„Es geht nicht um Polizeiberichte, sondern darum, was Sie aus dem Thema machen“
Das Amtsgericht verhandelt an diesem Tag wegen mehrerer
Straßenblockaden zwischen März und Juni 2022 und des Sprayens des
Schriftzugs „Wo ist Olaf“ am Bundeskanzleramt im Juni 2022. Es geht um
die Vorwürfe Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte,
gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr sowie Sachbeschädigung.
Jeschke soll in einem Fall bei Rot über die Straße gegangen sein,
weshalb mehrere Autos hätten stark bremsen müssen, um einen Zusammenstoß
zu verhindern, heißt es in der Anklage. Jeschke bestreitet die Taten
nicht.
Nach dem Klebe-Eklat fährt der Richter mit dem Verlesen von Polizeiberichten fort. Nach wenigen Minuten unterbricht Jeschke die Verhandlung erneut: „Ich glaube, dass das weniger relevant ist, was Sie gerade vorlesen. Es geht nicht um Polizeiberichte, sondern darum, was Sie aus dem Thema machen“, sagt er. Nach einem Wortwechsel sagt der Richter: „Ich beabsichtige, Herrn Jeschke vom weiteren Verlauf der Sitzung auszuschließen.“
Jeschkes Verteidiger erhebt Einspruch: Der Angeklagte habe das Recht,
der Verhandlung beizuwohnen und Beweisanträge zu stellen, ein
Ausschluss sei völlig unverhältnismäßig. Der Vorsitzende beschließt
daraufhin dennoch den Ausschluss. Anwesende Justizbeamte bringen den
Angeklagten mitsamt Tisch aus dem Saal. In einem Flur des Amtsgerichts
gibt der 23-Jährige Interviews. Die Klimakleber seien die falschen
Angeklagten, sagt er.
„Die großen Verschmutzer, die klimazerstörenden Konzerne sitzen nicht
auf der Anklagebank.“ Kurz darauf verhängt die Sitzungspolizei gegen
Jeschke ein Hausverbot für diesen Tag. Weil er sich nicht vom Tisch
lösen lassen will, wird er laut Gerichtssprecherin Lisa Jani mitsamt des
Tisches zur Bushaltestelle gebracht. „Gegebenenfalls werden wir auf den
Tisch verzichten“, sagt Jani WELT.
Befangenheitsantrag gegen den Richter
Nach einer Verhandlungspause beantragt der Verteidiger, die
Hauptverhandlung zu unterbrechen. Es gehe um einen erheblichen Eingriff
in die Beschuldigtenrechte. „Sobald Rechtssicherheit besteht, ob der
Ausschluss des Angeklagten rechtmäßig gewesen ist, können wir gerne
weitermachen“, so der Verteidiger. Der Richter weist auch diesen Antrag
zurück.
Der Verteidiger stellt daraufhin einen Befangenheitsantrag gegen den Richter: Der Anklagte habe Grund zur Besorgnis, dass der Richter eine Haltung habe, die dessen Unparteilichkeit störend beeinflussen könne. Darüber muss das Landgericht Berlin gesondert entscheiden. Am späten Donnerstagnachmittag unterbricht der Richter die Verhandlung. „Soll das auf diesem Niveau weitergehen?“, fragt er den Verteidiger noch mit Bezug auf das Verhalten des Angeklagten. „Ich bin nicht der Erziehungsberechtigte meines Mandanten und nicht dafür verantwortlich, wie er sich verhält“, sagt Jeschkes Anwalt. Die Verhandlung wird im März fortgesetzt.
Jeschke ist bereits mehrfach wegen Aktionen der „Letzten Generation“
verurteilt worden. Unter anderem verurteilte ihn das Amtsgericht
Lüneburg im April 2022 wegen zweifacher Sachbeschädigung zu einer
Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je fünf Euro. Jeschke hatte an seiner
Universität in Lüneburg einen Schriftzug gesprayt und forderte die
Universität auf, ihre Gelder von der Norddeutschen Landesbank
abzuziehen, da diese weiter in Rüstung, Kohle und fossiles Gas
investiere. Zugunsten des Angeklagten sprach bei der Strafzumessung die
„altruistische Motivation seiner Aktion“, wie es im Urteil heißt.
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte Jeschke im November 2022 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je zehn Euro. Jeschke hatte sich in Berlin mit Sekundenkleber an einer Straße befestigt. Aktuell laufen mehrere weitere Verfahren wegen Blockade-Aktionen.
Jeschke war im Bundestagswahlkampf 2021 durch einen Hungerstreik bekannt geworden, mit dem er ein Gespräch mit den damaligen Spitzenkandidaten von SPD, CDU und Grünen über die Folgen des Klimawandels erzwingen wollte. Nach 27 Tagen wurde der damals 21-Jährige in eine Intensivstation eingeliefert.
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