War doch alles anders?
Vergleichbare Vorwürfe hat ungefähr zeitgleich auch ein weiterer Mandant Brenneckers erhoben – laut verschiedener Medienberichte ein Unternehmer, der nach eigener Auskunft gar nicht an dem Treffen teilgenommen habe und zudem, anders als im Text von Correctiv suggeriert, auch keine Spende an den rechtsextremen österreichischen Aktivisten Martin Sellner oder die Identitäre Bewegung, der Sellner angehört, veranlasst habe. Gibt es also inhaltliche Fehler in dem wie ein Drama verfassten Artikel, der bereits eine Woche später auf einer Berliner Theaterbühne zu sehen war? Von Correctiv heißt es hierzu auf Nachfrage lediglich, dass man die eigene Berichterstattung als richtig ansehe und sich entsprechend verteidigen werde.
Nun könnte man unter Rückgriff auf den juristischen Hausverstand meinen, die Zustellung einer Abmahnung sei ein gewiss nachvollziehbarer, aber auch allzu offensichtlicher Reflex, wenn man sich plötzlich und in aller Öffentlichkeit in einem Setting zusammen mit in Teilen durchaus fragwürdigen Gestalten wiederfindet – mitten an einem Ort zudem, der nach Art der Correctiv-Schilderung unangenehm nach Ranküne und Männerschweiß riecht.
Doch Fragen tauchen dieser Tage auch andernorts auf. Im Landhaus Adlon selbst etwa gibt der Jurist und Unternehmer Wilhelm Wilderink, seines Zeichens nach Eigentümer des 1926 errichteten Gästehauses im Norden von Potsdam und Mitglied im dortigen CDU-Kreisvorstand, Anfang Februar ein Interview, das selbst bei Menschen, die zu schneller Empörung neigen, schon allein wegen seiner Überschrift Interesse wecken sollte: „Was Correctiv geschildert hat, hat es so nie gegeben.“
Probleme mit verdeckter Recherche
Im bayerischen Weilheim wiederum veranlasst die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy eine Strafanzeige gegen Unbekannt. Laut eines Artikels in der Zeitung Die Welt, der der Originaltext von Huys Anzeige vorliegt, beruhe die gesamte Informationswiedergabe zu der Zusammenkunft im Gästehaus am Lehnitzsee, bei der auch Huy zugegen war, „ausschließlich auf strafbaren Handlungen“. Die Parlamentarierin wirft den Rechercheuren von Correctiv und Greenpeace vor, „im besonderen Maße mit gemeinschaftlich begangener, hoher krimineller Energie“ gehandelt und somit vor allem gegen Paragraf 201 StGB verstoßen zu haben. Danach ist es strafbar, wenn man unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt.
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Dabei war die Herangehensweise bei der Recherche schon früh Gegenstand von Kritik. Bei Greenpeace in Hamburg, wo man auf Nachfrage von Cicero betont, ganz unabhängig von Correctiv zu der Potsdamer Veranstaltung recherchiert zu haben, verweist man als Rechtfertigung für die geheimdienstmäßige Operation auf Ziffer 4 des Pressekodex: Demnach sind verdeckte Recherchen im Einzelfall gerechtfertigt, wenn damit Informationen von besonderem öffentlichen Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind.
Für die Sprecherin der Hamburger Umweltorganisation ein eindeutiger Rechtfertigungsgrund: Schon aus der Art der Ankündigung der Veranstaltung, so Greenpeace, sei das erhebliche öffentliche Interesse im Vorfeld ersichtlich gewesen. Doch da es sich nicht um ein privates Treffen, sondern erkennbar um ein von der Öffentlichkeit abgeschottetes politisches Vernetzungstreffen gehandelt habe, zu dem nur Eingeladene Zugang hatten, wären offene Recherchemethode nicht möglich gewesen.
Correctiv und der Kanzler
Ob zu den Mitteln der verdeckten Recherche aber überhaupt die von Huy genannten Tonbandaufnahmen zählten, ist umstritten. Weit intensiver werden daher momentan die möglichen Verletzungen des Persönlichkeitsrechts von Beteiligten diskutiert. Immerhin heißt es gleich in Ziffer 1 des Pressekodex, dass die Wahrung der Menschenwürde das oberste Gebot der Presse sei. Die gilt für AfD-Mitglieder wie für Sozialisten, Anarchisten, Konventionalisten. Und in Ziffer 8 folgt daraus, dass die Presse das Privatleben des Menschen und seine informelle Selbstbestimmung achte.
Darauf angesprochen, heißt es von Greenpeace, dass es zwar richtig sei, die Persönlichkeitsrechte stets mit dem öffentlichen Interesse an der Berichterstattung abzuwägen, doch schon die Tatsache, dass derart viele Menschen nach Veröffentlichung der Recherche an Kundgebungen teilgenommen hätten, rechtfertigte die im Vorfeld getroffene Güterabwägung. Eine zumindest strittige Rechtsauffassung. Denn Recht, so steht zu befürchten, würde in einer solchen Lesart einzig zum Resultat von Mehrheitsbekundungen werden. In der ganzen Recherche also ist noch eine Menge juristische Nachbearbeitung nötig. Denn eines ist gewiss: Der Pressekodex fordert auch zur Achtung der Wahrheit sowie der wahren Berichterstattung.
„Remigration“ und „Deportation“
Aber auch im vorjuristischen Raum tauchen immerzu neue Fragen auf: Stimmt es, wie in einigen Medienberichten zu lesen war, dass es kurz vor dem Potsdamer Treffen, am 17.10.2023, eine Zusammenkunft zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Correctiv-Geschäftsführerin Jeanette Gusko gegeben hat? Die Bundesregierung jedenfalls soll das bestätigt haben; ebenso die Teilnahme von Gusko an einer Veranstaltung im Bundeskanzleramt am 7. November.
Nun sind Treffen zwischen Politikern und Medienvertretern nichts Ungewöhnliches. Bei dem Essener Recherchezentrum aber scheinen sie sich, wie jüngst auch eine Recherche der Berliner Zeitung ergeben hat, auffällig zu häufen – und das besonders mit dem Spitzenpersonal aus der Regierung. Man würde gewiss gerne mehr über die Inhalte solcher Treffen erfahren. Doch fast schon routinemäßig heißt es dazu von Correctiv, dass man über derlei Zusammenkünfte nicht Buch führe.
Doch mit schriftlichen Notaten ist es ohnehin nicht ganz einfach. So sorgte etwa die Streichung eines für die Potsdamer Recherche zentralen Begriffes, der kurz zuvor sogar noch von Bundespräsident Frank Walter-Steinmeier leichtfertig im Munde geführt wurde, für Wirbel. Auf der Homepage des dem Recherchezentrum angegliederten Verlags wurde ein Buch mit Recherchen zur AfD noch bis zum 28. Januar mit folgendem Satz beworben: „Die Pläne zur Deportation Millionen Deutscher mit Migrationshintergrund markieren nun für jeden sichtbar den offenen Rechtsextremismus der Faschisten in der AfD.“
Nachdem Anette Dowideit, stellvertretende Chefredakteurin von Correctiv, Ende Januar im „ARD-Presseclub“ behauptet hatte, den Begriff „Deportation“ in der Berichterstattung über das Treffen von Potsdam nicht verwendet zu haben, verschwand er ein Tag später von der Verlagsseite. Darauf angesprochen, teilt eine Sprecherin von Correctiv gegenüber Cicero mit: „Bei dem Treffen in Potsdam sprachen die Teilnehmer über Pläne, um Millionen Menschen aus dem Land zu treiben. Sie benutzten dafür nicht den Begriff Deportation, sondern den Begriff Remigration. Die Inhalte des Treffens liefen letztlich auf Deportation hinaus.“Genau das aber wird von zahlreichen Teilnehmern des Treffens bis heute bestritten.
Es ist also längst noch nicht alles wie es scheint. Eigentlich das optimalste Terrain für investigative Nachrecherchen. Doch zur Pirsch muss man die meisten Journalisten dieser Tage wohl tragen. Warum auch sollte man hinaus gegen Wind und Sturm? Die Meute ist auf Kesseljagd!
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