Einer geht noch. Oder zwei? (Focus)
FOCUS-Reporterin Anja Maier, 10.04.2023
Die Zahl der Beauftragten der Bundesregierung steigt und steigt. Seit dem Start der Ampel sind sieben weitere hinzugekommen – und wohl bald Nummer acht: der oder die Tierschutzbeauftragte. Aber was sollen, vor allem was dürfen die zahlreichen Themenverwalter eigentlich? Und wer kontrolliert sie?
Jüngst hat der Queer-Beauftragte der Bundesregierung vor der Kriminalisierung von Homosexuellen in Uganda gewarnt. Der Ost-Beauftragte hat sich über den vorgezogenen Kohleausstieg in der Lausitz aufgeregt.
Die Start-up-Beauftragte hat die Preisträger
des Wettbewerbs Digitale Innovationen ausgezeichnet, und der
Datenschutz- Beauftragte hat die Bundesbehörden vor der TikTok-App
gewarnt.
Der Beauftragte für die Sozialversicherungswahl Ende Mai
freut sich, dass auch online abgestimmt werden kann. Und die
Bundeskultur-Beauftragte hat sich ins Gästebuch von Dessau-Roßlau
eingetragen.
Regierung leistet sich Dutzende Interessenverwalter
Warnen
und fordern, gratulieren oder kritisieren – das sind im Großen und
Ganzen die Aufgaben der mehr als vierzig Bundesbeauftragten. Die
allermeisten werden vom Kanzler, einem Bundesminister oder einer
-ministerin per Kabinettsbeschluss oder Erlass ernannt.
Was ist
denn nun ihre Aufgabe, wem sind sie rechenschaftspflichtig? Genau weiß
das niemand. Und es fragt auch lieber keiner nach. Denn die Antwort
würde lauten: Mit ihren Beauftragten leistet sich die Regierung mehrere
Dutzend Interessenverwalter, die praktisch nichts bewegen können, aber
ihre jeweiligen Dienstherren schmücken.
Mögen die Bürgerinnen und
Bürger unter der Inflation ächzen und besorgt auf ihre Gasthermen
schauen. Mag Finanzminister Christian Lindner (FDP) den eigenen 800
Millionen Euro teuren Ressortneubau absagen und die Ampel mit der
Wahlrechtsreform den kostspieligen Bundestag schrumpfen wollen – für ein
paar zusätzliche Beauftragte samt Mitarbeitern scheint es immer noch zu
reichen.
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Mancher Titel befeuert die Fantasie aufs Schönste
Seit
dem Antritt der Ampelregierung ist deren Zahl um sieben neue auf 45
gestiegen. Unter ihnen eine Antirassismus- und eine
Antidiskriminierungs-Beauftragte, der Antiziganismus-Beauftragte sowie
eine Beauftragte des Kanzlers für die Zusammenarbeit zwischen Bund und
Ländern, also eine Art Kummerkasten für die Ministerpräsidenten.
Im
Innenministerium gibt es neuerdings einen Sonderbeauftragten für die
Modernisierung der Fortbildungslandschaft des Bundes, im grünen
Außenministerium die Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik
und im FDP-Verkehrsministerium eine Beauftragte für
Ladesäuleninfrastruktur. Zuletzt wurde der Liberale Joachim Stamp zum
Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen ernannt.
Mancher
Titel befeuert die Fantasie aufs Schönste: beim Meeres-Beauftragten
denkt man an Sandstrand und Tauchgänge. Aber das Lächeln wird zusehends
dünner angesichts der Frage, wozu um alles in der Welt die
Bundesregierung all diese politischen Adabeis überhaupt braucht.
Schließlich verfügen Kanzleramt und Ministerien über bestens
ausgestattete Häuser, wo auskömmlich bezahlte Fachleute ihnen
zuarbeiten.
Der CDU-Politiker Steffen Bilger findet, dass es die
Bundesregierung mittlerweile übertreibt. Er muss es wissen, schließlich
war er in der letzten Wahlperiode selbst Logistik-Koordinator im
Bundesverkehrsministerium.
Jährliche Personalkosten allein hier: 373.330 Euro
Aber
eben, das betont der 44-Jährige, zusätzlich zu seinem Amt als
Staatssekretär, also als Fachmann. „Jetzt schafft die Ampel Posten um
Posten.“
Als Beispiel nennt er den Tierschutz-Beauftragten beim
Landwirtschaftsministerium. Die B6-Stelle – Grundgehalt 10.600 Euro –
ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben und schon in den Haushalt
eingestellt.
Dabei, moniert Bilger, gebe es die entsprechende Expertise im Özdemir-Ministerium längst in Hülle und Fülle.
Tatsächlich
weist das Organigramm des Bundesministeriums für Ernährung und
Landwirtschaft in der Abteilung 3 die zugehörige Unterabteilung 32
„Tiergesundheit Tierschutz“ auf, wo 55 Festangestellte daran arbeiten,
dass es den Tieren gut gehen möge.
Wozu also noch ein
zusätzlicher Beauftragter? Auf diese Frage antwortet das Ministerium in
schönster Behördenlyrik, mit dem Amt wolle man „den Tierschutz
strukturell und institutionell weiter stärken“.
Und damit der
oder die künftige Beauftragte nicht so alleine ist, werden ihm zwei
Mitarbeitende im höheren Dienst zur Seite gestellt, zudem je eine im
gehobenen und im mittleren Dienst. Jährliche Personalkosten allein hier:
373.330 Euro.
„Was kann diese Person überhaupt ausrichten?“
CDU-Politiker
Bilger hat den Verdacht, mit all den teuren Extraämtern versuche die
fragile Koalition, ihre Abgeordneten zu disziplinieren. „Frei nach dem
Motto: Als Beauftragter stehst du auch für die Regierung – also halt
dich mit Kritik besser zurück.“
Wolfgang Schroeder, Professor für
das politische System der Bundesrepublik an der Universität Kassel,
spricht von einer „Fehlentwicklung“ und warnt vor einem „Heer von
Beauftragten“.
Die Absicht sei durchaus löblich: Komplexe Themen
sollen nicht im Verwaltungshandeln untergehen und bekommen deshalb eine
Person beigestellt, die die Prozesse im Blick behält.
Das sei
etwa bei der Wehrbeauftragten und dem Ostbeauftragten der Fall. „Aber
bei vielen anderen ist die Frage: Was kann diese Person überhaupt
ausrichten?“
Wenn sich Bürgerinnen und Bürger mit ihren Nöten an
eine Beauftragte wenden und dann feststellen, dass die keine
Lösungskompetenzen hat, sei die Enttäuschung programmiert.
Hinzu
kämen Doppelstrukturen mit den jeweiligen Fachabteilungen der
Ministerien, die sich durch vom eigenen Chef ernannte Beauftragte
übergangen fühlen könnten.
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Annalena Baerbock hat auch Sonderbeauftragte vorgestellt
Beim
erwähnten Tierschutz-Beauftragten dürfte eine solche Doppelstruktur
vorliegen. Politikwissenschaftler Schroeder befürchtet denn auch eine
„Verteilungslogik“ statt einer „Sachlogik“ bei der Postenvergabe.
So
hat etwa Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Februar 2022
seinen Staatssekretär Udo Philipp zum „Koordinator der Bundesregierung
für strategische Auslandsprojekte“ gemacht.
Die Berufung des
grünen Parteifreundes aus alten Kieler Tagen wird im politischen Berlin
als die genervte Antwort auf eine Personalie im Außenministerium
bewertet.
Dort hatte Annalena Baerbock die vormalige
Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan als „Sonderbeauftragte der
Bundesregierung für internationale Klimapolitik“ vorgestellt.
So
geht Ministerschach: Die eine verschafft sich Klimakompetenz, obwohl der
zuständige Minister der eigenen Partei angehört. Woraufhin der sich
außenpolitische Manpower ins Haus holt. Doppelt hält vielleicht nicht
besser – macht aber mehr her.
Bundesregierung versucht, Zahl der Beauftragten kleinzurechnen
Je
zahlreicher die Beauftragten, desto unbestimmter fallen die Erwartungen
an sie aus. Gab es im Jahr 1992 noch 16 Beauftragte, sind es inzwischen
45. Die Liste, die das Bundesinnenministerium führt, ist nicht aktuell.
Eine
Sprecherin sagt, man habe hier lediglich „koordinierende Funktion“ und
bitte die Häuser um Selbstauskunft. CDU-Mann Bilger, inzwischen
stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion, hat bei der
Bundesregierung nachgefragt.
Die schriftliche Antwort, die FOCUS
vorliegt, zeigt: Die Bundesregierung versucht, die Zahl der Beauftragten
kleinzurechnen. So werden etwa Claudia Roth, Beauftragte für Kultur und
Medien, und die Beauftragte für Bund-Länder-Beziehungen Sarah Ryglewski
als Staatsministerinnen geführt.
CDU-Mann Bilger spricht von
willkürlichen Definitionen, um die Beauftragten- Schwemme
kleinzurechnen. Mit Roth und Ryglewski kommt er jedenfalls auf 45
Beauftragtenämter.
Beauftragte kosten einiges
Zudem versage
die Ampel, die die Parität von Männern und Frauen großschreibt,
ausgerechnet bei den Beauftragten. Von den 44 von der Bundesregierung
aufgeführten Personen – Reem Alabali-Radovan besetzt zwei
Beauftragtenressorts – sind lediglich 13 Frauen.
Beauftragte der
Bundesregierung vertreten nicht nur Interessen verschiedener Gruppen,
etwa für Menschen mit Behinderung, für die Opfer sexualisierter Gewalt
oder für – ja, das gibt es – strategische Auslandsprojekte im Interesse
der Bundesrepublik.
Sie kosten auch einiges. Eine schriftliche
Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der CDU zeigt, dass in den
Haushaltsplan 2023 knapp 31 Millionen Euro für die Beauftragten und ihre
Mitarbeitenden eingestellt sind. Die FOCUS vorliegende Aufschlüsselung
listet insgesamt 285,4 Stellen auf.
Manche Beauftragte beziehen
für ihr Amt monatlich 10.000 bis 11.000 Euro. Andere üben ihre Aufgabe
als Beauftragte oder Koordinatorin ehrenamtlich aus. Und wieder andere
erhalten eine Aufwandsentschädigung von 2500 oder 3000 Euro.
Beauftragte sind weder weisungsgebunden noch umfassend informationspflichtig
Meist
sind das Abgeordnete, die zusätzlich zu ihrem Mandat zu Beauftragten
berufen sind. Alles in allem beträgt die monatliche Vergütung aller
Beauftragten und Koordinatoren „gemäß Meldung der Ressorts 853.101
Euro“, teilt Florian Toncar, Parlamentarischer Staatssekretär im
FDP-geführten Finanzministerium, schriftlich mit.
Bei so viel
Geld und Personal stellt sich die Frage nach der verfassungsrechtlichen
Rolle. Die Juristin Karoline Haake ist dem nachgegangen.
Ob die
45 nun als Bundesbeauftragte, Koordinatorin, Sonderbeauftragte oder
Persönliche Beauftragte firmieren – alle sind sie im Auftrag der
Regierung einem Ministerium oder dem Kanzleramt beigegeben.
Der
Unterschied zu anderen Mitarbeitenden dort aber ist, dass sie aus der
behördlichen Hierarchie ausgegliedert sind. Also im Grunde nur ihren
Chefs verpflichtet.
Oder umgekehrt: eigentlich niemandem, denn
sie sind weder weisungsgebunden noch umfassend informationspflichtig.
Verfassungsrechtlerin Haake warnt jedoch davor, die Beauftragten als
„verfassungsrechtliches Nullum“ abzutun.
Je tiefer man einsteigt, desto unübersichtlicher wird die Lage
Besondere
Beachtung schenkt die Juristin dem Aspekt der Gewaltenteilung.
Grundsätzlich ist es zwar nicht verboten, Abgeordnete des Bundestages
als Beauftragte zu ernennen; ein solches Amt fällt noch nicht einmal
unter die Pflicht zur Meldung an das Bundestagspräsidium.
Die
Frage aber laute, sagt Haake im Gespräch, wie ein Parlamentarier in
herausgehobener Funktion noch die Bundesregierung kontrollieren kann und
soll, deren Beauftragter er oder sie ist.
Die immer weiter
steigende Zahl der Beauftragten gibt ihrer Ansicht nach mittlerweile
Anlass zu verfassungsrechtlichen Bedenken. Weil die meisten Mitglieder
der Bundesregierung zugleich als Abgeordnete arbeiten, die dann wiederum
weitere Abgeordnete der eigenen Fraktion zu ihren Beauftragten ernennen
können, wird der Anteil tatsächlich regierungsunabhängiger
Parlamentarier zusehends kleiner.
Hinzu kommt: Weder sind die
Rechtsstellung noch das Amtsverhältnis der Beauftragten geregelt. Einzig
die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien legt in drei
dürren Absätzen fest, dass „die Beauftragten der Bundesregierung, die
Bundesbeauftragten sowie die Koordinatorinnen und Koordinatoren“ an
Vorhaben der Regierung frühzeitig zu beteiligen sind.
Je tiefer
man in die Materie einsteigt, desto unübersichtlicher wird die Lage.
Denn wo keine Regeln gelten, werden erkennbar keine befolgt. Es gibt
keine Weisungen für die Ernennung oder die Entlassung der Beauftragten.
Vorbild könnte Bayern sein
Amtszeiten,
Verschwiegenheitspflichten oder das Offenlegen weiterer Ämter und
Tätigkeiten sind ungeklärt. Weder eine Berichtspflicht ist festgelegt,
noch ist die Amtsentschädigung oder die Ausstattung mit Geschäftsstellen
oder Mitarbeitenden geregelt.
Die Beauftragten kommen und gehen,
wie es der jeweiligen Regierungskoalition, dem jeweiligen Ressortchef
gefällt. Derzeit allerdings gehen sie weniger – sie kommen vor allem, um
mit ihrer Kümmerattitüde das Image ihrer Ministerin oder des Kanzlers
aufzuwerten. Von etwaigen Kompetenzen ist eher wenig die Rede.
Die
Verfassungsrechtlerin Karoline Haake empfiehlt deshalb ein
Bundesgesetz, das die Angelegenheit nachvollziehbar und transparent
regelt. Dieses sei notwendig, „um sowohl rechtliche Zweifel aus dem Weg
zu räumen als auch das Mandat der Beauftragten zu stärken und so
letztendlich ihre Tätigkeit effizienter zu machen“.
Vorbild dafür
könnte Bayern sein. Dort gilt seit 2019 ein Gesetz über die
Beauftragten der Staatsregierung, das Rechte und Pflichten, Ausstattung
und Evaluation einheitlich regelt.
Bayerns Landesregierung hat
offenbar erkannt, welches Problem das Beauftragtenwesen für die
Gewaltenteilung darstellt. Wenn nämlich die Regierenden ihre Kritiker
und Interessenvertreter selbst einsetzen, leidet am Ende die
Glaubwürdigkeit aller Beteiligten. Und dann ist es auch egal, wie
honorig die anfängliche Absicht gewesen sein mag.
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