28 Juli 2024

Kommentar - Die Klage von «Compact» entscheidet über Nancy Faesers Zukunft (NZZ)

Kommentar
Die Klage von «Compact» entscheidet über Nancy Faesers Zukunft (NZZ)
Das rechtsextreme Magazin zieht vor das Bundesverwaltungsgericht. Sollte das von Faeser ausgesprochene Verbot keinen Bestand haben, müsste die Sozialdemokratin zurücktreten. Eine Innenministerin darf keine Kämpferin gegen die Meinungsfreiheit sein.
Alexander Kissler, Berlin, 25.07.2024, 3 Min.
Am Morgen des 16. Juli verkündete die deutsche Innenministerin Nancy Faeser, sie habe «das rechtsextremistische ‹Compact-Magazin verboten». Insgesamt waren 339 Beamte im Einsatz. Sie durchsuchten vierzehn Objekte in vier Bundesländern.
Sowohl der Satz der Ministerin als auch die polizeiliche Aktion werfen Fragen auf, die nun ein Gericht beantworten muss. Durfte die SPD-Politikerin die Monatszeitschrift und deren digitale Formate verbieten? Und durfte sie für einen derart massiven Eingriff in die Pressefreiheit einen juristischen Umweg wählen?
Das Innenministerium erklärte die Compact-Magazin GmbH zum Verein und ging mit dem Vereinsrecht gegen sie vor. Das Bundesverwaltungsgericht wird jetzt nicht nur über einen Eilantrag und eine Klage der verbotenen GmbH entscheiden, sondern auch über die Zukunft von Nancy Faeser.

Für den schnellen Applaus

In der Verbotsverfügung des Innenministeriums heisst es: «Bei der Compact-Magazin GmbH handelt es sich um einen Verein, der sich gegen die verfassungsmässige Ordnung richtet. Er erfüllt daher die Voraussetzungen für ein Vereinsverbot.» Bis jetzt jedoch ist der Beweis nicht erbracht, dass das 2010 gegründete Magazin tatsächlich und konstant verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.

«Compact» agiert am äussersten rechten Rand, schreckt nicht vor verschwörungstheoretischen, geschichtsrevisionistischen, antisemitischen Erzählungen zurück. Doch ob daraus, wie von Faesers Behörde behauptet, «eine aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber der verfassungsmässigen Ordnung» folgt, hätten Gerichte klären können – vor dem unverhältnismässigen Einsatz in den frühen Morgenstunden.

Faesers Vorgehen war auf den schnellen Applaus derer gerichtet, denen beim «Kampf gegen rechts» jedes Mittel recht ist. Die Sozialdemokratin nahm mit dem juristisch riskanten, politisch törichten Verbot jede Menge Kollateralschäden in Kauf. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen den Eindruck haben, sie könnten ihre Meinung nicht mehr offen sagen, präsentierte sich der Staat als illiberaler Zwingherr, der oppositionellen Medien den Mund verbietet. Faeser kümmerte sich nicht um das Redaktionsgeheimnis, nicht um die Würde der Beschäftigten, als sie aus den Redaktionsräumen von «Compact» alles abtransportieren liess, was nicht niet- und nagelfest war.

Schräge Konzepte sind nicht verboten

Die Ministerin verkannte: Ein freiheitlicher Rechtsstaat verlangt keinem Bürger und keinem Journalisten Treueschwüre ab. Es ist nicht verboten, in der Demokratie mit der Demokratie zu fremdeln. Kommunisten dürfen die Einführung einer Räterepublik fordern, Monarchisten auf ein Königreich hoffen und Nationalisten einen homogenen Nationalstaat herbeisehnen.

Die Grundrechte sind Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat, nicht Benimmregeln für unbotmässige Untertanen. Genau diesen Eindruck hat Faeser durch den Verweis auf so schwammige Kategorien wie «Hetze» oder «geistige Brandstifter» erweckt: dass die Obrigkeit nach Art eines Fürsten genehme von unerlaubten Meinungen trennt.

Das von Faesers Behörde inkriminierte «völkisch-nationalistische Gesellschaftskonzept» allein rechtfertigt kein Verbot. Auch schräge, schlimme und falsche Konzepte stehen unter dem Schutz der Meinungsfreiheit. Die Grenze des Tolerablen ist da erreicht, wo aus der Ablehnung der bestehenden Ordnung der kämpferische Einsatz gegen diese wird. Papier ist geduldig, erst die Tat oder deren Planung macht den Extremisten.

Aufgrund der bisher dünnen Beweislage wirkt das Verbot von «Compact» wie eine Drohbotschaft auch an andere Medien, es mit der Regierungskritik nicht zu übertreiben. Faeser akzeptierte, dass ihr Ministerium wie in autoritären oder feudalen Regimen als Zensor erschien.

Sollte die Ministerin vor Gericht keine besseren Belege präsentieren können als die bisher bekannten Lektüreeindrücke und juristisch Schiffbruch erleiden, kann es nur eine Konsequenz geben: Sie müsste, sofern sie dann noch im Amt ist, zurücktreten.

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