Business Class Edition:
Habecks Atomausstieg: Aus grün wird braun
Gabor Steingart, 13.04.2022
Guten Morgen,
Laut der aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL/ntv halten 43 Prozent der Befragten die Abschaltung für falsch, nur 28 Prozent sind damit einverstanden. 25 Prozent plädieren sogar dafür, weitere stillgelegte AKWs wieder in Betrieb zu nehmen.
Für die Abschaltung der intakten und seit 35 Jahren störungsfrei laufenden Kernkraftwerke hat eine Bevölkerungsmehrheit kein Verständnis – zu Recht. Es sind vor allem fünf nachprüfbare Tatsachen, die in ihrer Faktizität nicht bestritten werden können:
"4200 Megawatt verlässlicher und CO2-freier Grundlaststrom geht vom Netz".
Richtig ist: Atomenergie ist die einzige CO2-freie Energie, die unabhängig von Sonneneinstrahlung oder Windgeschwindigkeit zur Verfügung steht. Sie dient dazu, die Grundlast für die Industrie und die Haushalte sicherzustellen, also jenes Mindestmaß an Spannung im
Netz zu halten, das Europas größte Volkswirtschaft benötigt. Ansonsten
muss bei Windarmut und bedecktem Himmel, der sogenannten Dunkelflaute, fossile Energie zur Hilfe geholt werden, was de facto derzeit auch geschieht. Die Betreiber von Braun- und Steinkohlekraftwerken werden nach der AKW-Abschaltung für Ersatz sorgen – mit einem Mehr von rund 35 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Aus grün wird braun.
2. Die Kernenergie erlebt im Zeitalter der beschleunigten Erderwärmung eine geistige Neubewertung und im nächsten Schritt eben auch ihre praktische Renaissance. Finnland hatte als erstes den Ausstieg aus der Kernenergie verkündet und einige Jahre später den Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen. Erst im März ging dort ein neues Atomkraftwerk in Betrieb. Auch unser Nachbarstaat Polen will jetzt erstmals ein Atomkraftwerk errichten. In China sind 55 Reaktoren in Betrieb, in den Vereinigten Staaten 93. Und vielerorts wird dazu gebaut: Insgesamt sind derzeit 58 neue Atomkraftwerke im Bau und 103 werden geplant.
3. Deutschland wird durch die aktuelle Energiepolitik, die gekennzeichnet ist durch den Verzicht auf russisches Pipeline-Gas bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kohle und der Atomenergie, in eine verstärkte Importabhängigkeit getrieben. Ohne Energieimporte aus Frankreich (Atomstrom), Dänemark (Wind), Tschechien (Atomstrom und Braunkohle) und den Niederlanden (Gas und Kohle) wird sich der Energiebedarf dieses Landes auf absehbare Zeit nicht decken lassen.
Die Energieversorgungssicherheit sei trotz des Verzichts auf Atomkraft „gewährleistet“, sagte Wirtschaftsminister Habeck. Laut Forsa-Umfrage teilen 51 Prozent der Bevölkerung diese Überzeugung nicht. Auch die Wirtschaft widerspricht Habeck. Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer sagte am Dienstag:
"Beim Thema Versorgungssicherheit sind wir noch nicht über den Berg".
4. Innerhalb der internationalen Klimaschutzbewegung hat sich Deutschland mit seinem Atomausstieg isoliert. In der Europäischen Union wurde die Atomenergie seit vergangenem Jahr als „nachhaltig“ eingestuft. Auch Greta Thunberg und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen plädieren für die Nutzung der Kernenergie, um wirklich alle Kräfte für eine Erreichung der Klimaziele zu aktivieren. Zu Sandra Maischberger sagte sie:
"Wenn sie schon laufen, wäre es ein Fehler, sie abzuschalten und sich der Kohle zuzuwenden".
5. Auch das umstrittene Thema der radioaktiven Endlagerung wird außerhalb von Deutschland mit großem Pragmatismus angegangen. Finnland baut beispielsweise in diesen Tagen ein atomares Endlager, das 2025 in Betrieb gehen soll. Auch in Schweden wird ein Endlager gebaut, damit radioaktive Abfallstoffe so verstaut werden können, dass sie weder das Grundwasser erreichen noch die umliegende Bevölkerung verstrahlen. In Frankreich soll ein Endlager in Lothringen 2035 in Betrieb genommen werden.
Fazit: So können die Grünen sich und dem Land keinen Dienst erweisen. Im Ausland wird diese Politik nicht verstanden, sondern belächelt. Oder um es mit Peter Sloterdijk zu sagen, der gestern Unverständnis für die grüne Ausstiegspolitik zeigte:
"Wir produzieren mehr Absurdität, als wir abarbeiten können".
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