Gabor Steingart, Montag, 22.07.2024
Es war die größte Ehre meines Lebens, Ihr Präsident zu sein. Und obwohl es meine Absicht war, mich um eine Wiederwahl zu bemühen, glaube ich, dass es im besten Interesse meiner Partei und des Landes ist, wenn ich mich zurückziehe und mich ausschließlich auf die Erfüllung meiner Aufgaben als Präsident für die verbleibende Zeit konzentriere.
Damit ist Donald Trump der zurzeit einzige Bewerber. Seine Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social schrieb Trump:
Der korrupte Joe Biden war nicht in der Lage, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, und er ist sicherlich nicht in der Lage, das Amt zu bekleiden – und war es auch nie! Er erlangte das Amt des Präsidenten nur durch Lügen, Fake News und indem er seinen Keller nicht verließ. Alle um ihn herum, einschließlich seines Arztes und der Medien, wussten, dass er nicht in der Lage war, Präsident zu sein.
Die Aufarbeitung der politischen Hintergründe dieses überfälligen, aber dennoch dramatischen Schrittes wird viele Wochen in Anspruch nehmen. Biden, Obama, die Clintons, aber auch Nancy Pelosi, Chuck Schumer und schließlich die Biden-Familie werden sich erklären müssen. Auch, wie es dazu kam, dass die Partei sich anschickte, einen schwer angeschlagenen Mann zu nominieren – ohne jeden Gegenkandidaten.
Ein Verlierer dieser Ereignisse steht heute Morgen schon fest: Es sind jene Medien, die Berichte über die mentale Schwäche von Joe Biden als Verschwörungstheorie abtaten, ihre Erkenntnisse über den angeschlagenen Gesundheitszustand verheimlicht hatten und sie, als dieser nicht mehr zu verheimlichen war, verharmlosten.
In den US-Medien hat die Aufarbeitung der schön gefärbten Berichterstattung über den Gesundheitszustand des Präsidenten begonnen. Olivia Nuzzi, Washingtoner Korrespondentin des New York Magazine, berichtet unter der Überschrift „Die Verschwörung des Schweigens zum Schutz von Joe Biden“, dass ihr bereits seit sechs Monaten Menschen mit direktem Zugang zu Joe Biden von den mentalen Schwierigkeiten des Präsidenten erzählt hätten:Diejenigen, die dem Präsidenten in sozialer Umgebung begegneten, verließen ihn manchmal verstört. Langjährige Freunde der Familie Biden, die mit mir unter der Bedingung der Anonymität sprachen, waren schockiert, als sie feststellten, dass der Präsident sich nicht an ihre Namen erinnerte.
Und weiter:
Andere erzählten mir, dass es immer schwieriger wurde, den Präsidenten zu erreichen, selbst wenn es um offizielle Regierungsangelegenheiten ging, die Art von Dingen, über die jeder US-Präsident regelmäßig mit hochrangigen Beamten in der ganzen Welt kommunizieren würde. Stattdessen wurde Biden von immer mehr Schichten der Bürokratie eingeschlossen und es wurde mehr für ihn gesprochen als mit ihm gesprochen.
Auch innerhalb der New York Times und der Washington Post fragt man sich nun, ob man nicht früher, ausführlicher und vor allem unparteiisch über den Präsidenten und seinen Gesundheitszustand hätte berichten müssen. In Wahrheit erfuhr das Publikum erst in der 90-minütigen Präsidentschaftsdebatte, wie es um Biden wirklich steht.
Dafür brauchte man dann keine hochbezahlten White House
Correspondents mehr, nur die eigenen Sinne. Es war, als ob jemand den
Vorhang weggerissen hätte. Der Präsident, der eben noch als alt, aber
weise, als gemächlich, aber gesund, charakterisiert wurde, stolperte vor
den Augen von rund 51 Millionen Zuschauern durch das Labyrinth seiner
Erinnerungsfetzen. Namen und Sachverhalte gerieten ihm durcheinander.
Sätze endeten im Nichts. Das Gesicht wirkte wie festgefroren.
Die Nachrichtenagentur Associated Press fragt nun: „Haben die Medien eine Geschichte versäumt, die direkt vor ihren Füßen lag?“ Die einstige Chefredakteurin der New York Times, Jill Abramson, antwortete de facto mit: Ja. Sie sagt, auch wenn dies eine „sehr schwierige Berichterstattung“ gewesen wäre: „Sie hätte stattfinden müssen.“ Die Medien hätten ihre Pflicht nicht erfüllt:
Es ist klar, dass die besten Nachrichtenreporter in Washington bei der ersten Aufgabe des Journalismus versagt haben: die Macht zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist unsere Pflicht, die Nebelwände des Weißen Hauses zu durchdringen und die Wahrheit herauszufinden. Dem Weißen Haus von Biden ist es eindeutig gelungen, das Ausmaß der Schwäche des Präsidenten und seinen ernsthaften körperlichen Verfall zu vertuschen. Es ist eine Schande für das Pressekorps des Weißen Hauses, dass es den Schleier der Geheimhaltung um den Präsidenten nicht gelüftet hat.
In Deutschland steht diese selbstkritische Überprüfung erst noch aus. Die FAZ sieht in ihrem heutigen Feuilleton die „US-Medien im Zwiespalt“ und schlagzeilt: „Das Biden-Dilemma“
Dabei herrschte eine Voreingenommenheit zugunsten des Demokraten im Weißen Haus keineswegs nur in den USA, sondern auch in den hiesigen Medien. Als der US-Sonderermittler Robert Hur am 05.02.2024 (er sollte das Verschwinden von Dienstakten aus dem Oval Office aufklären) in seinem Abschlussbericht vermerkte, Joe Bidens Erinnerung während der Befragung sei „signifikant eingeschränkt“ und „verschwommen“ und die Gespräche mit ihm seien „oft quälend langsam“ verlaufen, wurde das von den meisten deutschen Medien als parteiisch abgetan.In der ARD zum Beispiel hieß es unter der Überschrift „Mein Gedächtnis ist in Ordnung“, dass es hier vor allem um Wahlkampftaktik gehe: „Anders als bei Biden scheint Trump sein hohes Alter im Wahlkampf bislang nicht zu schaden.“
Der Spiegel stellt den Sonderermittler Hur (der von der Biden-Regierung selbst ausgewählt wurde) als Trump-Günstling dar und sprach von der „angeblichen Vergesslichkeit und Verwirrtheit“. Man sorgte sich nicht über den Sachverhalt selbst, sondern darüber, dass eine „Diskussion über seine geistige Verfassung Bidens Wiederwahl gefährden kann“.
Der Journalist Pascal Siggelkow, der im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als „ARD-faktenfinder“ bezeichnet wird und immer dann auf den Plan tritt, wenn es darum geht, Verschwörungstheorien zu entlarven, schrieb am 22.06.:
,Unangenehm‘, ,verwirrt‘, ,dement‘: Mit diesen Schlagwörtern werden im Netz immer wieder neue Videoschnipsel hochgeladen, die die mentale Gesundheit von US-Präsident Joe Biden infrage stellen.
Hier sei ein
„ganzes Netzwerk an lokalen Nachrichten-Websites“ am Werke, die, so der
ARD-faktenfinder, „dieses Narrativ über US-Präsident Biden gezielt
streuen “. Das Ganze diene nicht der Wahrheitsfindung, sondern erfolge
in der Absicht, „eine deutliche Verschiebung nach rechts“ zu bewirken.
Wenn der Faktenfinder zum Faktenverwirrer wird, hat der Surrealismus die
Sendezentrale gestürmt.
Fazit: Die Glaubwürdigkeit der freien Presse, die sich in den vergangenen Monaten darauf konzentrierte, Trump zu bekämpfen und Biden zu schonen, hat erneut Schaden genommen. Bidens Gesundheitszustand war eine politische und keine private Angelegenheit. Der Ratschlag des ehemaligen TV-Journalisten und Washington-Korrespondenten Hanns Joachim Friedrichs gehört heute Morgen über jeden Redaktionsschreibtisch:
Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache.
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