Die Subversion durch die Autokraten
1945 als Nachfolgeorganisation des Völkerbundes gegründet, sollte die Uno Frieden und Sicherheit auf der Welt wahren und fördern sowie die Menschenrechte weltweit stärken. Dass die Welt ohne Uno ein besserer Ort wäre, darf bezweifelt werden. Aber klar ist auch, dass die Vereinten Nationen bei ihrem Kernauftrag vielfach versagt haben. In Rwanda und Bosnien haben Uno-Blauhelme die Massenmorde sozusagen beaufsichtigt, ohne einzuschreiten. Im Falle des Kriegs in Syrien blieb der Uno-Sicherheitsrat untätig, daran änderten auch der Einsatz von Giftgas durch das Asad-Regime, über eine halbe Million Tote und eine globale Flüchtlingskrise nichts.
Die Uno spielt sich als Hüterin der Moral auf, was sie nicht ist. Eher ist sie der Spiegel eines Weltgeists, der alles andere als sympathisch ist. Das Kräfteverhältnis innerhalb der Weltorganisation hat sich seit der Gründung von demokratischen und westlichen Ländern hin zu autokratisch regierten Ländern verschoben. Diese sehen im Gründungsmythos der Uno primär eine neokolonialistische Idee. Anstatt diese einfach zu bekämpfen, gehen sie subversiver vor: Sie engagieren sich in der Uno, spielen das Spiel des Westens mit und pervertieren so die Ideale, denen sich die Vereinten Nationen verschrieben haben.
Uno-Spezialisten für Menschenrechte
2024 hat Saudiarabien den Vorsitz der Uno-Kommission zur Rechtsstellung der Frau übernommen, 2023 ist ein Iraner Vorsitzender des Sozialforums für Menschenrechte geworden. Staaten also, die sich auf die Unterdrückung von Frauen und die Jagd auf Regimegegner spezialisiert haben, nutzen die Uno, um sich wie Wohltätigkeitsorganisationen zu inszenieren. Gleichzeitig sorgen sie dafür, dass die Einhaltung der Menschenrechte weiterhin hintertrieben wird. Vor kurzem schafften es die Taliban, mit der Uno in Doha Verhandlungen aufzunehmen und dabei Frauen und Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft auszuschliessen. Die Uno hat die Bedingungen der Islamisten akzeptiert.
Für die Verirrungen der Uno nur die autokratischen Länder verantwortlich zu machen, wäre falsch. Sie bekommen Unterstützung vom Westen. António Guterres, der portugiesische Generalsekretär der Vereinten Nationen, verkörpert die moralisch korrumpierte Organisation ganz gut. Zum Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi hat er nicht nur dessen Familie und dem Regime sein Beileid ausgesprochen, sondern auch «dem Volk der Islamischen Republik». Die grosse iranische Opposition konnte dies nur als Zynismus verstehen – Raisi, auch unter dem Namen «Schlächter von Teheran» bekannt, wurden zahlreiche Menschenrechtsverbrechen zur Last gelegt. Zu Recht fragte der Botschafter Israels bei den Vereinten Nationen: «Was kommt als Nächstes? Eine Schweigeminute zum Jahrestag von Hitlers Tod?»
Die Israeli haben ohnehin viel Grund, sich über die Uno zu beklagen, ihr Staat ist eine Obsession der Weltorganisation. Wer sich von Jerusalem als Uno-Botschafter nach New York entsenden lässt, muss schon fast masochistisch veranlagt sein, will er an seinem Job auch noch Freude haben.
Uno erklärt Israel zum rassistischen Staat
Guterres ist gerade im Falle Israels besonders meinungsstark. Die Tötung von Zivilisten im Gaza-Krieg bezeichnete er als «beispiellos», als habe es in Syrien, Jemen und Afghanistan nicht ein Vielfaches an Toten gegeben. Zum Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober sagte er, dass dieser zwar durch nichts zu rechtfertigen sei, aber auch nicht «in einem luftleeren Raum» geschehen sei, denn die Palästinenser lebten seit 56 Jahren unter einer «erstickenden Besetzung». Mit diesem Erklärungsrahmen arbeitete er sogleich an der Entlastung der Hamas.
In der Uno trifft das schlechte Gewissen des Westens auf die Rache der Dritten und der arabischen Welt – und der Verlierer ist Israel. Die Idee, dass der jüdische Staat kolonialistisch und rassistisch sein soll, ist nicht eine neue Idee einer progressiven globalen Linken. In der Uno hat diese Theorie eine lange Tradition. Spätestens seit dem Sechstagekrieg von 1967 sind die Vereinten Nationen ein Forum für Israelhass. Kein anderes Land wird in unzähligen Resolutionen so häufig kritisiert. Mögen die Russen, Nordkoreaner, Syrer und Iraner Menschenrechte verletzen, wie sie wollen, in der Uno spricht man lieber über Israel.
Am 10. November 1975 verabschiedete die Uno die berühmte Resolution 3379 und stellte – mit 72 Ja-Stimmen, 35 Nein-Stimmen und bei 32 Enthaltungen – fest, «dass der Zionismus eine Form des Rassismus und der rassistischen Diskriminierung ist». Damit legte die Weltorganisation fest, dass der jüdische Staat auf einer rassistischen Idee basiere. Augenzeugen berichten, wie sich die Menschen in der Uno damals umarmt haben, als hätten sie den Sieg ihres Lebens errungen. Der amerikanische Uno-Botschafter Daniel Patrick Moynihan mahnte, die Uno befinde sich mit diesem Entscheid in einer «orwellschen Welt», die man schnellstens verlassen solle. Israels Botschafter Herzog erinnerte daran, dass die Vereinten Nationen als «Anti-Nazi-Allianz» begonnen hätten und nun auf dem Weg seien, zum «Weltzentrum des Antisemitismus» zu werden.
1991 und damit nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die Resolution zwar widerrufen, aber der Geist der Uno wandelte sich nicht grundlegend. Israel steht im Kampf der Systeme im Mittelpunkt, und als demokratischer Staat in einer autokratischen Wüste.
Jede Verhältnismäßigkeit verloren
Im März 2015 wurde an der Jahressitzung der Frauenrechtskommission eine Resolution mit folgendem Passus festgehalten: «Die israelische Besatzung bleibt das Haupthindernis für palästinensische Frauen, was ihre Fortschritte, ihre Eigenständigkeit und ihre Integration in die Entwicklung der Gesellschaft betrifft.» Israel war 2015 der einzige Staat, der wegen der Verletzung von Frauenrechten in einer Resolution verurteilt wurde. Dass in Pakistan 90 Prozent der Frauen von ihren Ehemännern häusliche Gewalt erleben, war kein Thema. Dass im Sudan 88 Prozent der Frauen eine Genitalverstümmelung über sich ergehen lassen mussten und in Afghanistan vier von fünf Frauen zwangsverheiratet werden, interessierte nicht, wie Alex Feuerherdt und Florian Markl in ihrem Buch «Vereinte Nationen gegen Israel» festhalten. Und dass die Hamas nicht gerade ein Verein für die Förderung der Selbstbestimmung muslimischer Frauen ist, hielt man ebenfalls nicht fest.
Gemäss der Uno ist der Staat Israel das ewige Problem – das oft auch an allem schuld ist. Gegen die Resolution der Frauenrechtskommission stimmten einzig Amerika und Israel, die EU-Mitglieder haben sich enthalten. Dies zeigt, wie konsensfähig die Anti-Israel-Politik in der Uno geworden ist und wie sie jeden Sinn für Verhältnismässigkeit verloren hat. Und dies schon seit Jahrzehnten, lange bevor Benjamin Netanyahu nach dem 7. Oktober 2023 eine umstrittene, opferreiche Offensive gegen Gaza gestartet hat.
Manche Staaten wie Iran sind offen antisemitisch, andere Autokratien nutzen Israel einfach als Blitzableiter: Indem sie permanent auf Israels angebliche und tatsächliche Verstösse hinweisen, lenken sie von ihren eigenen Missständen ab.
Die Umkehrung des Vernichtungswunsches
Im humanitären Bereich – im Kampf gegen Kindersterblichkeit, Viren und gegen Hunger – leistet die Weltorganisation wichtige Arbeit. Allerdings verwickelt sich die Organisation auch hier in politische Probleme. Das Palästinenserhilfswerk UNRWA versorgte die notleidende Zivilbevölkerung bisher nicht nur mit Nahrung, sondern auch mit Schulbüchern, die den Jihad verherrlichen und in denen Israel auf der Landkarte nicht vorkommt.
Das heißt, die Uno finanzierte antisemitisches Schulmaterial, das dem Ziel dient, die palästinensische Zivilbevölkerung auf die Auslöschung Israels einzuschwören. Gleichzeitig halten sich führende Uno-Funktionäre wie Francesca Albanese, die Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in den palästinensischen Gebieten, nicht zurück, den Israeli einen «Völkermord» vorzuwerfen und Holocaustvergleiche zu machen. Anstatt die Hamas für ihren Vernichtungswunsch zu kritisieren, unterstellt man diesen einfach den Israeli.
Wer dieser Organisation beitritt, könnte auf festliche Alphornklänge eigentlich gut verzichten. Da nun aber sogar die neutrale Schweiz Teil dieser Welt ist, ergibt es auch Sinn, dass sie bei der Uno dabei ist. Zum einen kann sie sich kritisch einbringen: Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis hat dies immerhin im Falle der UNRWA getan, als er diese als «Teil des Problems» bezeichnete und in der Schweiz eine Diskussion über die finanzielle Unterstützung der UNRWA auslöste. Zum anderen braucht die Welt generell ein Forum, in dem sich Diplomaten ungeachtet der politischen Form ihrer Staaten austauschen. Das Relevante ist das Unsichtbare, sind die Gesprächskanäle. Die moralischen Verlautbarungen der Uno hingegen sind oft hochmanipulativ, nicht selten beleidigen sie den humanistischen Gründungsgedanken der eigenen Organisation.
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