Samstag, 27.07.2024
Es wäre von einem Anschlag auf die Pressefreiheit die Rede, der an finsterste Zeiten erinnere. Überall fänden sich flammende Leitartikel, die Solidarität mit den bedrängten Kollegen forderten – auch in Medien, die keinerlei Sympathie für das politische Programm der „taz“ hegen.Vor anderthalb Wochen hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser zum Schlag gegen die rechtsextreme Zeitschrift „Compact“ ausgeholt. Sie hat die Redaktionsräume von einer Hundertschaft Polizei durchsuchen lassen. Der Chefredakteur wurde in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett geklingelt und im Bademantel den Kamerateams vorgeführt, die am Gartenzaun warteten. Anschließend ließ die Ministerin die Konten beschlagnahmen und alles, was nicht niet- und nagelfest war, abtransportieren – Computer, Schreibtische, sogar Bürostühle.
Presserecht ist Ländersache
Genau genommen hatte die
Innenministerin gar nicht das Recht dazu. Presserecht ist Ländersache.
Presseerzeugnisse unterliegen außerdem einem besonderen Schutz, das gilt
auch für Zeitschriften, die wie „Compact“ antisemitische
Verschwörungstheorien verbreiten. Die Obrigkeit kann gegen einzelne
Ausgaben vorgehen, indem sie die Auslieferung stoppt oder die Schwärzung
bestimmter Passagen verlangt. Das Verbot eines Presseorgans ist im
Presserecht nicht vorgesehen.
Aber weil sie nun einmal beweisen
wollte, wie knallhart sie sein kann, bediente sich Nancy Faeser eines
Tricks: Sie stülpte das Vereinsrecht dem Presserecht über, indem sie
offiziell gegen die Gesellschaft hinter der Zeitschrift vorging. Wobei,
selbst hier musste sie sich die Dinge zurechtbiegen. Hinter „Compact“
steht gar kein Verein, sondern eine GmbH. Wie heißt es so schön: legal,
illegal, scheißegal. Der alte Sponti-Spruch zieht noch immer, wie man
sieht.
Was reitet Frau Faeser, weshalb dieses Veto?
Die „taz“
ist nicht „Compact“. Darauf können wir uns sofort einigen. Die „taz“
ruft weder zum Sturz des Systems auf, noch verbreitet sie politische
Wahnvorstellungen. Aber ob eine Innenministerin der AfD das auch so
sehen würde? Das ist ja das Tückische, wenn man es als Demokrat mit
Recht und Gesetz nicht so genau nimmt: Die von der Gegenseite merken
sich das. Präzedenzfälle schaffen ein Vorbild, dem dann auch Leute
nacheifern können, die noch viel weiter zu gehen bereit sind als man
selbst. Das ist die Nebenwirkung des Präzedenzfalls.
Was reitet
Frau Faeser, weshalb dieses Verbot? Niemand kann annehmen, dass eine
Zeitschrift, deren Auflage bei 40.000 Exemplaren liegt, so
staatsgefährdend ist, dass man sie aus dem Verkehr ziehen muss. In
Wahrheit ist der Adressat der Aktion auch nicht so sehr die rechte
Szene, es ist vielmehr die eigene Anhängerschaft.
Wenn es noch so
etwas wie einen Kitt gibt, der die Sozialdemokraten zusammenhält, dann
der Kampf gegen Rechts. Dem wird alles untergeordnet, auch die
Verfassung. Woran man sieht: Eine große Partei, die den Abgrund vor
Augen hat, kann mindestens so gefährlich sein wie eine Splitterpartei,
die plötzlich zu viel Macht bekommt.
Es heißt jetzt, der
Chefredakteur könne ja gegen die Entscheidung der Ministerin klagen.
Nach Lage der Dinge stehen seine Chancen, vor Gericht recht zu behalten,
nicht schlecht. Aber was nützt ihm das? Auch so kann man ein
Presseorgan erledigen: Man macht den Laden einfach dicht und verweist
auf den Rechtsweg. Wenn die Gerichte dann Monate später zu einer
Entscheidung kommen, ist nichts mehr übrig, was zu retten sich lohnen
würde.
Der Nachteil der Meinungsfreiheit
Als Franz Josef
Strauß den „Spiegel“ zu erledigen versuchte, indem er die Chefredaktion
wegsperren ließ, war genau das die Frage: Kann man weiter ausliefern
oder nicht? Dass nicht eine Ausgabe in der Druckerei hängen blieb,
sicherte dem Blatt das Überleben.
Schon eine verpasste Nummer
hätte einen existenzgefährdenden Zahlungsausfall bedeutet, ein
zeitweiliger Stillstand der Druckpressen das Aus. Auch das lässt sich
auf das „taz“-Beispiel übertragen: Egal wie die Beleglage ist, durch ein
Verbot schafft man Tatsachen, die anschließend kein Gericht mehr
rückgängig machen kann.
Der Nachteil der Meinungsfreiheit ist,
dass sie auch Leute für sich in Anspruch nehmen, deren Meinung man
abscheulich findet. Ist „Compact“ ein Drecksblatt? Das ist es. Muss man
an der Zurechnungsfähigkeit seiner Redakteure zweifeln? Man muss,
unbedingt. Aber auch falsche, hetzerische und sogar offen feindselige
Aussagen sind von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das
Bundesverfassungsgericht ging in einer Grundsatzentscheidung sogar so
weit, selbst für die Verbreitung rechtsradikalen oder
nationalsozialistischen Gedankenguts ein allgemeines Verbot
auszuschließen.
Welcher Stellenwert der Pressefreiheit zukommt,
kann man auch daran sehen, dass Journalisten mit dem
Zeugnisverweigerungsrecht ein Privileg eingeräumt wird, das ansonsten
nur Ärzten, Anwälten und Geistlichen zusteht.
Frau Faeser setzt sich als Verfassungsschützerin in Szene
Wer
sich Journalisten anvertraut, soll sicher sein können, dass sein Name
nicht bekannt wird. Das Redaktionsgeheimnis ist so etwas wie der Heilige
Gral des Journalismus. Jeder Versuch, daran zu rühren, stieß bislang
auf erbitterten Widerstand.
Und nun? Nun wurde bei der
Durchsuchung der Räume der „Compact“-Redaktion auch dieses Geheimnis
ausgehebelt. Das Vereinsrecht ist ein wunderbares Instrument, um alles
zu schleifen, was eben noch als sakrosankt galt. Wäre ich Anwalt oder
Arzt würde ich mir darüber Gedanken machen, ob ich wichtige Akten nicht
beizeiten in Sicherheit bringen sollte.
Dass die Ministerin ein
gesichert autoritäres Staatsverständnis hat, wie es im
Verfassungsschutzdeutsch heißen würde, zeigt auch ein anderes Detail.
Immer, wenn sich Frau Faeser als Verfassungsschützerin in Szene setzt,
ist ein Pulk von Fotografen und Kameraleuten vor Ort, um Livebilder vom
Geschehen zu liefern. Das war so bei der angeblich streng geheimen
Razzia gegen den Reichsbürger-Prinzen und seine Mitstreiter, so war es
jetzt auch beim morgendlichen Besuch beim „Compact“-Chef.
Frau Faeser kann sich rühmen
„Perp
Walk“ nennt man in den USA die öffentliche Vorführung des Verdächtigen.
Es ist eine Prozedur, die allein dem Zweck der Demütigung des
Beschuldigten dient. Auf dem Weg vom Gerichtssaal zum Auto wird der
Presse Gelegenheit gegeben, den Verdächtigen abzulichten. Da die
wenigstens Menschen vorteilhaft aussehen, wenn sie Handschellen tragen
oder anderweitig in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind,
entstehen in der Regel Bilder zu ihrem Nachteil. Genau das ist
intendiert.
Was immer am Ende von ihren Entscheidungen übrig
bleiben wird: Frau Faeser kann sich rühmen, den Perp Walk in Deutschland
verankert zu haben. Dieses Verdienst bleibt. Selbstverständlich kann
sich auch die Ministerin nicht erklären, weshalb die Fotografen jedes
Mal rechtzeitig ihre Stative in Position gebracht haben, wenn die
Polizei auftaucht. Entsprechende Anfragen an das Ministerium wurden
dahin gehend beantwortet, man stehe ebenfalls vor einem Rätsel.
Woran
man sieht: Es sind nicht nur die besonders Schlauen und Gewieften, vor
denen man sich in Acht nehmen muss, sondern mitunter auch die Biederen
und Einfältigen. Oh Gott, habe ich etwa gerade über die Innenministerin
gesagt, dass ich sie nicht für die hellste Kerze auf der Torte halte?
Ich nehme das sofort zurück! Nicht dass morgens um sechs Uhr in der Früh
meine beiden Chefredakteure aus dem Bett geklingelt werden, um sie
wegen Herabwürdigung des Staates und ihrer Repräsentanten zu belangen.
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