Sie sind in Deutschland, wenn ein Handyvideo besoffener junge Leute mit Ausländer-Gegröhle mehr Echo in Medien und Politik verursacht, als die öffentliche Machtdemonstration tausender Islamisten und Kalifats-Fans oder nackter Judenhass auf den Straßen oder an den Unis.
Nach dem Sylt-Video wurden die Gröler innerhalb von Stunden identifiziert, mit Klarnamen und Arbeitgeber dem antifaschistischen Furor zum Fraß vorgeworfen. Für sie gelten die Regeln von Rechtsstaatlichkeit und medialer Ethik nicht mehr – im Netz spielen viele Richter und Henker zugleich.Die Gröler von Sylt waren betrunken, wollten offenbar aus ihrer Wolke aus Privilegiertheit und Anpassung ein wenig die Sau rauslassen – und waren dabei auch noch so dumm und/oder eitel, das Ganze als Handyvideo zu dokumentieren. Sie kamen sich erkennbar krass vor. Sie taten das in einer Ecke von Deutschland, die besonders deutsch in dem Sinne ist, dass auf Sylt die Bundesrepublik noch etwas hat von der nicht so bunten, strebsamen Bonner Republik der 70er-Jahre. Look und Feel der jungen Menschen, die Pullover über den Schultern und die Perlenohrringlichkeit – es ist etwas bestenfalls Traditionelles, weniger freundlich könnte man sagen: Es wirkt etwas verstaubt.
Das Video, das aus guten Gründen eben nicht nur Deutsche mit Migrationshintergrund abgestoßen hat, ging viral und dominierte über Tage die politische Debatte. Und so widerlich das Video auch ist – dann wurde es ziemlich maßlos.
Der Kanzler
äußerte sich dazu, die „Tagesschau“ berichtete atemlos (ebenso WELT auf
allen Kanälen), die Parlamentspräsidentin forderte Höchststrafen, auch
die Deutsche Bahn (die häufig zu spät ist, dafür aber immer politisch
korrekt predigt) machte mit. Es verdeutlichte, dass man in Fahrtrichtung
„rechts“ nicht aussteigen darf. Wie nach dem sogenannten Geheimtreffen
in Potsdam fanden sich gefühlt zwei Drittel der Gesellschaft ganz bei
sich in der Selbstimagination als „antifaschistische Kaderorganisation“.
Dabei wurde jede Art von republikanischer Zurückhaltung hintangestellt. Die Gröler wurden innerhalb von Stunden identifiziert, mit Klarnamen und Arbeitgeber dem antifaschistischen Furor zum Fraß vorgeworfen. Medien riefen dazu auf, weitere Handyvideos von ähnlichen Vorfällen einzusenden. Die Fiktion Deutschlands als rassistisches Kaff von Popper-Nazis diente dazu, sich als heroische Antifa zu präsentieren. Von 1933 bis 1945 war dieser Mut eher minimal. Aber jetzt: beeindruckend.
Als die ersten Gröler ihren Job verloren hatten, ging es erst richtig los. Jeder, der sonst gerne auch zu allem möglichen schweigt, kam aus der Deckung. Bemerkenswert waren die medialen Eliteeinheiten des Antifaschismus, die die de facto für „vogelfrei“ erklärten Gröler weiterhin an den größtmöglichen Pranger stellten. Ungepixelt. Gewissermaßen als mediale Richter und Henker in einer Institution.
WDR spricht von „zeitgeschichtlichem Ereignis“
„Der WDR“, so beamtete es da vor sich hin, „hat sich entschieden, die Personen in dem Video nicht unkenntlich zu machen, da es sich um ein zeitgeschichtliches Ereignis handelt und dies stärker wiegt als die Interessen der gezeigten Personen.“ Und dann ein wenig fußnotenmäßig ergänzt: „Außerdem haben sie sich selbst in eine zumindest halb-öffentliche Lage gebracht und mussten damit rechnen, dass diese Bilder an die Öffentlichkeit gelangen.“
Den Kollegen der „Bild“
wurde es nach einem offenen Brief noch zum Vorwurf gemacht, als diese
die israelfeindlichen akademischen „Universitäter“ publik machten.
Steckbrief- oder Fahndungsjournalismus wurde das damals genannt. Nichts
davon dieses Mal.
Für die Gröler gelten die Regeln der Rechtsstaatlichkeit und sonst
gepflegter medialer Ethik eher nicht. Man wird sehen, ob die Kündigungen
der Gröler rechtmäßig sind. Und man wird sehen, ob der zuständige
Rundfunkrat diese Ad-Hoc-Entscheidung des WDR auch so sehen wird. Die
ARD legte nach.
Gewissermaßen, um sicherzustellen, dass der antifaschistische Furor anhält. Am Samstag kam um 9:05 als zweite Nachricht bei der „Tagesschau“: „Ein Video, das laut Polizei im Internet kursiert, zeigt demnach, wie einige Besucher des Schützenfestes im Löninger Stadtteil Bunnen (Landkreis Cloppenburg) zur Melodie des Liedes ‚L‘amour toujours‘ von Gigi D‘Agostino die Zeile ‚Deutschland den Deutschen – Ausländer raus‘ rufen.“ Die erste Nachricht der Plattform betraf Sylt.
Die Disziplinarwirkung ist klar. Wer so etwas singt, ist im Zweifelsfall vogelfrei, egal, wie betrunken und jung er sein mag. Die Drastik der Instantverurteilung kann man als Antifaschist (wer ist das eigentlich nicht?) begrüßen, aber Liberalen muss dieser Pranger-Exzess bitter aufstoßen. Die Idee des Prangers folgt der Logik der öffentlichen Schande, es ging darum, dem an den Pranger gestellten ein „normales“ Weiterleben in der Gemeinschaft unmöglich zu machen oder wenigstens spürbar zu erschweren. Der Pranger hat nach Sylt hervorragend funktioniert.
Auch der Sozialneid spielt eine Rolle
Die Verhältnismäßigkeit wird nur in Teilen des politischen Betriebs reflektiert: Erfreulich differenziert agierten Armin Laschet oder auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser, der es Sorge macht, „dass es dann sofort von der einen Extremrichtung in die nächste geht – dass man dann Leute offen an den Pranger stellt und das nicht denen überlässt, die dafür da sind, nämlich Strafverfolgungsbehörden“.
Bundeskanzler, Bundestagspräsidentin, Bundesbahn und Bundes-ÖRR repräsentieren die Macht in diesem Land. Es muss also eher keine Sorge bestehen, dass hier irgendwas ins Rassistische kippen könnte. Das Lied mit exakt diesen Zeilen ist längst zum Meme geworden, witzigerweise bei vielen Migranten, die das Virtue Signalling als besonders kartoffelig empfinden.
Deswegen ist es
auch nicht sonderlich mutig, wenn man sich in dieser Republik zum
Antifaschisten stilisiert – wenn doch eh schon jeder ein wenig die
Saskia Esken in sich pflegt. Bei Kampen spielt natürlich auch der
Sozialneid eine Rolle und die für die Linke zunehmend wirkmächtige
Vorstellung, dass nicht nur die alten weißen Männer reaktionär und böse
sind, sondern auch ihre weißen Töchter und Enkel. In diese Erzählung
passt ein solches Video nur zu gut. Die Art der Instrumentalisierung
dieses Videos ist ein in Teilen unterhaltsames Lehrbeispiel.
Wie bei den sogenannten Demos gegen Rechts, die ja nicht nur in München von Linksradikalen und auch von Israel hassenden Figuren wie Lisa Poettinger organisiert wurden, wird alles unter Generalverdacht gestellt, was nicht rot-rot-grün ist. Die Pascha-Bemerkungen von Friedrich Merz wurden da ebenso gleich wieder aufgebrüht wie auch die Vornamen-Debatte. Es ist ein wenig so, wie es der Kollege Altenbockum in der FAZ zu den jüngsten Thüringen-Wahlen schrieb: Die CDU werde „von linken Parteien als schwaches Glied einer volksfrontähnlichen AfD-Bekämpfung angeprangert, für die sich die ‚Brandmauer‘ als Metapher eingebürgert hat“.
Besonders bedauerlich sind diese Rituale angesichts der umfassenden Entzauberung der AfD, die auch hartgesottene Protestwahlfans von dieser Partei entfernt. Mal sehen, wie es weitergeht.
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