The Pioneer: Business Class Edition -
AfD: Der Motor ihres Aufstiegs
Gabor Steingart, Montag, 01.07.2024
Guten Morgen,
Fakt ist:
Die AfD wird von 99 Prozent der Medien abgelehnt, aber nicht von 99
Prozent der Wählerinnen und Wähler. Die Kommentarlage entspricht nicht
der Seelenlage der Nation, weshalb es lohnend sein könnte, nach diesem
Parteitag in der Grugahalle von Essen nicht erneut die Schattenseiten
der AfD zu beleuchten, die es reichlich gibt, sondern die Treiber ihres
Aufstiegs zu betrachten.
Wenn in einem freiheitlich verfassten Staat eine
Partei sieben Jahre nach ihrem erstmaligen Einzug in den Bundestag
(2017) die Spitzenposition in Ostdeutschland und Platz zwei in
Westdeutschland erringen kann, muss es Gründe geben. Diese
Aufstiegsgründe kann man bekämpfen oder begrüßen. Aber ignorieren sollte
man sie nicht:
# Aufstiegsmoment 1: Innerparteiliche Geschlossenheit
# Aufstiegsmoment 1: Innerparteiliche Geschlossenheit
Der Weg der AfD war zunächst geprägt von der Selbstzerstörung des Spitzenpersonals. Seit 2013 wurden vier Parteivorsitzende, der Gründer Prof. Bernd Lucke inklusive, verschlissen. Alle haben die Partei – unter Ausstoßung von allerlei Verwünschungen – mittlerweile verlassen.Das heutige Führungsduo, bestehend aus Tino Chrupalla und Alice Weidel hat zumindest einen Modus Vivendi gefunden, der die offene Saalschlacht vermeidet und den Konsens
betont. „Meine geliebte Alice“, flötete er, was sie artig respondierte.
Es gilt das Motto: Lieber schlecht geschauspielert als gut gestritten.
Mit dem dritten im Bunde, dem thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke,
hat man sich aus Gründen des Machterhalts arrangiert. Weidel, die ihn
einst aus der Partei drängen wollte, hat klein beigegeben. Dieser Pakt
zwischen dem Rechtsextremisten und der Mitte-Rechts-Politikerin
garantiert im Moment die Statik der AfD.
# Aufstiegsmoment 2: Der Erfolg nährt den Erfolg
Mittlerweile ist die AfD mit
15 Mandaten im EU-Parlament, mit 77 Mandaten im Deutschen Bundestag und
mit 252 Mandaten in 14 Landtagen vertreten. Rechnet man die Zahl der
Referenten und Assistenten, aber auch die in jeder Stadt und vielen
Gemeinden angemieteten Geschäftsstellen hinzu, ergibt sich eine
stattliche Zahl von Mitarbeitern, die ihr Einkommen aus der politischen
Tätigkeit für die AfD beziehen.
Laut Tätigkeitsbericht 2023
liegt das Reinvermögen der AfD bei rund 17,5 Millionen Euro. Durch
Beiträge der inzwischen mehr als 46.000 Mitglieder hat die Partei im
vergangenen Jahr 2,9 Millionen Euro eingenommen, 1,9 Millionen durch
Spenden. Mit mehr als 44 Prozent stammte fast die Hälfte der Einnahmen
2023 aus staatlichen Mitteln – insgesamt rund 7,9 Millionen Euro.
# Aufstiegsmoment 3: Vergröberung vergrößert
Die Anfeindungen durch alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien nützen der AfD. Durch die Vergröberung (Klingbeil: „Nazis“ ) und Abgrenzung (Merz:
„Die Brandmauer steht“) erscheint die Partei wirkmächtiger, als sie
ist, was ihren Mitgliedern das Herz wärmt. Erst am Wochenende beschwor
Weidel die AfD als verschworene Kampfgemeinschaft.
Erkennbar ist, dass der Kampf gegen Rechts, den SPD
und Grüne, aber auch etliche Medien ausgerufen haben, zum Erstarken der
Rechten führt. Der Satz, der im Privatleben gilt, der Mensch braucht
Freunde, gilt in der Politik so nicht. Jede Anfeindung der AfD und auch
die Beobachtung durch den Verfassungsschutz empfinden ihre Anhänger und
Sympathisanten als Stimulanz. Ich werde verfolgt, also bin ich.
Das Ergebnis:
Bei der Europawahl sind von SPD und CDU jeweils netto mehr als eine
halbe Million Wähler zur AfD gewandert, so die Erhebungen von infratest dimap. Von der FDP sind mehr als 400.000 Menschen bei der AfD eingeparkt.
# Aufstiegsmoment 4: Das Erweckungserlebnis
Der Gründungsmythos der AfD geht auf das Jahr 2015 und die damalige Grenzöffnung zurück, die Angela Merkel als Bundeskanzlerin verfügt hatte. Zur Erinnerung: Infolge der Grenzöffnung beantragten 2015 fast eine halbe Million Menschen in Deutschland Asyl, 2016 waren es rund 750.000. Die Bundesbehörden konnten die Frage, wer und wie viele Menschen da eigentlich über die Staatsgrenze gekommen sind, zunächst nicht beantworten.
Der Gründungsmythos der AfD geht auf das Jahr 2015 und die damalige Grenzöffnung zurück, die Angela Merkel als Bundeskanzlerin verfügt hatte. Zur Erinnerung: Infolge der Grenzöffnung beantragten 2015 fast eine halbe Million Menschen in Deutschland Asyl, 2016 waren es rund 750.000. Die Bundesbehörden konnten die Frage, wer und wie viele Menschen da eigentlich über die Staatsgrenze gekommen sind, zunächst nicht beantworten.
Damals sprachen Menschen wie der ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof. Papier
vom „Staatsversagen“. Diese Erinnerung an die damaligen Ereignisse
treibt den AfD-Funktionären noch immer den Puls nach oben. Weidel in
Essen:
Raus müssen diejenigen, die millionenfach illegal seit dem Merkel-CDU-Willkommensputsch 2015 in unser Land reingekommen sind. Ein kompletter Kontrollverlust! Das hat die CDU angerichtet!
Raus müssen diejenigen, die millionenfach illegal seit dem Merkel-CDU-Willkommensputsch 2015 in unser Land reingekommen sind. Ein kompletter Kontrollverlust! Das hat die CDU angerichtet!
Da die Migration,
und zwar insbesondere die illegale Migration, weiter zunimmt, spürt die
AfD Rückenwind. In den vergangenen zehn Jahren wurden in der
Bundesrepublik rund 860.000 illegale Einreisen registriert. Jede nicht
erfolgte Abschiebung und jede neuerliche Messerattacke zahlt auf das
AfD-Konto ein.
# Aufstiegsmoment 5: Die neue Anti-Kriegspartei
Die militärische Unterstützung
für die Ukraine ist in Deutschland hoch umstritten. Ausweislich aller
Umfragen ist die Bevölkerung bei jeder neuen Waffenlieferung gespalten.
Die anfängliche Sympathie für die überfallene Ukraine schlug schnell in
die Angst vor einer Eskalation des Konflikts mit Auswirkungen auch auf
den Wohlstand und die Sicherheit der Bundesrepublik um.
Die AfD, die erst kürzlich demonstrativ der Rede von Selenskyj im deutschen Bundestag fernblieb, konkurriert heute mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht um die Rolle als Anti-Kriegspartei. Alice Weidel sagte auf dem Parteitag, mit Blick auf die Diskussion um eine Wehrpflicht:
Diese Herren Ampelminister sollten endlich Verantwortung übernehmen und selbst an die Front gehen. Aber Hände weg von unseren Söhnen und Vätern.
Fazit: Die
nach 2015 entstandenen Repräsentationslücke im Parteienstaat ist das
Gestüt, in dem die AfD ihre Pferde sattelt. Wer die sachlichen Gründe
ihres Entstehens lediglich rhetorisch bekämpft, hält für Alice Weidel
nicht das Stoppschild in der Hand, sondern den Steigbügel.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen