12 April 2023

Steuern, Schulden, Zeitgeist - Die katastrophale Kultur deutscher Staatsseligkeit (WELT+)

Steuern, Schulden, Zeitgeist
Die katastrophale Kultur deutscher Staatsseligkeit (WELT+)
Die deutschen Ministerien, ihr Personal und ihre Ausgaben wachsen in einem absurden Ausmaß. Tragbare Ergebnisse sucht man dennoch vergebens – siehe Schulen, Autobahnbrücken, moderne Verwaltung. Dass dies nicht zu einem Aufschrei führt, liegt am staatsgeilen Zeitgeist.
Der Staat schwimmt im Geld. 937 Milliarden Euro Steuereinnahmen sollen es dieses Jahr sein, 2024 wird vermutlich die Billionen-Euro-Grenze geknackt. Dennoch muss sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) verteidigen, weil er auch angesichts dieser ungeheuren Einnahmen zur Einhaltung der Schuldenbremse mahnt.
Dabei lebt Deutschland seit Jahrzehnten über seine Verhältnisse. Bund, Länder und Gemeinden sowie ihre Extrahaushalte waren Ende 2021 mit rund 2320 Milliarden Euro verschuldet. 1960 waren es umgerechnet 29 Milliarden, 1970 lediglich 64 Milliarden, 1980 238 Milliarden, 1990 dann schon 538 Milliarden und im Jahr 2000 schließlich 1211 Milliarden Euro – eine Kurve, die an eine milde Exponentialkurve erinnert. Und die abbildet, was kulturell und mentalitätsmäßig schiefläuft.

Die Deutschen haben einen fast zwanghaften Staatsfetisch, halten den Staat für eine nahezu heilige Instanz, der die Bürger zu dienen haben. Ein für den teutonischen Anti-Individualismus halbwegs rationales Konstrukt, um eine Art Herrschaft des Wir zu installieren. Der letzte ambitionierte Versuch, diese Allherrschaft des Staates einzuhegen, wurde 2005 in Angela Merkels kurzem Frühling der Freiheit unternommen, als Paul Kirchhof ein revolutionäres Steuerkonzept vorlegte.

Frank Schirrmacher war begeistert, als er einen Tag mit Kirchhof im Wahlkampf unterwegs war. „Da öffnet“, so hieß es in der FAZ, „ein Professor aus Heidelberg den Deutschen den sauber durchgerechneten Garten der Freiheit – und plötzlich haben alle Angst davor. Der Gärtner, der frisches Obst verspricht, wird als Phantast verschrien.“

Kirchhof wollte die Macht des Staates begrenzen, indem er ihm Mittel entzog. Er war ein konservativer Liberaler mit sozialem Gewissen, und er hatte keine Chance in einem Land, in dem dann Kaum-Denker wie Günter Grass für Gerhard Schröders Wahlkampf Kirchhofs Steuerkonzept als „Meisterwerk in Sachen Neoliberalismus“ denunzierten.

Merkel hat sich von Kirchhof nie mehr erholt. Sie beendete ihre Leidenschaft für die Freiheit am enttäuschenden Wahlabend 2005 und schwor leidenschaftlich leidenschaftlichen Entscheidungen ab. Sie rettete sich in eine große Koalition, in der sie alles tat, was Kirchhof so mutig infrage gestellt hatte.

Kultur der Staatsseligkeit

Und mit jeder neuen Krise und jeder neuen Zurschaustellung der Staatssupermacht („Die Spareinlagen sind sicher“) wuchs in der wohlstandsverwöhnten Bundesrepublik die Idee, dass der Staat „uns alle“ vor jedweder Krise und jedweden ökonomischen Realitäten schützen kann. Was die Deutschen richtig teuer zu stehen kommen wird, wenn die Zinsen weiter steigen.

Noch katastrophaler aber ist die Kultur der Staatsseligkeit. Die wichtigste Aufgabe des Staates ist es, seine Bürger in Ruhe zu lassen. Die zweitwichtigste Aufgabe ist es, ihr Eigentum zu schützen (und es ihnen auch nicht durch absurde Steuerbelastungen zu nehmen). Der Bürger kontrolliert die Politiker, nicht umgekehrt. Aber diese Sätze fallen vornehmlich im angelsächsischen Raum und in Teilen der Schweiz. In Deutschland ist der Staat in die Hände derjenigen gefallen, die ihn lieben. Die in ihm die Chance sehen, eigene Allmachtsfantasien auszuleben.

Abgesehen vielleicht von der FDP ist der Common Sense von Politik und Parteien: möglichst viel Staat mit möglichst viel Steuergeld auszustatten. Und dabei jedwede Effizienzkontrolle zu verspielen. Der Staat sichert die Machtambitionen der Politik, scheitert aber zusehends, tragbare Ergebnisse zu liefern.

Der Zustand der Schulen, Autobahnbrücken und Ämter (mit Fax-Anschluss) ist erbärmlich, dafür erlauben sich die Spitzenpolitik und die Beamtenschaft ordentlich Make-up: Die Ausgaben für Friseure, Fotografen und Visagisten sind rasant auf 1,5 Millionen Euro gestiegen, allein auf die Maskenbildnerin, die für Annalena Baerbocks Haus tätig ist, entfallen 137.000 Euro. Grotesk.

Immer mehr Geld verschlingt auch der Verwaltungsapparat des Bundes. Seit 2010 haben sich die Kosten für die sächlichen Verwaltungsausgaben auf 22 Milliarden Euro mehr als verdoppelt, sodass zur Finanzierung ein immer größerer Steuereinnahmen-Anteil benötigt wird.

Hauptgrund ist der auf 300.000 Stellen angewachsene Personalapparat; allein die Bundesministerien weisen über 30.000 Stellen auf – zudem hat sich die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre auf 37 erhöht, die der Bundesbeauftragten auf 46. Alle mit Apparat. Deren Menschenbild ist klar: Der ideale Bürger träumt von Besoldungsgruppe A 15 und einem E-Auto als Dienstwagen.

Zuletzt recherchierten die Kollegen des „Spiegel“, wie die sündhaft teuren, aber eher ungehörten Podcasts der Bundesministerien die Etats belasten. Leider machen es hier die FDP-Minister auch nicht anders. Dabei wäre es ihr Job, gegen den staatsgeilen Zeitgeist einen schlanken und effizienten Staat vorzuleben.

In der für viele Liberale eher unseligen Ampelkoalition verhindern sie ansonsten viel von dem zusätzlichen Staatsdoping, das sowohl Grüne als auch SPD im Sinn haben. Angesichts der Geldberge und der legeren Budgetdisziplin weiter auf Steuererhöhungen zu bestehen, wäre bösartig und unverantwortlich den Steuerzahlern gegenüber.

Es ist vor allem Ideologie. Umverteiler-Koalitionen sind eine im Zweifel rot-rot-grüne Angelegenheit. Aber zu lange haben bürgerliche Parteien mitgemacht. Das Umverteilen ist eine politische Mechanik für das sehr menschliche Gefühl des Neides, das nirgendwo so stark wie in Deutschland wirkt.

Der Staat, er ist vor allem ein Gleichmacher, der die Unterschiede in Talent, Begabung und Fleiß einebnet und auch die Schwachen und Faulen strahlen lässt, weil die Reichen und Fleißigen ohne Lobby liefern. Jürgen Trittin, ein weiterhin mächtiger Grüner, vergleicht Familienunternehmer in Deutschland mit „Clans“ und „Oligarchen“. In dem Maß, wie der Staat gefeiert und verehrt wird, gilt die Verachtung der freien Wirtschaft.

Überall hat der Staat seine Ideologen der Staatsherrschaft gut versorgt. Hinzu kommen noch trojanische Pferde wie jene NGOs, die längst von Non Governmental Organizations zu Near Governmental Organizations geworden sind. Dass es die Grünen sind, die in fast eisiger Perfektion den Marsch durch die Institutionen zum Geheimnis ihres Erfolgs gemacht haben, überrascht nur auf den zweiten Blick. Es ist eine Partei von Beamten für Beamte, die gebührenfinanzierten Journalisten passen gut dazu.

Robert Habeck muss man zumindest zugutehalten, dass er eher ungeniert vorgeht, wenn es darum geht, Staatsgeld vor allem als Erweiterung der eigenen weltanschaulichen Basis zu verwenden. Seine Staatssekretäre Graichen und Giegold sind Aktivisten und Ideologen. Wie wenig das zu Otto Normalverbraucher:in (hihi) passt, erleben die drei jetzt bei der Heizungsdiskussion, die vier Fünftel des Landes entsetzt.

Wilhelm von Humboldt betonte stets, dass es auch wichtig ist, von den notwendigen Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu sprechen. Dann wüssten die Abermillionen von Staats- oder Transferempfängern auch, dass der Staat eben nicht „Vater Staat“ ist, sondern eine Leitplanke, die den Absturz verhindert. Jeder muss sich anstrengen, um es selbst hinzubekommen. Der übergriffige Staat entmündigt den Bürger.

Die Deutschen lieben es. Weil es bequem ist und unambitioniert. Andere Volkswirtschaften wachsen 2023, wir schrumpfen – so der aktuelle World Economic Outlook. Die Neigung, auch staatswirtschaftlich die letzten Nischen der Marktwirtschaft zu schleifen, wird zu nichts Gutem führen. Wird Lindner mit der FDP jetzt deutlicher – und wie verhält sich die CDU dazu? Wo liegt der Bierdeckel von Friedrich Merz?

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