13 Juli 2025

Bundesverfassungsgericht - Das parteipolitisierte Gericht – Wie man eine Institution zugrunde richtet (Cicero)

Bundesverfassungsgericht
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Das parteipolitisierte Gericht – Wie man eine Institution zugrunde richtet (Cicero)
Seit Jahrzehnten genießt das Bundesverfassungsgericht höchstes Vertrauen bei allen Bürgern. Es wird als unabhängiges Gegengewicht zur Parteipolitik wahrgenommen. Dieser Ruf wird gerade verspielt. Die Parteien schicken immer ungenierter dezidierte Parteigänger als Richter nach Karlsruhe.
VON VOLKER BOEHME-NESSLER am 10. Juli 2025 7 min
Die Qualität eines Gerichts hängt von der Qualität der Richterinnen und Richter ab, die dort arbeiten. Das ist beim Bundesverfassungsgericht natürlich nicht anders. Am Freitag entscheidet der Bundestag darüber, wer neu nach Karlsruhe geschickt wird. Völlig zu Recht wird in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit heftig über eine Kandidatin diskutiert. Niemand bezweifelt ihre fachliche Kompetenz. Sie ist Rechtsprofessorin und in der Scientific Community hoch angesehen. Aber sie hat sich politisch deutlich und engagiert positioniert. Frauke Brosius-Gersdorf vertritt in politisch umstrittenen und heiklen Fragen wie AfD-Verbot, Impfpflicht während der Corona-Pandemie, Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen, Frauenquoten in Parteien oder Menschenwürde des menschlichen Fötus eindeutige, klare Meinungen.
Unvoreingenommenheit sieht anders aus, und Spielräume für Kompromisse sind dabei nicht sichtbar. Selbstverständlich sind das Meinungen, über die man hervorragend streiten kann. Klare, zugespitzte Meinungen und Streit – das braucht die Demokratie. Aber das Gericht in Karlsruhe braucht andere Qualitäten.
Das Grundgesetz hat ein komplexes System von checks and balances geschaffen. Unterschiedliche Institutionen arbeiten miteinander und auch gegeneinander. Wenn das gut funktioniert, haben wir einen Staat, einen demokratischen Rechtsstaat, der effektiv Politik entwickelt und umsetzt, aber gleichzeitig die Freiheiten der Bürger schützt. Wie bei jedem komplizierten Mechanismus gilt aber: Wird an einer Stelle etwas verändert, gerät das große Ganze in Unordnung; der Mechanismus funktioniert über kurz oder lang nicht mehr. 
Verfassungsgericht – die Idee der Verfassung
Die Verfassung sieht eine Parteiendemokratie vor. Sie betont die Bedeutung politischer Parteien ausdrücklich. Aber eine umfassende Macht sollen sie nicht haben. Deshalb gibt es zwar Institutionen, die natürlich parteipolitisch geprägt sind: vor allem die Regierung und das Parlament. Hier wird (Partei-)Politik gemacht – und das ist gut so. Aber im Verfassungsstaat ist die Politik nicht völlig frei. Sie muss sich an die Regeln der Verfassung halten. Regeln werden – das ist überall so – eher eingehalten, wenn das kontrolliert wird.

Deshalb hat das Grundgesetz das Verfassungsgericht erfunden. Es soll kontrollieren, ob alle Staatsorgane sich an die Verfassung halten. Als neutrale Kraft die Verfassung vor der Politik und dem Staat zu schützen, das ist seine Aufgabe. Karlsruhe hat sich selbst öfter als „Hüter der Verfassung“ bezeichnet. Auch wenn darin eine gewisse Selbstüberschätzung aufscheint, trifft das doch den Kern: Karlsruhe soll mit den Mitteln des Rechts sicherstellen, dass auch in hochpolitischen Konfliktfällen die Verfassung beachtet wird. 

Dieses Modell funktioniert nur, wenn das Gericht parteipolitisch völlig neutral ist und unvoreingenommen an die Konfliktfälle herangeht. Es darf dem Gericht nicht darum gehen, bestimmte politische Ziele zu fördern. Seine Aufgabe ist, die Verfassung zu schützen. Es ist kein Ersatzgesetzgeber, der eine politische Agenda unter dem Deckmantel der Rechtsprechung vorantreiben darf.

Karlsruhe braucht Richter, keine Politiker

Vor diesem Hintergrund ist die Jobbeschreibung für Verfassungsrichter klar: Sie müssen Richter sein, keine verkappten Politiker oder Aktivisten. Selbstverständlich dürfen sie politische Grundüberzeugungen und Meinungen haben. Sie sind ja nicht nur Richter, sondern auch Bürger. Wenn sie aber eine eigene politische Agenda haben, die sie in Karlsruhe verfolgen wollen, sind sie dort falsch. In Karlsruhe geht es ausschließlich um die Verfassung. Verfassungsrichter messen das politische Verhalten anderer Institutionen des Staates am Maßstab der Verfassung. Was darüber hinausgeht, ist Amtsanmaßung und Rechtsmissbrauch. Wer Verfassungsrichter werden will, muss diese Beschränkung akzeptieren, ja verinnerlichen. Nur dann sind unvoreingenommene, parteipolitisch neutrale Entscheidungen möglich.

Ob Frauke Brosius-Gersdorf, die Kandidatin, die von der SPD vorgeschlagen wurde, diese Selbstbeschränkung schaffen würde? Das ist mehr als zweifelhaft. Zu dezidiert sind ihre politischen Ansichten, zu aktiv und vehement vertritt sie sie, zu wenig Kompromissbereitschaft ist zu sehen. Sie hat in einem Papier, das sie während der Corona-Pandemie veröffentlicht hat, den Gedanken vertreten, der Staat habe die Pflicht, eine Impfpflicht einzuführen. Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht? Das war eine deutliche und kompromisslose Hardliner-Position. 

Ähnlich extrem und kompromisslos ist ihre Position im Abtreibungsrecht. Sie ist für eine vollständige Liberalisierung. Das ist für sie kein Problem, denn sie sieht gute Gründe dafür, dass die Menschenwürde erst mit der Geburt des Menschen beginnt. Diese Auffassung ignoriert medizinische Forschung – und widerspricht der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Ihr Bild ist das einer Kämpferin, die kompromisslos für ihre Ansichten streitet. Das ist durchaus sympathisch. Aber wie soll sie eine neutrale Richterin sein, die unvoreingenommen in politischen Konflikten Recht spricht?

Parteipolitisierung des Verfassungsgerichts

Wer Richter in Karlsruhe wird, entscheidet die Politik. Ob das gut ist oder nicht, darüber kann man streiten. Es ist aber die geltende Rechtslage. Im Wechsel schicken Bundestag und Bundesrat ihre Kandidaten ans Bundesverfassungsgericht. Schon immer spielten dabei parteipolitische Überlegungen, Machtspiele und Kompromisspakete eine große Rolle. Das ist natürlich kein Wunder: Politische Institutionen entscheiden nach politischen Kriterien. Deshalb ist es seit langem üblich, dass Parteien Persönlichkeiten für das Richteramt vorschlagen, die ihnen politisch nahestehen. Wenig überraschend gab es auch oft Richter, die Mitglied einer politischen Partei waren. Aber immerhin achteten die Parteien grundsätzlich – nicht immer – darauf, keine aktiven und hervorragenden Parteipolitiker vorzuschlagen.

Seit einigen Jahren hat sich das geändert. Die Parteien halten sich politisch immer weniger zurück. Der entscheidende Tabubruch war die Ernennung von Stefan Harbarth zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Bevor er 2018 nach Karlsruhe ging, war er Mitglied des Bundesvorstands der CDU und stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion. Er galt als Vertrauter von Kanzlerin Merkel. Ein einflussreicher aktiver Politiker einer Regierungspartei wird zum Verfassungsrichter in Karlsruhe gemacht? Das war eine dreiste Aktion der damaligen Bundeskanzlerin, mit der sie das Gericht zum Spielball politischer Machtinteressen gemacht hat. Sie hat absolut kein Gespür für die Feinheiten der Gewaltenteilung im Grundgesetz gezeigt. Und schlimmer noch: Sie hatte – nicht zum ersten Mal – keinen Respekt vor dem Geist der Verfassung.

Politik, getarnt als Verfassungsrecht

Diese respektlose Politik gegenüber dem Geist der Verfassung setzt sich fort. Die SPD will ihre Kandidatinnen für Karlsruhe durchsetzen. Die CDU scheint das mitmachen zu wollen. Sie hat wohl Angst, ihren (kleineren) Koalitionspartner zu verärgern. Lieber beschädigt man das Gericht in Karlsruhe weiter, als im Machtspiel nachzugeben. Das ist verhängnisvoll. Je politisierter das Gericht wird, desto weniger Einfluss wird es haben. Denn sein Einfluss und das Vertrauen der Bürger beruhen auf seiner Rolle als unparteiischer, objektiver Hüter der Verfassung. Inzwischen wird es zunehmend als politischer Player wahrgenommen, nicht mehr als neutrale Instanz, die über der Politik schwebt. Ein politisiertes Gericht spricht nicht mehr Recht. Es macht Politik, getarnt als Recht.
Was sehen wir hier? Eine Politik, die keinen Respekt vor der Verfassung hat, beschädigt rücksichtslos eine Instanz, die für das Funktionieren des Verfassungsstaates unverzichtbar ist. Im dauernden Ringen zwischen Macht und Recht wird das Recht zunehmend zum Verlierer. Man soll nicht immer schwarzmalen, aber das wird langfristig schlimme Folgen haben – für die Politik, für die Gesellschaft und für die Freiheit der Bürger.

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