Feller ist nicht die einzige Ministerin, die zur Teilnahme an Demos gegen die AfD ermuntert. Seit die Plattform „Correctiv“ im Januar über rechtsextreme Vertreibungspläne berichtete, gingen gleich mehrere Spitzenpolitiker auf die Straße. In Potsdam demonstrierten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei einer Kundgebung mit, auf der auch die AfD kritisiert wurde. Und in Rheinland-Pfalz rief Ministerpräsidentin Malu Dreyer, ebenfalls SPD, zu einer entsprechenden Demo auf.Menschen, die in der AfD eine große Gefahr sehen, dürften die Gesten begrüßen. Rechtlich allerdings sind sie heikel. Denn Politiker dürfen und sollen sich einerseits in den politischen Meinungskampf einmischen.
Andererseits gibt es enge Grenzen, sobald sie als Mitglied einer Regierung auftreten. Dass sie die Autorität ihres Amtes nutzen, um eine Oppositionspartei zu kritisieren, sieht die Verfassung nicht vor.
„Ein
gleichberechtigter und fairer Wettbewerb der politischen Parteien ist
für das Grundgesetz ein entscheidender Baustein für die Demokratie“,
sagt der Staatsrechtler Volker Boehme-Neßler von der Uni Oldenburg WELT
AM SONNTAG. Zu diesem Wettbewerb gehöre „natürlich eine
Auseinandersetzung, ein Kampf zwischen den politischen Parteien“. Im
Kontext ihrer Partei dürften sich Politiker auch herabsetzend über die
politischen Gegner äußern.
„Wenn sie aber als Inhaber von Staatsämtern über ihre parteipolitische Konkurrenz reden, besteht die Gefahr, dass sie ihre staatliche Macht durch Kommunikation missbrauchen.“ Regierungsmitglieder hätten schließlich andere personelle und technische Ressourcen und finanzielle Mittel der Kommunikation als einfache Parteimitglieder.
Überschreiten die demonstrierenden Ministerpräsidenten und Minister also aktuell Grenzen?
Der Kontext ist entscheidend
Die AfD jedenfalls sieht sich in ihren Rechten verletzt und hat in Rheinland-Pfalz angekündigt, vor Gericht zu ziehen. Dort hatte Dreyer die AfD auch über offizielle Regierungskanäle scharf kritisiert. „Die Politik der AfD und ihrer rechtsextremen Netzwerke macht ganz vielen Menschen in Deutschland Angst“, schrieb sie im Demo-Aufruf auf ihrem Ministerpräsidentinnen-Account auf Instagram. Über die offizielle Homepage der Landesregierung erklärte sie, dass rechtsextremes Gedankengut auch von „führenden Köpfen der AfD“ verbreitet werde.
Was
Dreyer auf einem SPD-Parteitag äußere, sei der AfD egal, sagt
AfD-Landesvize Sebastian Münzenmaier. „Wir begrüßen es sogar, wenn sie
sich am politischen Meinungskampf beteiligt.“ Sie dürfe aber „keine
amtlichen Mittel nutzen, um die AfD zu diskreditieren“. Weil Dreyer auf
eine Unterlassungsaufforderung nicht reagiert habe, bereite die AfD
jetzt eine Organklage vor.
Auch eine Äußerung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ärgert die AfD. Faeser hatte dem „Handelsblatt“ im Dezember gesagt, dass die AfD ein „Klima der Spaltung und Ressentiments“ schüre, das ausländische Fachkräfte abschrecke. Die AfD-Fraktion fragte an, ob die Ministerin die Infrastruktur des Ministeriums für das Statement genutzt habe und ob dabei Diensttelefone oder offizielle Mailserver im Spiel waren.
Es mag nebensächlich erscheinen: Auf solche Details
kann es am Ende ankommen. Das Bundesverfassungsgericht befasste sich in
den vergangenen Jahren gleich mehrmals mit Regierungsmitgliedern, die
sich über die AfD geäußert hatten. Wichtig war dabei stets der Kontext:
Wo traten die Politiker auf? Welche Mittel nutzten sie zur Verbreitung
ihrer Meinung? In mehreren Fällen rügte das Gericht entsprechende
Äußerungen.
Etwa im Falle der früheren Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), die 2015 auf der Website ihres damaligen Ministeriums schrieb: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden.“ Oder im Falle Horst Seehofers (CSU), der als Bundesinnenminister 2018 auf der Ministeriumswebsite ein Interview veröffentlichte, in dem er über die AfD sagte: „Die stellen sich gegen diesen Staat.“
Oder im Falle Angela Merkels (CDU). Diese hatte sich 2020 als Bundeskanzlerin bei einem Staatsbesuch in Südafrika zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen geäußert, bei der der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD gewählt worden war. Der Vorgang sei „unverzeihlich“, weshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden müsse, sagte Merkel. In allen drei Fällen sahen die Verfassungsrichter die AfD in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien verletzt.
Abgrenzung mitunter schwierig
„Es kommt im Einzelfall darauf an, ob ein Politiker als Amtsträger oder privat als Parteipolitiker spricht oder agiert“, sagt der Augsburger Verfassungsrechtsexperte Josef Franz Lindner. Indizien dafür, dass jemand „unzulässigerweise“ als Amtsträger in den politischen Parteienwettbewerb eingreife, seien etwa die Veröffentlichung einer entsprechenden Äußerung auf der Website des Ministeriums beziehungsweise des Kanzleramts. Oder der örtliche und zeitliche Kontext der Äußerung, zum Beispiel im Rahmen einer Regierungserklärung oder einer Veranstaltung, bei der er als Amtsträger eingeladen und angekündigt war oder als solcher dort spreche.
Dass die Abgrenzung im konkreten
Fall mitunter schwierig sein kann, sagt Staatsrechtler Boehme-Neßler. In
Rheinland-Pfalz sieht er aber eine Grenze überschritten. Dass Dreyer den
entsprechenden Text auf der Website der Regierung veröffentlicht habe,
sei „sicher verfassungswidrig“, sagt Boehme-Neßler. „Sie kann nicht als
Regierungsmitglied gegen andere Parteien demonstrieren und dann auf der
Regierungswebseite darüber berichten.“
Anders sieht es weiterhin die Mainzer Landesregierung, die sich verteidigt: „Große Teile der Bevölkerung sind nach den Enthüllungen des Treffens in Potsdam, bei dem nach den Berichten erörtert wurde, Menschen, die nicht dem Deutschlandbild der Teilnehmenden entsprechen, auszuweisen oder zu verdrängen, zu Recht in großer Sorge um die Demokratie in unserem Land“, sagt Regierungssprecherin Andrea Bähner. Diese Sorgen teile die Regierung. Die Enthüllungen über das Treffen, an dem auch AfD-Mitglieder teilgenommen hätten, legten offen, was in Verfassungsschutzberichten und Medien seit Langem zu lesen sei: „Zahlreiche AfD-Mitglieder sind bestens vernetzt im rechtsextremistischen Spektrum.“ Zudem gälten drei Landesverbände als „gesichert rechtsextremistisch“.
Es ist ein Spagat: Einerseits dürften viele Bürger erwarten, dass ihre Regierung sie vor Extremisten schützt. Andererseits sagt Staatsrechtler Volker Boehme-Neßler: „Die Einschätzungen von Behörden ändern nichts an der Neutralitätspflicht.“ Der Verfassungsschutz sei dem Innenministerium unterstellt. „Wenn er eine Partei als extremistisch einstuft, hat das vor allem interne Wirkungen innerhalb der Behörde. Die Einschätzung hat keine rechtliche Wirkung nach außen.“
Anders sei die Sachlage erst dann, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Partei als verfassungsfeindlich verboten habe. Dann sei es Aufgabe der Bundes- oder der jeweiligen Landesregierung, dieses Verbot umzusetzen. „In diesem Zusammenhang kann sich die Innenministerin natürlich über die Partei kritisch und sogar abwertend äußern. Wenn sie verboten ist, nimmt sie ja auch nicht mehr am Parteienwettbewerb teil.“
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