Doch warum fällt uns diese drohende Gefahr meistens überhaupt nicht auf?
Dynamik der Bevölkerungsentwicklung
Demografische
Veränderungen können wir im Horizont unseres eigenen Lebens nicht
überblicken. Mit einer Beispielrechnung lässt sich aber leicht
verdeutlichen, wie dramatisch sich die Bevölkerungszahl eines Landes
innerhalb weniger Generationen verändern kann:
1000 Frauen und 1000
Männer (also 2000 Personen) bekommen bei der aktuellen deutschen
Gesamtfruchtbarkeitsrate von 1,4 Kindern pro Frau 1400 Kinder. Das sind
700 Männer und 700 Frauen. Wenn diese im Schnitt wiederum 1,4 Kinder
bekommen, sind das 980 Nachkommen. Die dritte Generation ist also nur
noch halb so groß wie die erste! Die fünfte schrumpft auf ein Viertel,
die siebte auf ein Achtel der Ausgangsgröße.
Da die Zahl
potentieller Mütter in jeder neuen Generation geringer ist als in der
vorangegangenen und diese wiederum weniger Kinder bekommen, als zur
Bestandserhaltung nötig wären (2,1 Kinder pro Frau), schrumpft die
Bevölkerung von Generation zu Generation immer schneller, denn Frauen
die nie geboren wurden, können keine Kinder bekommen. Ab einem
bestimmten Punkt wird diese exponentielle Bevölkerungsschrumpfung nicht
mehr zu stoppen sein, weil es nicht mehr genügend potentielle Mütter
geben wird, um eine Wende einzuleiten. Wir werden dann in einer
unaufhaltsamen Abwärtsspirale gefangen sein.
„In zwei
Generationen ist die Sache gegessen“, sagt Harald Michel, Leiter des
Instituts für angewandte Demographie in Berlin. „Eine Änderung ist dann
nicht mehr möglich.“
Solange der Berg der Babyboomer das klein
gewordene Häuflein zukünftiger Eltern verdeckt, fällt uns die
demografische Katastrophe noch nicht auf. Diese braucht Jahrzehnte, um
sichtbar zu werden, ist dann aber kaum noch zu korrigieren. Bekämen wir
von morgen an wieder 2,1 Kinder pro Frau, so würde die Bevölkerung noch
ein halbes Jahrhundert lang schrumpfen und sich erst dann bei rund 40
Millionen Einwohnern stabilisieren, denn die Geburtenrate hängt von der
Gesamtfruchtbarkeitsrate (total fertility rate kurz TFR) und der Anzahl
gebärfähiger Frauen ab.
Solange diese schrumpft, schrumpft auch
die absolute Zahl an Geburten, selbst wenn die Gesamtfruchtbarkeitsrate
wieder steigt. Die Geburtenrate gibt die Zahl der Geburten pro 1000
Einwohner pro Jahr an, während die Gesamtfruchtbarkeitsrate aussagt, wie
viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens bekommen würde, wenn sie
sich so verhalten würde, wie die Frauen eines bestimmten Jahres. Im Jahr
2023 lag diese in Deutschland bei 1,36 Kindern pro Frau.
Mathematik ist nicht bestechlich
Häufig
hört man den Einwand: „Aber Prognosen sind doch immer unsicher!“
Demografen erstellen jedoch keine Prognosen sondern Vorausberechnungen:
Alle Frauen, die in den kommenden 15 Jahren potentiell Kinder bekommen
können, sind schon geboren. Diese Zahl kennen wir also exakt. Wenn wir
die seit den siebziger Jahren ziemlich stabile Gesamtfruchtbarkeitsrate
von 1,4 Kindern pro Frau zugrunde legen, können wir auch die Zahl ihrer
Kinder berechnen. Wenn diese genau so wenig Kinder bekommen, wovon
bislang alle Fachleute ausgehen, lässt sich auch die Größe der nächsten
Generationen exakt berechnen.
Solche Rechnungen führen zu den
sichersten Voraussagen, die wir überhaupt machen können: Eine
Vorausberechnung der UNO konnte im Jahr 1958 die Weltbevölkerung des
Jahres 2000 mit einer Abweichung von 3,5 Prozent bestimmen!
Folgen des demografischen Wandels
Wenn
ab 2025 die Babyboomer der 1960iger Jahre das Rentenalter erreichen,
geraten die Sozialsysteme in Schieflage, weil immer weniger Steuerzahler
immer mehr Rentner finanzieren müssen. Früher oder später werden sie
kollabieren. Schon heute bezuschussen wir die gesetzliche
Rentenversicherung jährlich mit mehr als 100 Milliarden Euro aus
Steuermitteln. Geld, das heutige Rentner verzehren, soll in der Zukunft
von Kindern zurückgezahlt werden, die nie geboren wurden! Dabei lebt die
Rentenversicherung von der Hand in den Mund: Was wir heute einzahlen,
landet morgen auf dem Konto eines Ruheständlers.
Wir täuschen
uns, wenn wir glauben, mit unseren Beiträgen ein Polster für die eigene
Zukunft anzulegen. Wenn wir nicht genügend zukünftige Beitragszahler
aufziehen, kann der Generationenvertrag nicht funktionieren. Dazu kommt
noch der Schuldenberg aus den gegenwärtigen fetten Jahren, der mit der
Bevölkerung natürlich nicht mit schrumpfen wird. Zu Recht warnt der
Bremer Wirtschaftswissenschaftler Gunnar Heinsohn davor, dass
Deutschland seine wenigen jungen Talente steuerlich überfordern und
letzten Endes ins Ausland treiben könnte.
Aber auch wenn wir
privat sparen, wird uns das weniger helfen als wir glauben, denn wir
können nicht heute die Brötchen backen, die wir morgen essen wollen und
ein dickes Bankkonto wird keine Senioren pflegen. Je weniger
Arbeitskräfte es in Zukunft geben wird, desto teurer werden sich diese
bezahlen lassen. Dieser Entwicklung hinterher zu sparen, ist ein
Wettlauf, den wir nicht gewinnen können. Die wachsenden Lücken auf dem
Arbeitsmarkt werden wir mit Geld nicht stopfen können. Wer an der einen
Stelle abgeworben wird, fehlt dafür anderswo. Demografie lässt sich
nicht überlisten. Ohne Kinder gibt es keine Zukunft.
Darüber hinaus verursacht der demografische Wandel noch weitere Probleme:
Die
Immobilienmärkte und die Infrastruktur unseres Landes sind für die
gegenwärtige Anzahl an Bewohnern ausgelegt. Die bevorstehende
Bevölkerungsimplosion wird Billionenwerte nutzlos machen, deren Rückbau
weitaus schwieriger zu organisieren sein wird, als es der Aufbau war.
Zudem wird unsere Innovationskraft geringer werden. Wer alt ist, geht
meist keine neuen Risiken mehr ein. Gesellschaftliche und
wirtschaftliche Strukturen drohen zusammenzubrechen, was allein bis zum
Jahr 2030 Wohlstandsverluste von 630 Milliarden Euro nach sich ziehen
könnte, wie die Beratungsgesellschaft Korn-Ferry berechnet hat.
Warum Zuwanderung keine Lösung ist
Man
hört es an diesem Punkt fast reflexhaft: „Ja, aber wir können doch
Einwanderer holen!“ Dies ist auch genau das Ziel, das die
Bundesregierung mit der 2012 beschlossenen Demografiestrategie und dem
neuen Einwanderungsgesetz verfolgt. Tatsächlich wären wir ohne die
Zuwanderung der vergangenen Jahrzehnte schon heute nur noch 63
Millionen, wie das Statistische Bundesamt in seiner Pressemitteilung vom
1.8.2017 berichtet. Was bisher noch leidlich funktioniert hat, wird in
Zukunft jedoch neue Probleme schaffen.
Um die Zahl der
Erwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren konstant zu halten, müssten
bis 2050 24 Millionen Menschen nach Deutschland einwandern, wie die
Vereinten Nationen im Jahr 2001 in ihrer Studie „replacement migration“
gezeigt haben. Aktuell fordert die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer 1,5
Millionen Einwanderer pro Jahr, um den Fachkräftemangel zu
kompensieren.
Einwanderer aus Europa, die eine hohe Qualifikation
und eine ähnliche Mentalität mitbringen und sich meist problemlos
integrieren, wird es in Zukunft allerdings immer weniger geben, da alle
unsere Nachbarländer dieselben Probleme haben.
Wir werden
Zuwanderer vor allem aus dem arabischen und afrikanischen Raum gewinnen
können, da nur hier die Bevölkerungen noch bis zur Mitte des
Jahrhunderts wachsen. Diese sind allerdings in den wenigsten Fällen
qualifiziert genug für den deutschen Arbeitsmarkt. Eine Zuwanderung in
die Sozialsysteme wäre die Folge, was unsere Probleme nicht lösen
sondern sogar noch weiter verschärfen würde. Und in der zweiten Hälfte
des Jahrhunderts wird es schwierig werden, überhaupt noch Zuwanderer zu
gewinnen, da dann fast alle Staaten der Welt mit den selben Problemen
kämpfen werden, denn mittlerweile lässt sich beobachten, dass die
meisten Länder die gesellschaftliche und demografische Entwicklung
Europas im Zeitraffer nachvollziehen.
Selbst in etlichen
afrikanischen Ländern sind die Geburtenraten in den vergangenen Jahren
regelrecht abgestürzt. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wird
nicht mehr die Bevölkerungsexplosion das bestimmende Thema sein sondern
der weltweite Mangel an Arbeitskräften.
Doch selbst wenn es uns
gelänge, genügend qualifizierte Zuwanderer anzuwerben, könnten wir damit
das demografische Problem nicht lösen, denn wir müssten die Zuwanderung
aufgrund der exponentiellen Bevölkerungsschrumpfung von Generation zu
Generation immer weiter steigern, ohne dass wir damit am zugrunde
liegenden Problem der viel zu niedrigen Gesamtfruchtbarkeitsrate etwas
ändern würden. Diese liegt nämlich bei qualifizierten Zuwanderern kaum
höher als bei Einheimischen. Daher kann eine qualifizierte Zuwanderung
zwar vorübergehend die Löcher am Arbeitsmarkt stopfen, eine nachhaltige
Lösung ist das jedoch nicht.
Außerdem würde es immer schwieriger werden unser Bildungsniveau zu halten, da auch die Kinder gebildeter Einwanderer möglichst gut Deutsch lernen müssen, wenn sie eine höhere Bildung erreichen wollen. Das wird jedoch um so schwieriger, je weniger Muttersprachler in ihrem Umfeld leben. Ein sinkendes Bildungsniveau wäre jedoch fatal.
Zudem ist es keineswegs sicher, dass einer erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt auch eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft und Kultur folgt. Fachliche Qualifikation zieht nicht automatisch eine westliche Lebenshaltung nach sich.
Da die Einstellungen und Werte eines Menschen in erster Linie von den Eltern geprägt und von Generation zu Generation in den Familien weitergegeben werden, hat der Staat viel weniger Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Zuwanderer als er denkt. Wir können entscheiden, wer und wie viele kommen. Was aus ihnen und ihren Kindern wird, liegt nur noch begrenzt in unserer Hand.
Auch kann niemand vorhersagen, ob und wie das Zusammenleben in einer immer vielfältigeren und sich permanent wandelnden Gesellschaft funktionieren wird.
Daher geht jede Gesellschaft, die Zuwanderer in relevanten Größenordnungen aufnimmt, ein Risiko ein. Die Regeln des Zusammenlebens müssten zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen immer wieder neu ausgehandelt werden. Das soziale Vertrauen, ohne das unser Zusammenleben nicht funktioniert, verringert sich mit zunehmender ethnischer Diversität, wie der Soziologe Robert Putnam in einer vielbeachteten Studie nachgewiesen hat. Gesellschaftliche Instabilität und Konflikte könnten die Folge sein.
Wenn die Gesamtfruchtbarkeitsrate auf dem gegenwärtigen Niveau bleibt und wenn wir das Problem nur durch Zuwanderung zu lösen versuchen, wird es ab einem bestimmten Zeitpunkt keine Mehrheitsgesellschaft mehr geben, in die sich die Ankommenden integrieren könnten. Zwar werden die Einwanderer im Lauf der Zeit zu Deutschen und können den Neuankömmlingen der nächsten Generation bei der Integration helfen. Da Integration aber Zeit braucht und da sich die genannten Prozesse immer mehr beschleunigen, droht der Faden der kulturellen Überlieferung abzureißen. In zwei bis drei Generationen könnte Deutschland zu einem Vielvölkerstaat werden, in dem es kein Band mehr gibt, das die verschiedenen Gruppen zusammenhält, wie der Demograf Herwig Birg befürchtet. Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, ob dieses irreversible Experiment gelingen wird.
„Kulturell und sozial wird das nicht machbar sein“, ist sich Harald Michel jedoch sicher.
Beispielrechnung für je 1000 Männer und 1000 Frauen : Ab der dritten Generation müssten bei einer konstanten Fruchtbarkeitsrate von 1,4 Kindern mehr Zuwanderer und deren Nachfahren als „Biodeutsche“ in Deutschland leben, um die Bevölkerungszahl stabil zu halten.
Was zu tun ist
Wir können den Bevölkerungsrückgang eine Zeit lang kompensieren, indem wir die Produktivität steigern, sowie die Frauenerwerbsquote und das Renteneintrittsalter erhöhen. Diese Maßnahmen werden in absehbarer Zeit allerdings weitgehend ausgereizt sein. Der Ökonom Thomas Straubhaar sieht in der künstlichen Intelligenz und der zunehmenden Roboterisierung eine weitere Lösungsmöglichkeit, übersieht dabei jedoch, dass Maschinen keine Steuern bezahlen, und auch keine gesellschaftlichen Strukturen aufrechterhalten können. Oder möchten Sie Ihre Kinder von Computern unterrichten lassen und im Alter von Robotern betreut werden?
Somit bleibt nur noch die Möglichkeit, die Zuwanderung zu steigern, oder die Geburtenrate zu erhöhen. Dass letzteres möglich ist, haben schon etliche Länder bewiesen. Frankreich und die Skandinavischen Länder erreichen bereits seit Jahrzehnten konstant hohe Geburtenraten durch eine gute Kinderbetreuung und durch gezielte steuerliche Anreize, die vor allem die Geburt zweiter und dritter Kinder fördern.
Unsere Probleme hängen offensichtlich mit der Struktur unserer Gesellschaft zusammen und sind durch Zuwanderung nicht dauerhaft zu lösen, da diese nur Lücken stopft, ohne die Ursachen des Defizits zu beheben. Daher müssen wir die Strukturen verändern, die für die niedrige Geburtenrate verantwortlich sind. Auch wenn das nicht einfach sein wird, müssen wir es zumindest versuchen, denn schließlich geht es um unsere Zukunft.
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