25 April 2023

Kulturkampf - Das Versagen der Institutionen (Cicero)

Kulturkampf
-
Das Versagen der Institutionen (Cicero)

Die Aufregung um die AWO-Tanzgruppe, die auf der Mannheimer-Bundesgartenschau mit Sombreros auftreten wollte, ist mehr als eine Provinz- und Boulevardposse. Wer sich schon immer gefragt hat, wie es kleinste, teils moral-esoterische, teils politisch-fundamentalistische Minderheiten schaffen, einer übergroßen Mehrheitsgesellschaft ihren absurden Willen aufzunötigen, der hat in der letzten Woche die Antwort bekommen. Insofern ist die Sombrero-Posse keine Lappalie. Sie deckt auf, woran es in diesem Land inzwischen mangelt.
KOLUMNE: GRAUZONE am 22. April 2023
Wer etwas über das neue Deutschland lernen wollte (oder musste), das wir uns in den letzten Jahren geschaffen haben (oder man uns geschaffen hat), der wurde diese Woche mit reichlich Anschauungsmaterial versorgt. Da war natürlich zuerst der „Aufreger“ um die Sombreros einer Rentnertanzgruppe der Arbeiterwohlfahrt.

Die insgesamt siebzehn Damen planten eine tänzerische Rundreise um die Welt, was wohl unter anderem Weltoffenheit und Buntheit demonstrieren sollte. Doch politische Korrektheit ist ein schlüpfriges Pflaster. Und so kam es, dass die BUGA-Verantwortlichen sechs der insgesamt vierzehn Kostüme beanstandeten. Bei der Vorstellung des Projekts seien vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion zur „Sensibilität für kulturelle und religiöse Codierungen Bedenken an der Wirkung einiger Kostüme aufgekommen“, so die Begründung.

Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss. Drei der sechs Kostüme sollen geändert werden: „Aus den Pharaonen werden ägyptische Arbeiter, den Mexikanern reicht der Poncho und die Asiatinnen werden moderner“, so Fabian Burstein, Leiter des Kulturprogramms der BUGA.

Wer sich schon immer gefragt hat, wie es eine kleine, teils moral-esoterische, teils politisch-fundamentalistische Minderheit es schafft, einer übergroßen Mehrheitsgesellschaft ihren Willen aufzuzwingen, der hat in der letzten Woche die Antwort bekommen. Insofern ist die Sombrero-Posse keine Lappalie. Sie deckt auf, woran es in diesem Land inzwischen mangelt.

„Die Öffentlichkeit“ gibt es gar nicht

Der erste Fehler liegt in der Wahrnehmung dessen, was man etwas voreilig „die Öffentlichkeit“ nennt. Diese „Öffentlichkeit“ ist natürlich nicht die Gesamtheit unserer Gesellschaft, sondern nur der Teil, dem es gelingt, sich mittels medialer Verstärker Gehör zu verschaffen. Das verzerrt den Eindruck von dem, was in „der“ Gesellschaft vorgeht, erheblich.

So gibt es nämlich gar keine Diskussion über kulturelle und religiöse Codierungen. Nicht beim Bäcker, nicht im Büro, nicht im Sportverein, nicht in der Familie, nirgendwo. Es ist eine rein künstliche Diskussions-Fata-Morgana, die von Aktivisten in den neuen und alten Medien am Leben gehalten wird. In der Realität findet sie überhaupt nicht statt. Also kann man sie ignorieren.

Mehr aus der Grauzone:

Das aber geschieht nicht, weil die meisten Verantwortlichen in vergleichbaren Positionen – ob BUGA, Kulturfest oder was auch immer – einem Sozialmilieu entstammen, in dem man glaubt, diese Pseudothemen seinen wirklich relevant. Oder man ist zumindest Opportunist genug, diesen Unfug ernst zu nehmen. So wird die Simulation eines Problems zum Problem erklärt.

Gekrönt wird diese Farce schließlich dadurch, dass man vollkommen kulturunsensibel die eigenen politischen Maßstäbe zur Norm macht und sich einbildet, das angebliche Problem zu lösen, indem man zum Beispiel aus Pharaonen Arbeiter macht. Wie ist das zu verstehen? Dass man sich über Arbeiter lustig machen darf, nicht aber über Pharaonen? Oder dass der Pharao die ägyptische Kultur repräsentiert, nicht aber der Arbeiter?

Die „Debatten“, die wir täglich führen, sind überflüssig

Kurz und gut: Die ganze leidige Debatte über kulturelle Aneignung und angebliche Diskriminierung durch Stereotype existiert nur, weil unsere Institutionen massiv versagen. Kämen die Institutionen wie die BUGA-Leitung der Aufgabe nach, die Institutionen haben, nämlich Prozesse, für die sie beauftragt sind, zu versachlichen und zu rationalisieren, hätten wir die entsprechenden Diskussionen überhaupt nicht, weil eine gefestigte Institution entsprechend peripheren Irrsinn einfach ignorieren würde. Das aber geschieht nicht.

Warum das nicht geschieht, kann man schon bei dem Philosophen und Soziologen Arnold Gehlen nachlesen. Wehren sich Institutionen nicht gegen die in modernen Gesellschaften typische Tendenz, Anliegen zu emotionalisieren und zu personalisieren, beginnen sie, sich zu zersetzen. Sie werden dann ihrer Rolle als Institution nicht mehr gerecht, sondern zum Spielball von Gefühlen, Entrüstung und Empörungsritualen.

Das gilt natürlich nicht nur für die Organisatoren von Gartenschauen. Man betrachte nur, wie sich die Berliner Innenpolitik von ein paar im Grunde lächerlichen Klimafanatikern treiben lässt. Oder wie die Medien – auf ihre Art auch Institutionen – Aktivisten aufwerten. All das müsste nicht sein. Die ganzen albernen „Debatten“, die wir täglich führen, sind überflüssig. Sie sind ein Zeichen versagender und nicht mehr durchsetzungsfähiger Institutionen. Die positive Seite an dem Befund: Man kann etwas ändern. Noch ist es ein Institutionenproblem. Wenn es weiter in die Gesellschaft eingesickert ist, wird es zu spät sein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen