24 Juli 2024

Das Compact-Verbot und die Pressefreiheit - Maßlose Maßnahme (Cicero)

Das Compact-Verbot und die Pressefreiheit
- Maßlose Maßnahme (Cicero)
Das Grundgesetz schützt auch extreme Meinungen. Verfassungsrechtlich ist es daher fast unmöglich, eine Zeitschrift wie „Compact“ zu verbieten. Also nutzt Nancy Faeser einen Trick: Sie hebelt die Pressefreiheit durch das Vereinsgesetz aus. Juristisch ist das völlig unzulässig.
VON VOLKER BOEHME-NESSLER am 17. Juli 2024,  7 min
Es sind verstörende Bilder. Dutzende Polizisten mit Sturmhauben stehen am frühen Morgen vor einem Haus. Im Eingang steht ein älterer Mann im Bademantel, der offensichtlich aus dem Schlaf gerissen wurde. Wird hier eine Terrorzelle ausgehoben oder ein Schwerkrimineller verhaftet? Keineswegs. Die Innenministerin hat eine politische Zeitschrift verboten. Die Polizei setzt dieses Verbot in die Praxis um. Natürlich kennt man so etwas – aber aus autoritären Staaten oder Diktaturen. Dient das dem Schutz der Demokratie, wie die Ministerin behauptet? Oder ist es eine rechtswidrige, maßlose Maßnahme einer Innenministerin, die ihren freiheitlichen und rechtsstaatlichen Kompass verloren hat?Die Zeitschrift, die verboten wird, heißt Compact-Magazin für Souveränität. Sie erscheint monatlich in einer gedruckten Auflage von etwa 40.000. Der Chefredakteur ist Jürgen Elsässer, ein prominenter Kopf der Neuen Rechten. Compact ist eindeutig regierungskritisch, in Teilen möglicherweise sogar systemkritisch. Seit Dezember 2021 stuft der Verfassungsschutz das Magazin als gesichert rechtsextremistisch ein. Manche Inhalte der Zeitschrift seien eindeutig völkisch-nationalistisch oder minderheitenfeindlich. Vor allem ist Compact aber regierungskritisch mit großer Reichweite. Wir beobachten also, dass die Regierung einen Kritiker mit staatlicher Gewalt mundtot macht.

Ohne Freiheit keine Demokratie

Zur Demokratie, wie sie das Grundgesetz konzipiert, gehört Unruhe. Die Verfassung will Debatten, eine dauernde geistige Auseinandersetzung zu den entscheidenden Fragen der Zeit und den politischen Problemen, die den Bürgern auf den Nägeln brennen. Das ist die Essenz von Demokratie. Dadurch lebt die Demokratie. Erst diese produktive Unruhe führt zu Ideen und Lösungen, die Gesellschaft und Staat weiterbringen. Das Grundgesetz möchte keine Gesellschaft, in der es eine herrschende Meinung gibt, die alle Bürger nachbeten (müssen). Ganz im Gegenteil: In der Demokratie muss der Mainstream immer wieder herausgefordert werden. Das ist der Kern der Demokratie. Es darf in der Demokratie des Grundgesetzes deshalb nicht sein, dass Bürger, die vom Mainstream abweichen, diffamiert, stigmatisiert und eingeschüchtert werden.

Die Verfassung tut, was sie kann, um diese Vorstellung von Demokratie zu fördern. Sie garantiert die Meinungs- und Pressefreiheit als Grundrechte, als felsenfeste rechtliche Grundlage für die notwendige Unruhe in der demokratischen Gesellschaft. Und sie garantiert sie extrem großzügig. Nicht nur vernünftige, gut begründete und wertvolle Äußerungen werden von den Grundrechten geschützt. Der Grundrechtsschutz durch die Verfassung erstreckt sich gerade auch auf emotionale, hysterische, unsinnige, wertlose Meinungen. Sogar gefährliche Meinungen und Medienartikel sind von der Meinungs- und Pressefreiheit geschützt. 

Das Bundesverfassungsgericht hat 2009 in seiner „Wunsiedel“-Entscheidung betont, dass sogar die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts grundsätzlich von der Verfassung geschützt wird. Die freie geistige Auseinandersetzung ist die wirksamste Waffe gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien. Kurz: Ohne Meinungs- und Pressefreiheit gibt es keine Demokratie. So einfach ist das. Nicht umsonst betont das Bundesverfassungsgericht immer wieder: Eine freie, nicht vom Staat kontrollierte und gelenkte Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates. Sie ist für eine Demokratie unentbehrlich. Punkt.

Die Kraft der Freiheit

1950/51 gründeten Alt-Nazis die Deutsche Soldaten-Zeitung. Der rechtsradikale Verleger Gerhard Frey, der spätere Gründer und langjährige Vorsitzende der rechtsextremistischen Partei Deutsche Volksunion (DVU), übernahm sie 1960. Bis 2019 erschien sie als Wochenzeitung unter ihrem späteren Namen Deutsche National-Zeitung weiter. Sie war ein rechtsextremistisches Propagandablatt mit – man kann es nicht anders sagen – widerlichen Inhalten. Ein echtes Drecksblatt. Trotzdem gab es keine Initiativen, diese Zeitung zu verbieten. Und das war typisch freiheitliche Demokratie. Das schadete der Demokratie nicht. Die Zeitung wurde von wenigen Rechtsextremisten gelesen. Der demokratische Diskurs ging über sie hinweg. Die Zivilgesellschaft hat das Problem auf demokratische Weise gelöst.

Höchste Hürden – Medienverbote und Grundgesetz

Trotz ihrer Bedeutung hat auch die Pressefreiheit Grenzen. Völlig grenzenlose Freiheit kennt das Grundgesetz nicht. Die Presse muss etwa die Strafgesetze oder die Regeln zum Jugendschutz beachten. Journalisten, die strafbare Inhalte verbreiten, müssen natürlich mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Aber das Verbot einer Publikation insgesamt ist fast undenkbar.

Weil die Pressefreiheit so extrem umfassend geschützt ist, ist es verfassungsrechtlich sehr schwer, fast unmöglich, sie einzuschränken. Wenn Presseorgane verboten werden (sollen), muss eine ganz akribische Abwägung aller konkreten Umstände und eine unbestechliche Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfinden. Dabei muss die überragende Bedeutung der Presse für die Demokratie beachtet werden. Sind die Gefahren, die von einer Zeitung oder Zeitschrift für die Verfassungsordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland ausgehen, so groß, dass die Publikation zwingend verboten werden muss? Gibt es keine anderen, milderen Mittel, um die Gefahren abzuwenden? Reicht nicht in extremen Fällen die Beschlagnahme einer einzelnen Ausgabe oder das strafrechtliche Vorgehen gegen einzelne Redakteure? Das müsste schon eine Publikation sein, die permanent zum Bürgerkrieg aufruft und konkrete Tipps gibt, wie man die Regierung gewaltsam stürzt. Man muss die Zeitschrift Compact nicht mögen, aber von solchen Inhalten ist sie weit entfernt.

Dünnes Eis – Die Begründung von Nancy Faeser

Die Begründung, die Faeser für ihr Verbot liefert, ist dünn. Faeser betont die große Reichweite des Magazins. Sie verweist auf antisemitische, rassistische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte der Publikationen. Compact propagiere – so die Sicht von Faeser – ein völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept, das „ethnisch Fremde“ aus dem Staatsvolk ausschließen wolle. Besonders kritisiert sie, dass sich das Magazin dabei einer Widerstands- und Revolutionsrhetorik bediene und gezielte Grenzüberschreitungen und verzerrende und manipulative Darstellungen benutze. Es bestehe die Gefahr, dass Rezipienten der Compact-Medienprodukte zu Handlungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung animiert würden.

Das sind ihre Einschätzungen. Nähere Begründungen dafür liefert sie nicht. Selbst wenn ihre Einschätzungen zutreffen sollten, reicht das – natürlich – nicht, um ein Presseorgan zu verbieten. Die Pressefreiheit schützt systemkritische Meinungen und totalitäre Ideologien genauso wie Meinungen, die gefährlich sein könnten. Das hat das Verfassungsgericht nicht nur einmal klargestellt. Wie kann sie auf einer solch dünnen Tatsachengrundlage die Pressefreiheit verletzen? Faeser greift zu einem juristischen Trick.

Böser Trick

Innenministerin Faeser spart sich die Abwägung mit der Pressefreiheit, indem sie die Redaktion und den Verlag von Compact kurzerhand als Verein definiert. Einen Verein zu verbieten, ist rechtlich nicht so schwierig. Vereine sind von der Verfassung weniger stark geschützt als Presseorgane. Deshalb stützt sie ihr Verbot auf das Vereinsgesetz. Sie verbietet den angeblichen Verein Compact, der in Wirklichkeit aber ein Medienhaus ist. Durch das Vereinsverbot ist automatisch alles verboten, was mit dem „Verein“ zusammenhängt, also auch das gedruckte Magazin und die digitalen Medienprodukte. Das ist – man muss es so deutlich sagen – ein böser Trick: Sie hebelt die Pressefreiheit durch das Vereinsgesetz aus.

Natürlich ist das juristisch völlig unzulässig. Elementare Grundrechte der Verfassung können nicht durch einfache – „normale“ – Gesetze wie das Vereinsgesetz außer Kraft gesetzt werden. Die Verfassung geht vor. Das ist das, was Verfassungsjuristen die Normenhierarchie nennen.

Respekt vor den Grundrechten

Was sich immer klarer zeigt: Nancy Faeser hat keinen echten tiefen Respekt vor den Grundrechten. Sie akzeptiert nicht, was Meinungs- und Pressefreiheit bedeuten. Sie setzt alle Hebel in Bewegung, um Meinungen, die ihr nicht passen, zu bekämpfen. Sie drückt ihnen das Etikett „rechtsextrem“ auf und inszeniert sich als die tapfere Kämpferin gegen Rechtsextremismus und Rassismus, gegen Hass und Hetze. In Wirklichkeit geht es ihr um den politischen Machterhalt um jeden Preis. Dass sie dabei Grundrechte verletzt, ist ihr egal. Das ist autoritär und zutiefst undemokratisch. Demokraten akzeptieren auch Meinungen, die sie inhaltlich ablehnen. Sie bekämpfen sie geistig – mit Nachdenken, Reden, Argumentieren. Es sind Autokraten und Diktatoren, die Meinungen mit staatlicher Macht unterdrücken. 

Als Innenministerin, die auch für den Schutz der Verfassung zuständig ist, ist Nancy Faeser völlig untragbar. Wenn sie im Amt bleibt, sagt das viel aus – über die Regierung und die Politik und ihren mangelnden Respekt vor der Verfassung, vor der Freiheit und vor der Demokratie.

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