Von Stefan Aust, 08.02.2024
„Wir sind eine Regierung des technischen Fortschritts, weil wir nur mit technischem Fortschritt klimaneutral werden können und weil Deutschland und Europa nur so im globalen Wettbewerb mithalten können.“ So stellte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung vor zwei Jahren seine „Fortschrittsregierung“ vor. Dann erklärte er, aus welchen Energieträgern er aussteigen wolle: Kohle, Öl und Gas – innerhalb von 23 Jahren.
Der Ausstieg aus der Kernenergie war da ohnehin schon fast vollzogen. Die drei verbliebenen Atomkraftwerke, die immerhin sechs Prozent der gesamten Elektrizität, also den Strom für etwa zehn Millionen Haushalte lieferten, ließ der Kanzler bis zum April 2023 laufen. Dann war Feierabend für die Atomenergie in Deutschland. Weltweit werden reichlich neue Kernkraftwerke gebaut.
Auf russisches Gas will man ebenfalls verzichten, dafür amerikanisches Liquid-Gas
und Gas aus Katar beschaffen, aber nur für eine Übergangszeit. Dann
kommen die Erneuerbaren. Der Traum ist noch nicht ausgeträumt. Aber es
dürfte ein schreckhaftes Erwachen geben.
Die Welt verändert sich langsam, so langsam, dass man es als Zeitgenosse kaum merkt – und dann brechen Veränderungen mit Gewalt ans Tageslicht. Der 24. Februar 2022 war so ein Tag des bösen Erwachens. Russland überfiel die Ukraine, Krieg in Europa. Aus heiterem Himmel? Wohl kaum.
Manche glaubten nach 1989 an das Ende der Geschichte, manche hofften auf den ewigen Frieden, gesichert durch die „einzig verbliebene Weltmacht“, die USA. Nun sieht es aus, als wolle Russlands Präsident Putin die Zeit zurückdrehen.
Bei der Annexion der zur Ukraine gehörenden Krim im März 2014 wurde das bereits deutlich. Schon damals drängte sich ein historischer Vergleich auf: Der Versailler Vertrag nach Ende des Ersten Weltkrieges. Er legte die Lunte für den Aufstieg Hitlers. Ein gedemütigtes Volk folgte nach einem verlorenen Krieg dem rachsüchtigen Gernegroß ins Verderben.
30 paradiesische Jahre, besonders für Deutschland
Der Fall der Mauer war der Moment, in dem der Zweite Weltkrieg wirklich endete. Es war das Ende der Nachkriegsordnung in Europa, der Anstoß für den Untergang des Sowjetimperiums, wenn auch nicht die Ursache. Staaten, die unter dem Angriffskrieg Hitler-Deutschlands erst in Blut und Asche gelegt, dann von der Sowjetunion befreit und anschließend unterdrückt wurden, waren plötzlich frei.
Kein Wunder, dass sie sich dem westlichen Bündnis, das Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft versprach, anschließen wollten. Es waren, trotz aller Schwierigkeiten, 30 geradezu paradiesische Jahre. Besonders für die Deutschen.
Die Wirtschaft
florierte, Arbeitslosigkeit war, auch dank der Agenda 2010, weitgehend
beseitigt. Da konnte auch von einer Energiewende geträumt werden. Die
Vorstellung von der Unabhängigkeit war eine Illusion, vor allem befeuert
von billigem russischem Gas.
Es war schon vor dem Ukraine-Krieg zu erkennen, dass es hochriskant ist, sich in puncto Gas von einem einzigen Lieferanten abhängig zu machen. Aber die teuren und zugleich ineffektiven und unsicheren erneuerbaren Energien brauchten große Mengen sicherer und billiger Importe aus Russland, um die Versorgungslücken bei Windflaute zu kaschieren. Und die konsequente Weigerung, die großen Gasvorräte in Deutschland per Fracking nutzbar zu machen und stattdessen teures flüssiges Fracking-Gas aus den USA per Schiff heranzuschaffen, war und ist die Fortsetzung politisch-ideologischer Traditionen aus bequemen Zeiten.
Dazu auch noch am Abschalten von einwandfrei laufenden Kernkraftwerken festzuhalten, ist nichts anderes als Sabotage. Da wurden aus grünen, ideologischen Gründen mal eben sechs Prozent der Stromproduktion abgeknipst. Und Knappheit im Angebot führt im Kapitalismus bekanntlich zu Preissteigerungen. Das wird im Prinzip auch nicht anders, wenn der Staat mit Steuergeldern unterstützend eingreift. Dann unterstützt sich der Stromkunde mit seinen Steuern nur selbst.
Staatliche Mogelei kaschiert so die Probleme bei der Energiewende. Würden stattdessen die drei 2023 abgeschalteten Kernkraftwerke wieder in Betrieb gesetzt und zudem die zur vorletzten Jahreswende abgeschalteten drei wieder angeschaltet, wären gut elf Prozent der Stromversorgung gesichert, so viel, wie etwa 20 Millionen Haushalte verbrauchen. Dass die Stromversorgung eines Industrie- und damit auch Exportstaates wie Deutschland durch erneuerbare Energie zu sichern sein könnte, gehört zu den absurdesten Träumen der Gegenwart.
Gefährliche Abhängigkeit von China
Und diese Träumereien machen uns gerade auch von China abhängiger. Mehr als wir es von Russland je waren. Unsere Solarzellen kommen zu 95 Prozent aus China. Windturbinen brauchen Seltene Erden wie Neodym – überwiegend abgebaut in China. Mehr als 60 Prozent der Bestandteile von Energiespeichern für Stromnetze und von Batterien für E-Autos stammen aus der Volksrepublik, etwa Kobalt und Lithium.
Die deutsche „Energiewende“ ist ein großes Geschenk für Chinas Präsidenten Xi Jinping
und seinen globalen Machtanspruch. Das alles aufgrund des Mantras, der
Klimawandel sei das allerwichtigste Problem unserer Zeit, das alle
anderen Gefahren überlagert.
Deshalb müssen wir auch Unsummen an Entwicklungshilfe ausgeben. Etwa, um Kolumbien für rund vier Millionen Euro „grüne Kühlschränke für Haushalte“ zu spendieren, in Thailand „Projekte für Klimapolitik und Biodiversität“ mit zehn Millionen Euro zu fördern, Indien gut 200 Millionen für „klimafreundliche urbane Mobilität“ zur Verfügung zu stellen – und neben anderen Ländern auch China im Rahmen einer 22 Millionen Euro schweren Finanzaktion „integrierte städtische Klimaschutzmaßnahmen für kohlenstoffarme und widerstandsfähige Städte“ zu alimentieren. Am deutschen Wesen soll eben immer noch die Welt genesen.
Die eigentliche Gefahr für westliche Demokratien
Tatsächlich ist die westliche Demokratie in Gefahr – doch nicht primär aufgrund einer „chinesischen“ oder „russischen Bedrohung“, sondern weil sie ihre eigenen Verheißungen nicht mehr erfüllt. Dazu gehört, dass das System in sich funktioniert, die Demokratie wie der Rechtsstaat, die Wirtschaft wie der Sozialstaat.
Während Deutschland träumt, schläft die Welt nicht. Nur wir reden vom Bürgergeld, am besten für alle, und von der Vier-Tage-Woche. Um die Renten auf Dauer zahlen zu können, will man Arbeitskräfte aus dem Ausland importieren – als würden auch die nicht irgendwann in den Ruhestand gehen wollen.
Das Konzept ähnelt dem, dass Deutschland
der Vorreiter der Energiewende sein will. Im Notfall könnte hier ja auf
französischen Atom- und polnischen Kohlestrom zurückgegriffen werden.
Dann muss man auch eigene fossile Energieträger nicht anfassen: Reserven
an Schieferöl und -gas, die durch Fracking erschlossen werden könnten
oder Braunkohle, die, in flüssige Treibstoffe oder Gas verwandelt, eben
nicht in Kohlekraftwerken verheizt werden müsste. Wenn man wollte,
könnte man auch das während der Kohlevergasung entstehende CO₂
herauslösen und zu 100 Prozent per Pipeline in die Utsira
Schiefergestein-Formation weit unter der norwegischen Nordsee leiten, um
es dort sicher und langfristig zu lagern.
Übrigens: Aus den 40 Milliarden Tonnen Braunkohle könnte genug Öl hergestellt werden, um 125 Jahre lang den Verbrauch importierten Öls (80 Millionen Tonnen jährlich) auszugleichen – oder für 90 Jahre den jährlichen Verbrauch von importierten circa 90 Milliarden Kubikmetern zu ersetzen. Die Schiefergasreserven Norddeutschlands werden auf 20 Billionen Kubikmeter geschätzt. Diese Mengen, so die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in einer „Abschätzung des Erdgaspotentials aus dichten Tongesteinen“, würde den jährlichen Gasbedarf zwischen 20 und 200 Jahre lang decken.
Aber die Zukunft gehört stattdessen ja Wind und Sonne. Und Wasserstoff. Schließlich haben wir genügend Wasser in Flüssen, Seen und Meeren. Leider ist das Wasser sozusagen die Asche des Wasserstoffs – um aus Wasser durch Elektrolyse Wasserstoff und Sauerstoff herzustellen, ist etwa viermal so viel Energie nötig, wie man danach aus dem Wasserstoff wieder schöpfen kann.
Das alles erinnert an die Geschichten der Schildbürger, die ihr neu gebautes Rathaus mit Licht durchfluten wollten und deshalb Sonne in Eimern, Säcken und Schubkarren ins Rathaus beförderten. Funktionierte bekanntlich nicht. Aber man kann’s ja mal versuchen!
Ukrainische Kriegsdienstverweigerer
Die Zeitenwende durch Chinas Aufstieg und durch den Überfall Russlands auf die Ukraine hat uns mit einer Realität konfrontiert, die wir vorher so weit weg wie möglich gedrängt haben. Eine makabre Absurdität macht das deutlich: Gegenwärtig will das ukrainische Militär 450.000 bis 500.000 Mann zusätzlich mobilisieren.
Die wären nach den Zahlen der EU-Statistikbehörde Eurostat in den 27 EU-Staaten und in Norwegen, der Schweiz und Liechtenstein durchaus zu finden: 650.000 ukrainische Männer zwischen 18 und 64 sind dort als Flüchtlinge registriert, allein in Deutschland etwa 200.000. 700.000 Ukrainer beziehen hierzulande Bürgergeld.
Das heißt: während die Bundesrepublik der Ukraine
Waffenlieferungen in Milliardenhöhe finanziert, subventioniert sie
mutmaßlich ukrainische Kriegsdienstverweigerer. Man hat nicht den
Eindruck, dass derartige Probleme von regierenden Politikern überhaupt
gesehen werden.
Eigene Interessen klar zu vertreten, gilt irgendwie als unfein. In der deutschen Politik ist eine strategische Intention nicht zu erkennen, weder außen- noch innenpolitisch. Neben der Energiefrage ist die ungeregelte Migration das wichtigste Thema. Der Platz hier reicht nicht aus, um deren Folgen umfassend aufzuzeichnen. Wir erleben sie heute, vom Mangel an Wohnraum über die Finanzen, den Zustand der Schulen bis hin zur Kriminalität.
Dass Angela Merkels „Refugees Welcome“-Politik ein Konjunkturprogramm für rechte Gruppen und Parteien sein würde, war ebenfalls ab 2015/16 klar. Alles laufen zu lassen, ist eben kein Zeichen politischer Kompetenz. Der Zustand des Landes ist ebenfalls kein Zufall, sondern das Ergebnis schlecht gemachter Politik, parteiübergreifend.
Sich mit der Realität zu beschäftigen, sollte für Politiker kein Tabu sein. Vor allem, wenn sie regieren und über Wohl und Wehe von Land und Bevölkerung entscheiden. Gerade in Zeiten von Krisen, die gefährlich sind wie seit Jahrzehnten nicht – und zwar realer Krisen, nicht quasi-religiöser Weltuntergangsszenarien.
Luftreich des Traums
Träume und Alpträume sind das Mantra der politisch-religiösen Bewegungen. Das beschrieb schon Heinrich Heine in seinem Gedicht „Deutschland – ein Wintermärchen“, von dem die meisten nur den ersten Reim, „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“, kennen. Weiter hinten charakterisiert er die Deutschen so:
„Franzosen und Russen gehört das Land.
Das Meer gehört den Briten.
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
die Herrschaft unbestritten“.
Als wir für unser Buch „Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt“ den chinesischen Dissidenten Ai Weiwei fragten, wie wir unseren Abstieg verhindern, sagte er: „Das ist typisch westliches Denken – jedes Problem sei lösbar. In der östlichen Philosophie heißt es eher: Es gibt keine Lösung, weil es kein Problem gibt. Kein Baum ist immer grün. Europa und die USA haben ihre gute Zeit gehabt. Jetzt ist die Party vorbei.“ Vielleicht ist es, wie er sagt – und vielleicht gilt das auch und gerade für die grüne Ampelrepublik Deutschland.
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