jahr zehn Milliarden Tonnen CO₂ aus der Luft holen.

WELT AM SONNTAG: Das wäre gut ein Viertel der aktuellen globalen CO₂-Emissionen. Der UN-Klimarat hält zehn Milliarden Tonnen jährlich allerdings für sehr ambitioniert. Was macht Sie so optimistisch?

Radermacher: Bei der Erdöl- und Erdgasförderung wird CCS seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt, nicht zum Klimaschutz, sondern weil man mehr Öl und Gas fördern kann, wenn CO₂ in die Lagerstätten gepresst wird. Es ist eine etablierte Technologie. Eine Art Kreislaufwirtschaft, weil der Kohlenstoff, der in Form von Öl und Gas herausgeholt wurde, jetzt in Form von CO₂ wieder zurückkommt. Die CO₂-Speicherung ist ein Gamechanger.

WELT AM SONNTAG: Deutschland setzt stattdessen auf „alles elektrisch“, auf Wind und Sonne. Halten Sie das für falsch?

Radermacher: Es gibt zwei Missverständnisse in der deutschen Diskussion. Man tut einerseits so, als wären die Probleme gelöst, wenn man Strom nur mit Wind und Sonne produzieren würde. Es ist aber so, dass die Stromproduktion sehr teuer wird, wenn der Anteil von Wind und Sonne jenseits von 50 Prozent liegt. Und zwar wegen der Unbeständigkeit der Stromproduktion, der Volatilität. Wir erleben doch gerade, wie teuer das wird. Andererseits sind etwa 75 Prozent des Bruttoenergieverbrauchs nicht vom Typ Strom. Hier wird nach wie vor fossile Energie eingesetzt. International wird fossile Energie sogar weiterhin in absoluten Zahlen stärker ausgebaut als erneuerbare Energie, aufstrebende Länder errichten Kohlekraftwerke und fördern zunehmend Erdgas. Man wird mit den meisten Ländern keine Verträge zum Schutz des Klimas abschließen können, wenn die Nutzung von fossilen Energien verboten werden sollte. Denn das würde ihre wirtschaftliche Entwicklung blockieren. Stattdessen müssen wir die Länder des Südens beim Klimaschutz unterstützen, zum Beispiel mit der Finanzierung von CCS und mit naturbasierten Lösungen wie Aufforstung.

WELT AM SONNTAG: Deutschland soll Bäume pflanzen?

Radermacher: Das ist ein Baustein. Die Finanzierung von Aufforstung im Süden käme uns erheblich günstiger als der deutsche Sonderweg. Auf einer Milliarde Hektar ließen sich Bäume und schnell wachsende Hölzer pflanzen, die CO₂ binden. Zusammen mit Maßnahmen zur Boden-Verbesserung und verstärktem Regenwaldschutz könnten solche naturbasierten Lösungen ebenfalls zehn Milliarden Tonnen CO₂ pro Jahr eliminieren helfen. Positive Nebeneffekte für die beteiligten Länder wären eine viel produktivere Landwirtschaft und eine leistungsfähige Holzwirtschaft.  All das ist ausführlicher in meinem Buch „All In! Energie und Wohlstand für eine wachsende Welt“ beschrieben.

WELT AM SONNTAG: Rechnen Sie nicht mit harter Gegenwehr von Aktivisten und Journalisten?

Radermacher: Doch! Wer aber das Klimaproblem wirklich lösen möchte, muss geradezu diese anderen Wege beschreiten, weil es sich in den Entwicklungs- und Schwellenländern entscheiden wird.

WELT AM SONNTAG: Klimaschützer hierzulande monieren, Deutschland würde sich mit internationalen Projekten von seinen Verpflichtungen freikaufen. Was antworten Sie denen?

Radermacher: Das ist ein vorgeschobenes Argument. Ihr eigentliches Ziel ist, dass sämtliches Geld für Klimaschutz bei uns ausgegeben wird, wovon natürlich Einzelne profitieren, womit gesamtgesellschaftlich jedoch Verarmung gefördert wird. Außerdem setzen sich westliche Klimaschützer gegen die Förderung und Nutzung fossiler Energie in ärmeren Ländern ein und empfehlen „Renewables only“. Die betreffenden Länder lehnen das zunehmend ab und wenden sich China oder den Ölstaaten zu. Wir im Norden gelten inzwischen als „Heuchler“.

WELT AM SONNTAG: Deutschland scheint ernst zu machen mit Degrowth. Das Energieeffizienzgesetz schreibt vor, den Energieverbrauch im Rahmen der Energiewende fast zu halbieren. Energie und Wohlstand laufen parallel, Wohlstandsverlust scheint also unvermeidlich. Was halten Sie von dem Plan?

Radermacher: Das ist Harakiri und de facto ein Wirtschaftsschrumpfungs- und Industrievertreibungsgesetz. Ich hoffe, dass die neue Regierung dieses Gesetz ersatzlos streichen wird.

WELT AM SONNTAG: Sogar das Bundesverfassungsgericht hat vorgeschrieben, dass Deutschland seine CO₂-Emissionen schnell auf null bringen muss, egal, was andere Länder machen. Der von Ihnen kritisierte Klimanationalismus wurde also von höchster richterlicher Instanz bestätigt. Fühlen Sie sich widerlegt?

Radermacher: Ich halte das Klimaurteil von 2021 für eine fundamentale Fehlentscheidung. Es gründet auf der Vorstellung, der verfassungsrechtlich gebotene Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ließe sich im Klimabereich dahin gehend konkretisieren, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Dies sei der Auftrag an die deutsche Politik. Es liegt jedoch nicht in der Macht der deutschen Politik, die Einhaltung dieses nur global erreichbaren Ziels sicherzustellen. Die Position des Gerichts beinhaltet viele sachliche Fehler und zementiert ein weltfremdes, für die Sache wirkungsloses Programm. Das Verfassungsgericht hat am deutschen „Klimagefängnis“ wesentlich mitgebaut.

Zur Person:

Franz Josef Radermacher ist emeritierter Professor für Informatik an der Universität Ulm. Der 75-Jährige leitete das Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung in Ulm, ist Mitglied des UN-Council of Engineers for the Energy Transition und des Club of Rome, war Senior Advisor bei der United Nations Industrial Development Organization und von 2000 bis 2018 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zudem ist Radermacher Buchautor, zuletzt erschien zusammen mit Bert Beyers „All in! Energie und Wohlstand für eine wachsende Welt“ (Murmann Verlag).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen