24 April 2025

Feindbild Trump Allergisch gegen jeden Widerspruch – das Problem mit „unserer Demokratie“ (WELT+)

Feindbild Trump

Allergisch gegen jeden Widerspruch – das Problem mit „unserer Demokratie“ (WELT+)
Von Magnus Klaue, 24.04.2025, Lesedauer: 5 Minuten
Ob Putin, Trump, Netanjahu oder Musk: Der Lieblingsgegner „unserer Demokratie“ ist heute nicht mehr der Totalitarismus, sondern „der Autokrat“. Doch gerade diejenigen, die ihn bekämpfen, ähneln ihm stärker als sie glauben.
Seit die parlamentarische Demokratie in Deutschland sich „unsere Demokratie“ nennt, justiert sie ihre Feindbilder neu. Als innenpolitisch bedeutendster Feind hat sich lange vor Geburt der Ampelkoalition „der Rechte“ – der auch schon so genannt werden darf, wenn er nur „rechtsoffen“ ist – gegenüber dem Extremisten durchgesetzt. Den Extremisten, seit den 1960er-Jahren Hauptgegner aller Demokraten in der alten Bundesrepublik, gab es noch in der linken wie in der rechten Erscheinungsform. Ihm entsprach komplementär ein Ideal der Mitte, des Gleichgewichts, der moderaten Überzeugungen und bescheidenen Ansprüche, auf das verlässliche Demokraten sich zu verpflichten hatten.
Nationalsozialismus und Stalinismus galten als gegensätzliche und trotzdem ähnliche Erscheinungsformen des Extremen, dem die bürgerliche Demokratie im Inneren wie im Äußeren entgegenzutreten habe. Zwar prägte der Soziologe Martin Seymour Lipset schon 1959 den Begriff „Extremismus der Mitte“, um darauf hinzuweisen, dass sich gegen das demokratische Gemeinwesen gerichtete Tendenzen in dessen eigener Ordnung entwickeln können. Wirklich populär wurde die Rede vom „Extremismus der Mitte“ aber erst dreißig Jahre später, als „Extremismusforscher“ den Neonazismus in den neuen Bundesländern zum Symptom vermeintlicher deutscher Normalität erklärten.
Seitdem firmiert als extremistische Gefahr fast nur noch der Rechtsextremismus, dem der islamistische Antisemitismus in der statistischen Erfassung häufig subsumiert wird. Gleichzeitig mit solcher Mutation des Extremismus zum Rechtsextremismus, deren letzte Zerfallsform „der Rechte“ als Generalfeind aller Demokraten ist, vollzog sich ein begriffsgeschichtlicher Wandel von der „Diktatur“ zur „Autokratie“ als vorgeblich schärfstem Gegensatz zur Demokratie. Terminologisch ist dieser Wandel nicht völlig untriftig. Im alten Rom und im antiken Griechenland bestimmte die Entgegensetzung von autokráteia und demos die Diskussion über die Frage nach der den Menschen am besten angemessenen Herrschaftsform.

Realhistorisch ist die neuerliche Vorliebe für den Begriff der Autokratie weniger verständlich, waren doch die Begriffe der Diktatur und des Totalitarismus Versuche, das spezifisch Zeitgenössische zu bezeichnen, das diese Herrschaftsformen von der überkommenen Autokratie unterscheidet. Seit dem 18. Jahrhundert ist die Entgegensetzung von Autokratie und Demokratie dementsprechend hinter das Begriffspaar von Demokratie und Diktatur zurückgetreten. Als Autokratien wurden seither anachronistische, aber gerade deshalb autoritäre Herrschaftsformen wie die des russischen Zarismus oder des Osmanischen Reiches etikettiert.

Wenn heute Wladimir Putin und Recep Erdoğan „Autokraten“ genannt werden, ist das ein Echo dieser Begriffsgeschichte. Es trägt aber wenig dazu bei, die verschiedenen Formen autoritärer Staatlichkeit und der von ihnen ausgehenden außenpolitischen Gefahr zu unterscheiden. Noch phrasenhafter wird die Rede von der Autokratie, wenn sie sich auf alle möglichen „unserer Demokratie“ verhassten Gesellschaften bezieht und in der Gestalt „des Autokraten“ personalisiert wird, egal ob der ein politischer Machthaber, ein Unternehmer oder ein Privatmann ist.
Solche Personalisierung bestimmt zunehmend die Propaganda der Vorkämpfer „unserer Demokratie“. Während „Putins Russland“ (eine weitere Personalisierung im Politik- und Medienjargon) sich wegen seiner Mischung aus Personenkult und überbordender dysfunktionaler Verwaltung eher als Hybridform zwischen Diktatur und Totalitarismus charakterisieren ließe, zeugt die gängige Bezeichnung von Donald Trump und Elon Musk als „Autokraten“ von projektivem Ressentiment. Eigentlich bringt sie nichts anderes als einen – grundlosen – Neid zum Ausdruck: einen Neid darauf, dass es in Amerika Leute gibt, die scheinbar ohne Rückversicherung und aus dem Bauch heraus unpopuläre Entscheidungen treffen; die sich selbst die Nächsten sind und statt der öffentlichen Meinung, den internationalen Beziehungen oder der eigenen Administration auf sich selbst vertrauen.

Natürlich ist das ein gesellschaftlicher Schein (auch der „Autokrat“ Trump hat Berater, zu denen der „Autokrat“ Musk selbst gehört), aber es verleiht einer Fantasie Ausdruck, die in der etymologischen Bedeutung von Autokratie – „Selbstherrschaft“ – mitschwingt. Der Autokrat ist jemand, der dem eigenen Gesetz folgt, dem er eher traut als dem Staat, der Gesellschaft oder der Gemeinschaft.

Solche Eigengesetzlichkeit ist „unserer Demokratie“ zutiefst zuwider. Das zeigt sich auch am Ressentiment gegen Israel, dessen Diskreditierung als Autokratie mittlerweile beinahe widerspruchslos erfolgen kann – jüngst attestierte auch Thea Dorn vom PEN Berlin der israelischen Regierung anlässlich der Auslandung von Omri Boehm als Redner beim Buchenwald-Gedenken „autokratische Züge“.

Israel und besonders Benjamin Netanjahu als notorischer „Hardliner“ fungiert in der Fantasie „unserer Demokraten“ als die Wirklichkeit gewordene Selbstgesetzlichkeit des Judentums (das sich nicht auf irgendwelche anderen Staatsbürgerschaften verlassen möchte), um vor der antisemitischen Internationalen geschätzt zu werden. Was in Deutschland neuerdings „unsere Demokratie“ genannt wird, ist der aktive Gegensatz zu solcher aufgeklärten Selbstherrschaft: In „unserer Demokratie“ muss immer wieder alles neu ausgehandelt werden, darf sich niemand über andere stellen oder sich gar anmaßen, im Recht zu sein – vor allem dann nicht, wenn er wirklich im Recht ist.

Insofern ist „unsere Demokratie“ allein schon durch ihre Berufung auf ein Wir das Gegenteil parlamentarischer Demokratie, die von den Bürgern als Einzelnen ausgeht, die in ihrer Vielheit und Gegensätzlichkeit politisch vertreten werden sollen. „Unserer Demokratie“, die eben nur unsere und keine andere ist, geht es statt um Repräsentation, Streit und Vermittlung um den vorab verordneten Konsens.

Dadurch werden diejenigen, die für sie penetrant Werbung machen, notwendig irgendwann den „Autokraten“ ähnlich, die sie als ihre Feinde identifizieren: tyrannisch gegen den abweichenden Einzelnen, allergisch gegen jeglichen Widerspruch, selbstherrlich gerade im eklatantesten Irrtum, umso rechthaberischer, je weniger sie im Recht sind. Darum ist das allerletzte Mittel solcher Demokraten im Abwehrkampf gegen „Autokraten“ nicht das bessere Argument, sondern ausgerechnet das Delikt der Majestätsbeleidigung.

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