08 Februar 2023

Business Class Edition: Warum Sanktionen meist die Falschen treffen

Business Class Edition: 

Warum Sanktionen meist die Falschen treffen
Guten Morgen,
In Washington hat jemand die „Replay“-Taste gedrückt. Wir hören das düstere Echo der Geschichte.
Denn die gedankliche Grundlage der heutigen Sanktionspolitik – die den Rivalen mit Strafzöllen belegt und mit Handelsverboten bestraft – stammt von Präsident Woodrow Wilson, der bereits 1910 die ökonomische Kriegsführung als Nonplusultra empfahl:

"Eine Nation, die umfassend boykottiert wird, hat keine andere Wahl, als aufzugeben. Dank dieser wirtschaftlichen, friedlichen, stummen, aber gleichwohl tödlichen Medizin ist der Einsatz von bewaffneten Streitkräften nicht mehr nötig".

Der Glaube an die Allmacht von Wirtschaftssanktionen hält sich bis heute. Als der amerikanische Finanzminister Steven Mnuchin 2019 gefragt wurde, was die USA gegen eine Türkei unternehmen werde, die in Syrien die kurdische Minderheit töten ließ, antwortete er:

"We can shut down the Turkish economy".

So dachte Trump. So denkt Biden. So denkt auch Wirtschaftsminister Robert Habeck, der sich heute in Washington aufhält. Doch sie alle sind im Irrtum vereint. Fakt ist:

Nationen widerstehen.

Sanktionen scheitern.

Die Ausgestoßenen schmieden untereinander Allianzen.

Beispiel Kuba: Bis heute hat sich der Karibikstaat weder durch militärische Infiltration noch durch wirtschaftliche Strafmaßnahmen beeindrucken lassen. Im Gegenteil: Castro diente seine Insel den Sowjets als Abschussrampe für Atomraketen an. Der ehemalige deutsche Botschafter in Kuba, Bernd Wulffen, sagte erst kürzlich: „Eine harte Sprache oder gar Wirtschaftssanktionen führen dazu, dass die Bunkermentalität in Kuba zementiert wird.“

Beispiel Iran: Die von den USA angefeindete Islamische Republik hat ihre Lieferketten neu organisiert und steht heute in der ökonomischen Blüte ihrer Zeit. Das Bruttosozialprodukt hat sich in nur drei Jahren verdoppelt und wird sich nach einer IMF-Projektion von 2023 bis 2027 um weitere zwanzig Prozent steigern. Auch der Bau einer eigenen Atombombe ist nach Ansicht aller westlichen Experten kurz vor seiner Vollendung. 

Beispiel Russland: Binnen kürzester Zeit konnte sich Putin auf die Umgehung der Sanktionen einstellen und neue Import- und Exportpartner akquirieren. Die ganze Welt ist scharf auf russisches Öl und Gas. An die Stelle der kleinen deutschen Demokratie tritt die weltgrößte Demokratie – Indien – als Aufkäufer der fossilen Produktpalette. Für 2024 erwartet die Russische Föderation – so die aktuelle Prognose des Weltwährungsfonds – ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent, das deutlich über dem der Bundesrepublik mit 1,4 Prozent liegt.

Beispiel China: Die US-Sanktionen sind der wichtigste Treiber beim Entstehen eines chinesischen Binnenmarktes. Dessen Konsumentenzahl übersteigt den amerikanischen Binnenmarkt um das Dreifache. China hat sich unter dem Druck der westlichen Sanktionen mit Russland, Indien, Iran und der Türkei zu einer schlagkräftigen ökonomischen Allianz verbündet.

Warum das wichtig ist?

Weil Amerika diese unbequeme Wahrheit partout nicht zur Kenntnis nehmen will – und sich selbst und seine Partner in einen regelrechten Sanktionsrausch hineintreibt. Agathe Demarais, Direktorin der Economist Intelligence Unit in London, dem Analyse-Institut des Economist, hat den Anstieg der Sanktionen präzise protokolliert:

  • US-Präsident George W. Bush erließ 3484 Sanktionen gegen Firmen, Einzelpersonen, Nationen und Organisation in acht Jahren.

  • Präsident Donald Trump brachte zwischen 2017 und 2020 rund 3900 Sanktionen gegen den gleichen Personenkreis auf den Weg. Das waren vier Sanktionen pro Werktag.

  • Mit der Amtsübernahme durch Joe Biden hat sich das Tempo enorm erhöht. Heute betreiben die USA aus dem Finanzministerium heraus 70 unterschiedliche Sanktionsprogramme, die 9000 Nationen, Einzelpersonen, Staaten und Organisationen betreffen. Agathe Demarais spricht in ihrem Buch „Backfire“ vom „Sanction Overkill”.

Warum das insbesondere für deutsche und europäische Firmen gefährlich ist?

Weil die USA entdeckt haben, dass Sanktionen zwar nicht bei den Gegnern wirken, aber dafür im Lager der eigenen Freunde und Wirtschaftspartner umso effektiver sind. Die nämlich werden zur Beendigung ihrer bislang erfolgreichen Wirtschaftsbeziehungen – z. B. nach Kuba, Iran, Russland und China – gezwungen und an die Seite der Amerikaner gedrückt. Ein Sanktionsmonopol entsteht, dass die Marktkräfte beiseite schiebt. In Ermangelung von Alternativen kaufen Deutsche, Franzosen und andere NATO-Staaten nun in den USA ein, notgedrungen auch teures Flüssiggas.

Mit der Drohung, der Sanktionsbrecher werde vom US-Markt ausgeschlossen, macht man aus politischen Freunden willige Handelspartner. Und ist der Freund nicht willig, so gebraucht man fiskalische Gewalt, wie Agathe Demarais recherchiert hat:

  • Von 2009 bis heute mussten amerikanische Firmen lediglich 300 Millionen Dollar als Strafen zahlen, derweil zahlten andere Staaten in Summe 4 Milliarden.

  • Eine ausländische Firma zahlt wegen Verstoßes gegen das Sanktionsregime im Durchschnitt 139 Millionen US-Dollar, derweil eine US-Firma im Durchschnitt nur 2 Millionen und damit 70 mal weniger zahlt.

Wir fassen zusammen: Die, die es eigentlich treffen soll, trifft es nicht. Aber die politischen Freunde und Partner leiden, weil ihre bisherigen Geschäfte verteuert, verkompliziert oder unmöglich gemacht werden.

Vielleicht besteht gerade darin die Ironie der Moderne: Die Wirtschaftssanktionen der USA wirken – nur eben anders als von Woodrow Wilson gedacht.

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