20 Mai 2024

Interview Der Anwalt Joachim Steinhöfel kämpft gegen Zensur und sagt: «Der deutsche Staat geht autoritär gegen Kritiker vor» (NZZ)

Interview
Der Anwalt Joachim Steinhöfel kämpft gegen Zensur und sagt: «Der deutsche Staat geht autoritär gegen Kritiker vor» (NZZ)
Steinhöfel hat Verfahren gegen Facebook und Youtube gewonnen. Sein Kernthema ist die Meinungsfreiheit im Internet. Im Gespräch erhebt er schwere Vorwürfe gegen Deutschlands Regierung und die Rechercheplattform Correctiv.
Jonas Hermann, Berlin
Ich finde das sehr schön formuliert.
Die Meinungsfreiheit ist Ihr Kernthema. War das schon immer so?
Ich wurde wütend über die Anmaßungen, wie sie sich ab dem Jahr 2015, zeitlich parallel zur Flüchtlingskrise, in den sozialen Netzwerken abgespielt haben, also dass eindeutig zulässige Meinungsäußerungen massenhaft gelöscht wurden. Ich habe dann darüber nachgedacht, wie man dem Einhalt gebieten kann, auch, weil es in Juristenkreisen stets hieß, es gebe da keine Handhabe. Es hieß immer, Facebook und die anderen Plattformen hätten Hausrecht. Aber das ist dummes Zeug. Es war möglich, erfolgreich gegen die Plattformbetreiber vorzugehen, wenn sie die Meinungsfreiheit missachten und willkürlich löschen. Einer musste es nur tun.
Sie haben dafür bestimmt ein Beispiel.
Seit der Corona-Pandemie steht in den Geschäftsbedingungen von Youtube, verkürzt ausgedrückt, dass man sich zu Covid-19 nur so äußern darf, dass die Positionen nicht von denen der WHO oder des Paul-Ehrlich-Instituts abweichen. Der Staat hat also das letzte Wort darüber, was man hier sagen darf und was nicht. Das führt die Meinungsfreiheit ad absurdum. Es ist auch wissenschaftlich absurd, erst recht in einer Pandemie, wenn viele Fragen offen sind und sich der Staat wiederholt korrigiert hat und dann genau das vertrat, was vorher gelöscht oder verboten wurde.

Sie haben Youtube abgemahnt, weil dort der Kanal von #allesdichtmachen aus den Suchergebnissen entfernt wurde. Dabei handelte es sich um eine Aktion von Schauspielern, die auf die Folgen der Covid-Massnahmen hingewiesen haben. Haben Sie eine Ahnung, wer bei Youtube interveniert hatte?

Das ist unklar. Die deutsche Regierung könnte natürlich Interesse gehabt haben, gegen so eine Aktion von Prominenten vorzugehen. Damit will ich aber nicht behaupten, dass sie verantwortlich war. Nachdem ich eine Abmahnung verschickt hatte, war der Kanal schnell wieder in den Suchergebnissen zu finden.

Der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat das Silicon Valley als «extrem linkslastigen Ort» bezeichnet. Wie stark ist der Zusammenhang zwischen dieser Beobachtung und den Dingen, die Sie beschreiben?

Bei den meisten Fällen von Löschungen, die mir auf den Tisch gekommen sind, ging es eher um bürgerlich-konservative Positionen und nur sehr selten um rot-grün-linksliberale.

«Um die Meinungsfreiheit in Deutschland steht es so schlecht wie schon lange nicht mehr», haben Sie der NZZ im Jahr 2018 gesagt. Wie hat sich die Situation seitdem verändert?

Sie hat sich deutlich verschlechtert, weil neben die Bevormundung durch die sozialen Netzwerke der gesellschaftliche und soziale Druck getreten ist, der freie, unbefangene Äußerungen mit häufig schwerwiegenden Konsequenzen ahndet. Besonders der deutsche Staat geht noch autoritärer gegen Kritiker vor als früher. Er schüttet zum Beispiel staatsaffine NGO mit Geld zu, die letztlich nichts anderes tun, als Meinungen, die nicht staatsaffin sind, zu delegitimieren oder in irgendeiner Weise unter Druck zu setzen. Dazu kommt der unvorstellbare Vorgang, dass die Bundesregierung gegen einen einzelnen Journalisten wegen eines Postings bei X vorgeht und ihm seine Meinung gerichtlich untersagen lassen wollte.

Sie waren in dieser Sache kürzlich vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich. Können Sie kurz erklären, worum es dabei ging?

Der Journalist Julian Reichelt hatte einen Artikel kommentiert, der die Überschrift trug: «Bundesregierung zahlt Entwicklungshilfe an Afghanistan.» Er hat dann auf der Plattform X sinngemäß geschrieben, dass wir in einem Irrenhaus lebten, weil wir Entwicklungshilfe an die Taliban zahlten. Das Bundesentwicklungsministerium hat ihm darauf eine Abmahnung geschickt.

Wie ging es weiter?

Reichelt hat mich angerufen. Ich habe gedacht, das ist ja ein wunderbarer Fall, um die Bundesregierung bloßzustellen. 53 Minuten später war unsere Klage beim Landgericht Hamburg eingereicht. Reichelts Aussage ist keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Meinungsäußerung. Man muss dazu auch wissen, dass der Staat als Kläger, anders als wir Bürger, keine Grundrechte hat. Er hat keine Menschenwürde, keine Ehre, keine Meinungsfreiheit, weil er keine natürliche Person ist. Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Es ist also höchst ungewöhnlich, gerichtlich gegen einen Journalisten vorzugehen. Das hat auch das Verfassungsgericht so gesehen.

Ein Einzelfall?

Nein, das Innenministerium hat den Journalisten Henryk M. Broder in einem Bericht über Muslimfeindlichkeit diskreditiert, kam damit aber vor Gericht ebenfalls nicht durch. Gegen das Außenministerium von Annalena Baerbock haben wir auch mit Erfolg geklagt, weil man sich geweigert hatte, Presseanfragen zu beantworten. Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth und die Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze stehen aus dem gleichen Grund vor Gericht. Roths Mitarbeiter drücken Anrufe einfach weg und ignorieren Presseanfragen.

Um ein kleines Foto für Ihr Buch machen zu dürfen, haben Sie auch in eigener Sache das Bundesverfassungsgericht angerufen. War das nicht ein bisschen übertrieben?

Dass Sie mir als Journalist eine solche Frage stellen, macht mich etwas nachdenklich. Ich war bei einem Prozess vor dem Oberlandesgericht Celle und wollte die Richter fotografieren, was mir so lange untersagt wurde, bis ich das Verfassungsgericht eingeschaltet habe.

Warum wollten Sie die Richter fotografieren?

Um ein höchst ungewöhnliches Verfahren mit den verantwortlichen Richtern auch bildlich zu dokumentieren, ich war dort nicht nur als Anwalt, sondern auch als Journalist und Autor.

Sie wollen damit wirklich sagen, dass Sie während des Prozesses Anwalt sind, kurz davor und gleich danach aber Journalist?

Eine völlige Selbstverständlichkeit. Es gibt auch andere Anwälte, die journalistisch über ihre Prozesse schreiben, Rolf Bossi, Gerhard Strate und Ferdinand von Schirach zum Beispiel.

Joachim Steinhöfel, 61, ist Anwalt für Wettbewerbs- und Medienrecht. Im Jahr 2018 erwirkte er als erster Anwalt überhaupt ein Verbot gegen Facebook, den Beitrag eines Nutzers zu löschen. Er steht hinter dem Fonds Meinungsfreiheit im Netz, der von Zensur und Sperrungen Betroffene unterstützt. Steinhöfel lebt in Hamburg und Kapstadt.

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