Staat kassiert 916.000.000.000 Euro Steuern – trotzdem kriselt es an allen Ecken (Focus-Online)
Tenor vieler Gespräche: Der Staat knöpft den Menschen ständig mehr Geld ab, setzt es jedoch nicht immer sinnvoll ein. Während Bund, Länder und Gemeinden nahezu jedes Jahr Rekordeinnahmen vermelden, geht es in vielen Bereichen des Lebens spürbar bergab.Kaputtgesparte Polizei- und Justizbehörden, löchrige Straßen, verrottete Brücken, bröckelnde Schulen, zu wenige Kitas, marode Infrastruktur – Deutschland befindet sich vielerorts in einem bedenklichen Zustand. Nimmt man die lahmende Wirtschaft und den schleppenden Ausbau der Digitalisierung hinzu, verdichtet sich das Bild vom „kranken Mann Europas“. So zumindest urteilt das Ausland häufig über uns.
Enorme Steuer-Einnahmen - doch es gibt eine düstere Seite
Am
fehlenden Geld kann es kaum liegen. Schätzungsweise 916 Milliarden Euro
(in Zahlen: 916.000.000.000) kassierten Bund, Länder und Kommunen
vergangenes Jahr von den Bürgern. 2025 soll erstmals die Grenze von
einer Billion Euro geknackt werden. Kein Wunder, dass
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) von „starken Einnahmen“
spricht.
Bei vielen Bürgern fällt die Rechnung weniger rosig aus.
Für sie wird fast alles teurer. Die hohe Inflation, steigende Gebühren
und Sozialabgaben sowie die enorme Steuerlast machen den Menschen zu
schaffen. Viele fürchten Wohlstandsverluste und den sozialen Abstieg.
Unter
den größten Ängsten der Deutschen rangiert die Sorge vor
„Steuererhöhungen und Leistungskürzungen“ auf Platz 3 – noch vor
Flüchtlingskrise und Klimawandel. Beachtliche 57 Prozent gaben im Jahr
2023 an, dass sie Angst vor weiteren finanziellen Belastungen haben.
An
nahezu jeder Ecke schlägt der Staat zu: Beim Einkaufen, beim Essen und
Trinken, beim Autofahren, beim Arbeiten, beim Gassigehen mit dem Hund,
beim Rauchen, beim Wohnen – überall müssen Bürger Geld abführen. Rund 40
Arten von Steuern existieren in Deutschland, von A wie Alkoholsteuer
bis Z wie Zweitwohnungssteuer.
Deutschland hat mit die höchsten Steuern und Abgaben weltweit
Experten
sehen die Grenze der Belastbarkeit für die Bürger längst erreicht und
zum Teil überschritten. „Deutschland ist bei Steuern und Sozialabgaben
weltweit im Spitzenfeld“, warnt etwa Reiner Holznagel, der Präsident des
Bundes der Steuerzahler. Eine Auswertung der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von 2023 bestätigt
dies.
So liegt die Abgabenquote in Deutschland bei einem
verheirateten Paar mit Kindern durchschnittlich bei 40,8 Prozent. Höher
ist die Belastung nur in Belgien mit 45,5 Prozent. Im Schnitt aller 38
OECD-Staaten (darunter die USA, Japan, Großbritannien, Neuseeland) liegt
die Abgabenlast bei 29,4 Prozent. Auch bei Alleinstehenden liegt
Deutschland auf Platz zwei im Steuer- und Abgabenranking.
Ginge
es nach einigen Politikern insbesondere aus dem rot-grünen Lager, würde
die Quote weiter steigen. Immer wieder gibt es – aus den
unterschiedlichsten Anlässen – Rufe nach Steuererhöhungen zumindest für
bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Konsumarten. Bei der Wahl harmlos
klingender Etiketten erweist sich die Politik als erfindungsreich.
Jüngstes Beispiel: die sogenannte „Tierwohlabgabe“.
Trotz
massiver Proteste der Bauern setzte die Ampelkoalition den
schrittweisen Abbau der Steuerentlastungen beim Agrardiesel durch. Um
die Landwirte zu besänftigen, brachte man eine „Tierwohlabgabe“ ins
Gespräch.
Geplante „Tierwohlabgabe“ ist neue Steuer auf Fleisch
Schnell
hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ein Konzept zur
Hand, das eine Verteuerung von Fleisch und Fleischprodukten vorsieht.
Mit den zusätzlichen Einnahmen soll die Landwirtschaft umgebaut und –
vor allem – der Klimaschutz vorangetrieben werden.
Im Kern
verbirgt sich dahinter „nichts anderes als eine Steuererhöhung“, wettert
CSU-Chef Markus Söder. Und Millionen Menschen fragen sich, wie die neue
Fleischsteuer zur Zusicherung von Finanzminister Lindner passt,
Steuererhöhungen werde es mit ihm „nicht geben“.
Gerade im Wahlkampf versprechen Politiker viel, etwa: „Mehr Netto vom Brutto“ oder „Wir entlasten die Bürger“.
Schon 2009 schrieben CDU/CSU und FDP im Koalitionsvertrag:
„Die
Bürger empfinden (...) nicht nur die Höhe der Steuer- und Abgabenlast
als demotivierend, sondern auch die Kompliziertheit (...) des deutschen
Steuerrechts. Deshalb wollen wir, dass Steuern 'einfach, niedrig und
gerecht' sind."
Leider erweisen sich solche Botschaften ans Volk
allzu oft als Luftnummern. Hochfliegende Pläne werden angesichts der
gigantischen Staatsverschuldung, ausufernder Ausgaben für
Sozialleistungen und immer größerer Löcher im Haushalt
zusammengestrichen oder ganz beerdigt.
Zuletzt sorgte
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit einem fulminanten Wortbruch für
Empörung. Im September 2021 hatte er versprochen, dass der zu
Corona-Zeiten eingeführte niedrigere Umsatzsteuersatz von 7 Prozent in
der Gastronomie bestehen bleibe („Das schaffen wir nie wieder ab“). Seit
Anfang 2024 beträgt der Steuersatz auf das Schnitzel im Restaurant
wieder 19 Prozent.
Ampel hat kaum Spielraum für Entlastung der Bürger
Es läuft wie gehabt: Nach solchen Rückziehern berufen sich Politiker auf widrige Umstände oder unvorhersehbare Katastrophen.
Aktuell
sind das der Ukrainekrieg, die Nachwehen der Energiepreiskrise und der
Corona-Pandemie, der Kampf gegen die Inflation, geopolitische Konflikte
und nicht zuletzt das Haushaltsdesaster wegen grundgesetzwidriger
Finanzmanöver der Ampel.
Im Klartext: Den Regenten bleiben eigentlich kaum Spielräume für finanzielle Geschenke.
Zwar
wird Finanzminister Lindner nicht müde zu betonen, dass die Steuerlast
in Deutschland unter seiner Verantwortung „insgesamt“ sinke. Allein in
diesem Jahr würden die Bürger „15 Milliarden Euro weniger Lohn- und
Einkommenssteuer“ zahlen, betont der Liberale.
Auch
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) spricht neuerdings von
„Steuererleichterungen“, um deutsche Unternehmen international wieder
wettbewerbsfähig zu machen.
Laut OECD lag die steuerliche
Belastung für deutsche Unternehmen 2023 durchschnittlich bei 29,94
Prozent – im weltweiten Vergleich einer der höchsten Werte. In
Frankreich, in den USA oder in den Niederlanden fallen rund 25,8 Prozent
an, in Schweden 20,6 Prozent, in Irland 12,5 Prozent und in Ungarn
sogar nur 9 Prozent.
Entlastungen auf breiter Front sind also überfällig.
Zur
Wahrheit gehört aber auch: Nahezu jeder Euro, den die Bürger bei
Steuern sparen, wird ihnen an anderer Stelle genommen, frei nach dem
Prinzip: Was in die linke Tasche fließt, geht aus der rechten gleich
wieder raus.
Höhere Beiträge zur Kranken-, Pflege, Renten- und
Arbeitslosenversicherung, Preisexplosionen bei Miete und
Wohnnebenkosten, steigende Gebühren für Kitas, kletternde Preise im
Öffentlichen Nahverkehr, die drastische Verteuerung der gesamten
Lebensführung – all das macht kleine Vorteile bei der Einkommensteuer
sofort wieder zunichte. Am Ende bleibt den meisten immer weniger Geld.
FOCUS online veröffentlicht Schwerpunkt zu „Steuern“
Niemand bestreitet, dass der Staat ausreichend Steuern erheben muss, damit er seine Aufgaben für das Gemeinwesen erfüllen kann.
Aber
gehen die verantwortlichen Politiker immer verantwortungsvoll mit dem
Geld der Bürger um? Warum werden immer wieder Fälle bekannt, in denen
viele Steuer-Millionen bei wahnwitzigen Projekten verpulvert werden? Und
wie fair ist unser Steuer-System eigentlich?
FOCUS online geht
diesen und anderen Fragen in einem Schwerpunkt „Steuern“ nach. In den
kommenden Tagen erscheinen auf unserer Homepage eine ganze Reihe von
Analysen, Reportagen und Interviews zu diesem Thema. Wenn Sie uns Ihre
ganz persönlichen Erfahrungen bezüglich Steuern und Steuerverschwendung
schildern oder wollen, schreiben Sie an mein-bericht@focus.de
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