Dabei steckt in dem Papier enorme Sprengkraft – für die deutsche Migrationspolitik, Integrationspolitik, Schulpolitik und unsere Sozialsysteme. Die Bombe tickt an unseren Schulen. So ist der Anteil der 15-Jährigen, die so geringe Mathematik-Kompetenz ausweisen, dass sie kaum eine Chance auf einen Schulabschluss und einen Ausbildungsplatz haben, binnen zehn Jahren von knapp 17,7 auf 29,5 Prozent gestiegen – eine Zunahme um zwei Drittel!Im internationalen Vergleich sind dies für das – ohnehin bereits unterdurchschnittliche – deutsche Schulsystem verheerende Entwicklungen, junge Menschen im Land verlieren zunehmend komplett den Anschluss an ihre Altersgenossen in anderen Industrieländern. Und dies immer schneller.
Dieser an sich schon alarmierende Befund verdeckt das noch viel größere Drama. Denn während die IW-Forscher durchaus auch bekannte Aspekte wie den für ein Industrieland viel zu niedrigen Digitalisierungsgrad an Schulen, die massiven Bildungseinbußen während der Corona-Lockdowns oder die schlechte Qualität der Ganztagsbetreuung als Faktoren für das Desaster ausmachen, ist der zentrale Grund ein anderer: die Migration.
Eine verlorene Generation von Migranten wächst heran
Der Anteil an Kindern aus Migrantenfamilien stieg im selben Zeitraum unter den 15-Jährigen von 25,5 auf 38,5 Prozent – und somit um mehr als die Hälfte. Und hier fallen die Bildungsbiografien komplett auseinander: Weisen knapp 8 Prozent der 15-Jährigen ohne Migrationshintergrund miserable Mathematik-Kenntnisse auf, haben unfassbare 64 Prozent der 15-jährigen Migranten praktisch nicht vorhandene Fähigkeiten in dem Fach – und somit kaum Chance auf eine Berufsausbildung und qualifizierte Beschäftigung.
Letztlich wächst hier unter den Einwandererkindern eine „Lost Generation“ heran, in der fast zwei Drittel trotz Schulbesuch nicht genug Basisfähigkeiten für eine qualifizierte Beschäftigungsperspektive haben und damit auch sehr schlechte Aussichten für Integration und sozioökonomischen Aufstieg. Wer einmal in einer französischen Banlieue war, kann sich nun seinem Kopfkino hingeben.
Es wäre leicht, hier auf Einmaleffekte der beiden großen Flüchtlingswellen 2015 und 2022 zu verweisen, die sich „herauswachsen“. Doch sprechen die Zahlen eine andere Sprache: Der Anteil der Migranten erster Generation, die aus dem Schul- und Ausbildungssystem dergestalt herausfallen, steigt seit Jahren. Als zentrale Gründe macht die IW-Studie fehlende Deutschkenntnisse und einen bildungsfernen Hintergrund aus. Zugleich zeigen die Analysen des Statistischen Bundesamtes, dass der Anteil an Migranten umso stärker ansteigt, je jünger die Menschen sind – liegt er im Durchschnitt der deutschen Bevölkerung bei 26,7 Prozent, sind es bei den Unter-10-Jährigen über 40 Prozent.
Schulische Leistungen von Migranten werden schwächer
Sprich:
Die schulischen Leistungen junger Migranten nehmen ab – und der
Migrantenanteil an den Schulen nimmt immer weiter zu. Das Problem wird
sich damit verschärfen. Dies ist nicht nur ein extrem brisanter Befund
für die Migrationspolitik – die einen sehr hohen Anteil bildungsferner
Zuwanderer anzieht, die wenig Aussichten am Ausbildungs- und
Arbeitsmarkt haben. Es ist auch ein vernichtender Befund für die
Integrations- und Schulpolitik – der es nicht gelingt, die Millionen
zugewanderten Menschen mit Bleibeperspektive an ein Sprachniveau
heranzuführen, das erfolgreiche Bildung ermöglicht, und das Schulsystem
finanziell, personell und technisch so auszustatten, dass es dieser
Herausforderung gerecht werden kann.
Diese Lage ist auch und vor allem ein Sprengsatz für Arbeitsmarkt und Sozialsysteme. Denn wir stehen vor der für die Sozialsysteme schwierigsten Phase des demografischen Wandels: In der zweiten Hälfte der 2020er Jahre sowie in den 2030ern kommt eine beispiellose Verrentungswelle auf Deutschland zu; immer weniger arbeitende Menschen müssen immer mehr Rentner versorgen. Eine hohe Beschäftigungsquote in möglichst gut bezahlten, sozialversicherungspflichtigen Jobs ist daher von höchster Bedeutung für den Erhalt dieser Systeme.
Zugleich hemmt bereits heute die unzureichende Verfügbarkeit an gut ausgebildeten jüngeren Menschen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit – laut DIHK kostet der Fachkräftemangel allein die deutsche Wirtschaft 90 Milliarden Euro jährlich, hinzu kommen die durch nicht besetzte Jobs und nicht realisiertes Wachstum entgangenen Steuer- und Beitragszahlungen. Das heißt: Nicht nur für die Stützung der Sozialsysteme, auch für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Finanzierung des Staats benötigt das Land dringend erfolgreich qualifizierte junge Menschen.
In
genau dieser Zeit kommt nun eine Generation auf den Arbeitsmarkt, die
in einem historischen Maße schlechter ausgebildet und schlechter
ausbildungsfähig ist als ihre Vorgänger. Bereits bei den in der Studie
erfassten Schülern kurz vor Ende der Schulpflicht sprechen wir von mehr
als 1,1 Millionen Menschen ohne ausreichende Qualifikation für eine
Ausbildung. Bleibt das Bildungsversagen bei jungen Migranten auf dem
aktuellen Niveau – eine durchaus konservative Annahme, nachdem es sich
in den vergangenen zehn Jahren weiter verschärfte –, wird das Land bis
2040 insgesamt 4,5 Millionen weitere Schulabgänger (oder Schulabbrecher)
ohne Aussicht auf qualifizierte Arbeit hervorgebracht haben, davon 3,8
Millionen mit und 0,7 Millionen ohne Migrationshintergrund.
Genau in den kritischsten Jahren des demografischen Wandels, in denen es auf jeden Beitragszahler ankommt, werden somit Millionen Beitragszahler im besten Fall in prekären Jobs Minimalbeträge abführen, im schlechtesten Fall als Bürgergeldempfänger die Sozialsysteme zusätzlich belasten.
Wie genau sich dies auf die Sozialsysteme auswirken wird, hängt von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab – von der zukünftigen Gestaltung der Steuern, Renten und Transferleistungen bis hin zur Automatisierung durch Digitalisierung und KI. Die Daten des IW, des Statistischen Bundesamtes und der Bundesagentur für Arbeit lassen aber zumindest Rückschlüsse darauf zu, was diese „Bildungsbombe“ anrichtet, wenn alles wie heute bleibt – von der wirtschaftlichen Performance bis zur Arbeitsintensität. In diesem Fall lässt sich die bisherige Zahl der Bildungsverlierer ins Verhältnis zur Arbeitslosenquote in ihrer jeweiligen Altersgruppe setzen und aufgrund der Entwicklung der Altersgruppen (mit und ohne Migrationshintergrund) mit dieser Formel fortschreiben.
Für das Jahr 2032 weist das Modell für 25-Jährige eine Arbeitslosenquote von 16,7 Prozent aus (gegenüber 10 Prozent im Jahr 2022), die bis Anfang der 2040er Jahre auf 17,2 Prozent steigt. Da die Erwerbsquote zwischen 25 und 32 durchschnittlich noch einmal um migrationsbereinigte 18 Prozent ansteigt, wird sich dies nicht 1:1 in der Gesamt-Arbeitslosenquote in Deutschland niederschlagen, doch Werte um die 15 Prozent sind zu erwarten.
Klar ist: Bessere Konjunktur (die jedoch mehr Fachkräfte
benötigt) führt voraussichtlich zu besseren Zahlen, mehr
Automatisierung (die noch mehr Arbeitskräfte freisetzt) zu schlechteren.
Doch die Richtung ist eindeutig – und überaus besorgniserregend. Denn
was passiert mit einem Land, das in dem Moment, in dem es Fachkräfte und
Beitragszahler dringender benötigt denn je, mit der höchsten
Arbeitslosigkeit seiner Nachkriegsgeschichte kämpfen muss? Ein Kollaps
der Sozialsysteme – inklusive der Rente – und eine Verabschiedung aus
der Liga der wirtschaftsstärksten und wohlhabendsten Länder wäre die
wahrscheinliche Konsequenz.
Wollen wir unser Lebensniveau, unseren sozialen Frieden und unsere innere Sicherheit bewahren, ist eine Entschärfung dieser „Bildungs-Bombe“ mindestens ebenso wichtig und ebenso dringlich wie die aktuell alle Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Megathemen Verteidigungspolitik und Klimawandel. Womöglich sogar wichtiger, denn ohne eine ausreichende Zahl qualifizierter Arbeitskräfte und ohne funktionierende Sozialsysteme sind weder die Wehrfähigkeit zu gewährleisten, noch eine wie auch immer geartete Transformation des Wirtschaftens zu finanzieren.
Die Uhr bis zur Explosion tickt aber bereits so laut, dass im Film James Bond oder Ethan Hunt ihren großen Final-Auftritt hätten. Damit ist akute, enorme Entschlossenheit gefordert – von breiten politischen Allianzen über große gesellschaftliche Unterstützung bis zu massiven Investitionen. Denn es gilt binnen weniger Jahre Millionen Jugendliche, die bisher durch alle Maschen gefallen sind und oft die denkbar schlechtesten Voraussetzungen mitbringen, doch noch zu einer konstruktiven Rolle in unserer Volkswirtschaft zu befähigen. Und es gilt, das Problem nicht weiter zu verschärfen.
Lösungen liegen quer zu allen politischen Lagern
Damit liegt eine mögliche Lösung quer über den politischen Bruchlinien. Dass Bildung enorm wichtig ist und sehr schnell sehr viel besser finanziert werden muss, da sind sich noch Rechte wie Linke einig – doch nur so lange das Geld nicht von anderen Zielgruppen und Projekten abgezogen wird. Geht es jedoch darum, die Bildungsmisere unter Migranten ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und mit einem ebenso rigorosen Fördern wie Fordern Sprachkenntnis, Leistungsfähigkeit, schulisches Engagement und Fachkenntnisse auf ein besseres Niveau zu bringen, legt man sich mit beiden Lagern an: „Inklusive“ linke Schulpolitik unter ständiger Herabsetzung der Leistungsanforderungen bekommt ihr Scheitern vor allen Augen dramatisch offengelegt, zumal jedes aussichtsreiche Sofortprogramm die denkbar härtesten Erfolgs-KPIs an schulische Leistungen insbesondere in Deutsch und Mathematik anlegen müsste. Die Idee, Abermilliarden gezielt in die Bildung und Betreuung junger Migranten zu investieren, ist hingegen angetan, im rechten Spektrum alle Empörungssensoren zu aktivieren – zumal ein rapider Ausbau und eine Aufwertung der Ganztagsbetreuung nach skandinavischem Vorbild in der Wertehierarchie deutscher Konservativer sicherlich nicht weit oben steht.
Und
selbst bei entschlossenstem Handeln wird der bereits entstandene
Schaden aller Wahrscheinlichkeit nach die quer durchs politische
Spektrum gefürchtetsten Schritte nötig machen: Einsparungen im
Rentensystem mindestens für die Jahrgänge, die Ende der 2020er bis
Anfang der 2040er in Rente gehen, und deutliche Kürzungen beim
Bürgergeld. Nicht aus Ideologie oder politischen Grabenkämpfen heraus –
sondern schlichtweg, um angesichts der bisher von allen Seiten
ignorierten, gigantischen Qualifizierungslücke der nachwachsenden
Arbeitskräfte überhaupt die Finanzierbarkeit des Gemeinwesens zu
erhalten.
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